Sehr geehrter Herr Scholz. Liebe Ampel. Wenn Sie beim #Mobilitätsgipfel wirklich über die Verkehrswende sprechen wollen – unsere Expert:innen beraten Sie gern: nichtnurauto@zukunft-fahrrad.de
Guten Abend, liebe Leserin, lieber Leser,
wir begrüßen Sie herzlich zum neuen Berlin.Table, dem Late-Night-Memo für die Hauptstadt.
Für diese Ausgabe haben wir mit Peter Altmaier gesprochen, der seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs viel Kritik über sich ergehen lassen muss. Vor allem beim Umgang mit Russland. Altmaier schmerzt das. Aber solange sich die Ukraine des russischen Angriffs erwehren muss, mag er sich nicht auf offener Bühne streiten. Zeiten wie diese verlangten, dass man zusammenrücke und Debatten über Fehler auf die Zeit danach verschiebe, so der frühere Kanzleramtsminister.
Zugleich räumt der langjährige Vertraute von Altkanzlerin Angela Merkel Versäumnisse ein, vor allem in der Klimaschutzpolitik. Und er erzählt, wie schwer es ist, von “Höchstgeschwindigkeit auf Privatier runterzuschalten”. Darüber hinaus kümmern wir uns um die Reaktion der Grünen auf den neuerlichen Versuch der FDP, doch noch eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten zu erzwingen. Wir werfen einen Blick auf den Umbau des Bundesverfassungsgerichts und dessen Folgen für Berlin; wir schauen auf das Strategiepapier der SPD-Fraktion zur Außenpolitik, berichten über den Stand der Digitalisierung des Bundes und haben mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann gesprochen – aber nicht über den Krieg, sondern über Frauen in der FDP und den Sinn einer feministischen Außenpolitik. Es ist ein sehr bemerkenswertes Gespräch geworden.
Wie gewohnt informieren wir Sie außerdem über spannende Stücke anderer Medien, über die Aufmacher am Abend, die Schlagzeilen morgen früh – und die wichtigsten Interviews in den Morgensendungen.
Wenn Ihnen der Berlin.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Late-Night-Memo kostenlos anmelden. Wir wissen und bedauern es, dass es bei der Anmeldung hier und da – noch – etwas hakelig zugehen kann. Deshalb noch einmal von dieser Stelle: Wir sind kostenlos zu erhalten, und das wird auch so bleiben. Wir versorgen jeden Sonntag-, Dienstag- und Donnerstagabend mit neuen Infos und aktuellen Analysen aus der Hauptstadt. Das nächste Late-Night-Memo erhalten Sie am kommenden Dienstag.
An dieser Ausgabe haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Enno Eidens, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt, Daniel Schmidthäussler, Stefan Ulrich, Vera Weidenbach und Britta Weppner mitgewirkt. Wir alle heißen Sie herzlich willkommen.
Altmaier zu Kritik an Russland-Politik: Falscher Zeitpunkt. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine gibt es heftige Kritik an Angela Merkel, ihrer Regierung und ihrem damaligen Wirtschaftsminister. Doch auch wenn es Peter Altmaier reizt, dem mit seiner Sicht auf die Dinge zu begegnen – noch möchte er keine Antwort auf die Vorwürfe geben. Nicht, solange die Ukraine den russischen Angriffskrieg abwehren muss. “Solche außergewöhnlichen Herausforderungen sind immer auch der Moment, wo der politische Streit eine Zeit lang zurückstehen muss”, sagt er im Interview mit dem Berlin.Table. Für Kritik sei jetzt der falsche Zeitpunkt. “Alles, was die westlichen Institutionen schwächt, hilft Putin”, sagt Altmaier.
Eigene Fehler sieht Altmaier trotzdem, vor allem beim Klimaschutz. In der Großen Koalition, in der er zunächst Kanzleramts- und dann Wirtschaftsminister war, seien mögliche Antworten auf die Klimakrise “in den Hintergrund” getreten. Selbst die Reaktionen nach dem Rekord-Sommer und den Massendemonstrationen von Fridays for Future 2018 seien unzureichend gewesen. Der Kohleausstieg im Jahr 2038 – das hätten die Vertreter der jungen Generation wie “eine Kampfansage” empfunden, verbunden mit der Botschaft, dass “das ‘Kohlezeitalter’ noch einmal bis zu 18 Jahre dauern sollte”. Doch ein früherer Zeitpunkt sei “durch den parteiübergreifenden Widerstand der ostdeutschen Bundesländern” nicht durchsetzbar gewesen.
Den Frust vieler Klimaaktivisten kann der Ex-Umweltminister verstehen. Schon 2020 habe er sich in einem Papier “dafür entschuldigt, dass wir den Erwartungen der jungen Menschen nicht entsprochen haben, nämlich sicherzustellen, dass wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens einhalten”. Die Proteste der sogenannten “Letzten Generation” findet der Ex-Minister dagegen nicht akzeptabel. “Niemand hat in der Demokratie das Recht, sich über Gesetze hinwegzusetzen”, meint Altmaier. Zugleich wirbt er um Verständnis für Versäumnisse. “Wenn jetzt die Politik kritisiert wird, muss man auch berücksichtigen, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse verändert haben”, so Altmaier. Noch bis 2010 sei das 2-Grad-Ziel die offizielle Leitschnur gewesen. “Erst später wurde es auf 1,5 Grad verschärft.”
Das komplette Interview, in dem es auch noch um das umstrittene Spiegel-Porträt über ihn sowie denn abrupten Übergang vom Vollzeit-Politiker zum Privatmann geht, lesen Sie hier.
Grüne zur Laufzeit-Debatte: Stillhalten als Strategie. Die Grünen gehören zu den diskussionsfreudigsten und streitlustigsten Parteien in der Bundesrepublik. Historisch betrachtet. In diesen Tagen aber zeigen sie eine andere Qualität: Sie üben sich in der Strategie des Stillhaltens. Abgesprochen und im Konsens haben sie beschlossen, die neueste Schleife in der Debatte um die Laufzeit von Atomkraftwerken zu ignorieren.
Die Freien Demokraten fordern seit Tagen, den Atomkompromiss wieder aufzuschnüren. Den hatte der Kanzler Mitte Oktober per Machtwort entschieden. Die Liberalen wollen nun längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke durchsetzen, über den 15. April hinaus. Der Verkehrsminister, der Justizminister, der Fraktionschef – sie alle stellen die Richtlinienentscheidung von Olaf Scholz in Frage. Und sie tun das mit dem Vorschlag, eine Expertenkommission müsse über die Zukunft der AKWs entscheiden. Ihre Begründung: “Wenn sich die Welt verändert, muss sich auch die Politik verändern.” So sagte es Justizminister Marco Buschmann in der Zeit.
Doch die Grünen halten still, obwohl das Thema schon an sich Streitpotenzial hätte und die aktuellen Umstände diese noch befeuern könnten. Sie fühlen sich zwar provoziert, zumal sie nach dem Scholz-Dekret schon genügend zu tun hatten, um die längeren Laufzeiten in den eigenen Reihen durchzusetzen. Aber sie verzichten auf eine öffentliche Auseinandersetzung, und das hat mehrere Gründe.
Zum einen setzen sie auf die Macht des Faktischen: Denn die Angst vor Stromausfällen, mit der die FDP im Herbst argumentierte, gibt es aktuell nicht. Wie Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, über die Berlin.Table am Donnerstag berichtet hatte, sind sechs von sieben Annahmen, mit denen die Laufzeitverlängerung gerechtfertigt wurde, bis heute nicht eingetreten. Das erschwert auch jeden Erklärungsversuch, wollte man nun neue Brennstäbe bestellen, die bei einer neuerlichen Laufzeitverlängerung zwingend nötig wären.
Zum anderen wollen die Grünen keinen Streit auf offener Bühne. Mit einem öffentlichen Widerspruch nämlich würden sie genau das tun, was den beiden anderen Ampelparteien aus unterschiedlichen Gründen am besten gefiele: Die FDP hätte einen Streit, also öffentliche Aufmerksamkeit. Und die SPD würde in die Rolle des Schiedsrichters schlüpfen, der am Ende zwischen den Streithähnen schlichten müsste. Diese Rolle wollen die Grünen dem Kanzler nicht ermöglichen. Und so sagt die Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann zum Thema nur zwei kurze Sätze. “Der Atomausstieg am 15. April steht”, so Haßelmann zu Berlin.Table. Und: “Der Kanzler hat dies mit seiner Richtlinienkompetenz bekräftigt.”
Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich am Abend noch wortkarger. Auf die Frage, ob es – wie von den Liberalen gefordert – eine neue Expertenkommission zum Thema geben werde, antwortet der Minister in der ARD mit einem einzigen Wort: “Nein.”
Welt: Mutmaßlicher Giftanschlag vereitelt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind möglicherweise einem terroristischen Giftanschlag zuvorgekommen. In Castrop-Rauxel haben sie zwei iranische Brüder festgenommen, offenbar nach einem Tipp des FBI. Sie sollen sich die Giftstoffe Rizin und Cyanid beschafft haben. Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) rief zu “höchster Wachsamkeit” auf, seit dem Jahr 2000 hätten die Ermittler in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert. Allerdings: Giftstoffe wurden bei dem Brüderpaar nicht gefunden. (“Iraner soll Giftgas-Anschlag geplant haben”, Seite 1)
Bundeshaushalt müsste 2025 um 8 Prozent gekürzt werden. Soviel würde es kosten, wenn der Bund die Sozialversicherungsbeiträge auf dem heutigen Niveau stabilisieren will. Der Finanzexperte Prof. Thiess Büttner und der “Wirtschaftsweise” Prof. Martin Werding warnen, ohne Reformen mit spürbaren Ausgabendämpfungen drohten massive Steuererhöhungen. (Mehr)
FAZ: Der Lärm der CSU – und die leise Suche nach Antworten. Es soll nicht um Integration, es soll um Strafe gehen: Der CSU kommen die Silvesterkrawalle von Berlin zu ihrer Klausur in Seeon zupass, notiert Timo Frasch. Bayern als Gegenmodell zum Babylon Berlin. Das kommt wie gerufen im Jahr der Landtagswahl. Auch um zu verdecken, dass auch die CSU bei Themen wie Integration oder Waffenlieferungen nach einem nachvollziehbaren Kurs sucht. Ob das einer der Gründe ist, warum sich trotz der Unzufriedenheit über die Koalition in Berlin auch bei den Zustimmungswerten für die CSU wenig tut? (“Der neue Sound von Seeon”, S. 2)
Tagesspiegel: Christian Lindner könnte Immunität verlieren. Die Korruptionsabteilung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüft die Aufhebung der Immunität von Christian Lindner: Das berichtet Jost-Müller Neuhof. Demnach verschwieg der Finanzminister bei der Erstellung eines Grußworts für eine Privatkundenbank Mitte 2022, dass er bei dem gleichen Institut einen Kredit für seinen privaten Hauskauf aufgenommen hatte. Weil er sich nach dem Grußwort dort einen weiteren Kredit habe geben lassen, drohe ihm nun ein Strafverfahren wegen Vorteilsannahme. Die Staatsanwaltschaft betont, es gebe noch keine Aussage über einen Anfangsverdacht. (“Lindner droht Strafverfahren”, Seite 1)
Süddeutsche: Trinkwasser – Konzerne bringen sich in Stellung. Während die Bundesregierung noch an einer nationalen Wasserstrategie arbeitet, schaffen Unternehmen wie Aldi Nord und Red Bull bereits Fakten. Warum sie sich Standorte sichern, um selbst Trinkwasser zu fördern, erklärt Uwe Ritzer: Der Klimawandel lässt den Grundwasserspiegel auch in Deutschland sinken. Die Ressource Wasser wird zum knappen Gut, und Aldi und Co. bereiten sich auf die Verteilungskämpfe vor. Wie der Klimawandel ist dieses Thema ressortübergreifend relevant. Die Verknappung zeigt, wie sehr Regulationen drängen. (“Wir wollen nichts böses. Nur euer Wasser”, S.13)
Fast überlesen
Zeit Magazin: Juli Zeh – Streitbar, aber erfolgreich. Wer eine Meinung abseits des Mainstreams vertritt, wird schnell gecancelt, ist über die Debattenkultur in Deutschland oft zu hören. Ein Gegenbeispiel dafür ist Juli Zeh. Die Autorin hat die Corona-Schutzmaßnahmen kritisiert, sie ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, und in ihrem aktuellen Roman freundet sich die Hauptfigur mit ihrem rechtsextremen Nachbar an. Aber trotzdem oder gerade deshalb ist Zeh eine der erfolgreichsten Autorinnen des Landes. Jana Simon hat im Zeit Magazin ein Porträt über eine zutiefst analytisch denkende Person geschrieben, deren inneren Widersprüche sich in Grauschattierungen auflösen, die man in den meisten Debatten auch finden kann, wenn man nur genau hinschaut. (“Am Schmerzpunkt”, 4. Januar 2023)
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Digitalisierung des Bundes: Große Ziele, kleine Fortschritte. Seit dem 1. Januar wird das Bundesgesetzblatt elektronisch verkündet, was nach offizieller Angabe jährlich rund 70 Millionen Seiten Papier einspart. Ein Erfolg für die Bundesregierung in einem Bereich, in dem sie Ziele bisher sonst oft verfehlt. Wie beim Onlinezugangsgesetz (OZG): Bis Ende 2022 sollten 575 Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger digital verfügbar sein. Nur gut 30 von ihnen können sie aktuell flächendeckend nutzen. Als einzige große Behörde gab die Bundesagentur für Arbeit Ende Dezember bekannt, sie erfülle die OZG-Vorgaben.
Bei der Regierung selbst geht es besser voran – wenn auch langsam. Marco Buschmann gab kürzlich bekannt, das Justizministerium habe als erstes Haus “digitale Workflows” etabliert und sei bei 100 Prozent digitaler Aktenführung. Ursprünglich war dies mit der “E-Akte Bund” für alle Ministerien und dem Kanzleramt schon zum 1.1.2020 vorgesehen. Jetzt soll es 2025 soweit sein und bis dahin unter anderem auch eine “Bundescloud” sowie ein einheitliches Personalverwaltungssystem geben. Ein im November gestarteter “Digitalcheck” soll den Verfasserinnen und Verfassern von Gesetzestexten außerdem “Prozesse, Methoden und Kompetenzen für die Erarbeitung digitaltauglicher Regelungen an die Hand (…) geben”.
Die “E-Akte Bund” gilt als Herzstück der Verwaltungsdigitalisierung. Laut dem federführenden Bundesinnenministerium hat sie bereits über die Hälfte der Bundesbehörden eingeführt. Bundestag und Bundesrat wollen dieses Jahr nachziehen. Daneben sind weitere Maßnahmen geplant, deren Umsetzung ein Lenkungsausschuss von BMI und BMF auf Staatssekretärsebene überwacht. Darunter: ein kollaborativer Texteditor für Regelungstexte, ein Modul zur Durchführung von Ressort- und Hausabstimmungen sowie eine interaktive Arbeitshilfe zur Gesetzesfolgenabschätzung.
Es bleiben aber Baustellen. Bis Ende 2024 soll eine elektronische Plattform stehen, über die die Gesetzgebung im Zusammenspiel zwischen Bundesregierung und beiden Parlamentskammern läuft. Für den Bundesrat stellt dieses Vorhaben derzeit die größte Herausforderung dar. Der Grund: ein neues Dateiformat, das in andere genutzte Formate umwandelbar sein muss.
Auch im Bundestag steht einiges an. Zunächst sind da die Faxgeräte, die schon zu Beginn der Legislaturperiode verschwunden sein sollten. Dieses Jahr werden aber auch die letzten dieser “Telefonendgeräte” ausgetauscht. In der Pilotphase befindet sich zudem ein Messenger für die Abgeordnetenbüros, Fraktionen und die Verwaltung. Darüber können sie, wenn alles klappt, direkt mit den Ministerien kommunizieren. Beim Papierverbrauch vermeldet auch das Parlament schon jetzt einen – kleinen – Fortschritt: Statt 31.648.500 Blatt Papier (A4, 2022) sollen 2023 schätzungsweise nur 30,5 Millionen benötigt werden.
Neue Gesichter am BVerfG: Kaum einer kriegt es mit. In Karlsruhe wird in diesen Monaten weitgehend geräuschlos fast die Hälfte des Bundesverfassungsgerichts ausgetauscht. Was damit zu tun hat, dass sich Union und SPD, Grüne und FDP in Berlin untereinander und ohne öffentliche Scheinwerfer auf die Neubesetzung verständigen.
Sieben der 16 Richterinnen und Richter werden ersetzt. Sie haben das Ende ihrer zwölfjährigen Amtszeit erreicht. Bereits nach Karlsruhe berufen sind Heinrich Amadeus Wolff (auf Vorschlag der FDP), Rhona Fetzer und Thomas Offenloch (SPD) sowie Martin Eifert (Grüne). Drei weitere Top-Juristinnen und -Juristen werden folgen, darunter zwei, für die sich die Union stark machen wird.
Damit setzt sich ein Trend fort. Während früher oft profilierte Persönlichkeiten nach Karlsruhe berufen wurden, etwa Roman Herzog, Udo di Fabio oder Ernst-Wolfgang Böckenförde, sind die Namen heute weniger prominent. Es sind Männer und Frauen mit Expertise und untadeligem Ruf, jedoch ohne ersichtlichem Eifer, sich in politische Prozesse einzumischen.
Die Richter werden von Bundestag und Bundesrat gewählt. Was Absprachen voraussetzt und zu eher konsensfähigen Kandidaten führt. Die im Sinne des Links-Rechts-Musters – bisher funktionierende – paritätische Besetzung der beiden Senate zwang diese zudem auch in heiklen Fragen zu kompromissorientierten Lösungen.
Hinzu kommt das Selbstverständnis der Juristen. Einmal gewählt, fühlen sie sich nicht mehr an mögliche politische Vorgaben “ihrer” Parteien gebunden. Würden sie politisch statt juristisch argumentieren, wäre ihr Ruf schnell ruiniert. So gilt der Erfahrungssatz: “Das Bundesverfassungsgericht prägt den Richter mehr als der Richter das Bundesverfassungsgericht.”
Doch das Parteiensystem ist vielfältiger geworden. Auch das Gericht wird heterogener werden. Fraglich ist etwa, ob sich AfD und Linke langfristig aus Karlsruhe fernhalten lassen. Das “Patt” zwischen moderatem Links und Rechts, das Kompromisse und Ausgewogenheit beförderte, könnte kippen – mit Folgen für Unabhängigkeit und Ansehen des Gerichts. Lesen Sie hier eine ausführliche Analyse zum Personalwechsel im Bundesverfassungsgericht.
SZ: Nach Krawallen und Reichsbürger-Razzia: Faeser will bestimmte Waffen verbieten
Tagesspiegel: Korruption durch Kredit? Lindner droht Strafverfahren
taz: Krieg ohne Weihnachtspause
Handelsblatt: “Mentalität des Kalten Kriegs” (Pekings Botschafter in Berlin)
Sächsische Zeitung: Weniger Organspenden in Sachsen
Zeit Online: Was wirklich beim Schlafen hilft
RND: Neuer US-Parlamentssprecher Kevin McCarthy: Ein Frontmann auf dem Schleudersitz
t-online: Chinas Corona-Katastrophe: Virologe warnt vor Fehler – und trifft düstere Prognose
GMX/Web.de: Christo Grozev: Der Journalist, den Putin fürchtet
Business Insider: Millionen-Strafe für Peloton: Verletzungen von Kunden nicht schnell genug gemeldet – ein 6-jähriges Kind kam ums Leben
SZ: Prinz Harrys Memoiren: “Nachtragendes Riesenbaby”
Welt: Iraner soll islamistischen Anschlag geplant haben – Hinweis soll vom FBI gekommen sein
FAZ: Bundesnetzagentur-Chef gibt Entwarnung für diesen Winter
Handelsblatt: Finnischer Rüstungskonzern will Bundeswehr-Radpanzer in Deutschland bauen
SPD-Fraktion: Schärfung des außenpolitischen Profils. Wenige Tage vor der Klausur am kommenden Wochenende feilen die Außenpolitiker der Fraktion an einer Standortbestimmung. In einem neunseitigen Positionspapier skizzieren sie die “Sozialdemokratische internationale Politik in der Zeitenwende”. Auffällig daran: Die Fraktion hält sich nicht lange mit Vergangenheitsbewältigung und möglichen Versäumnissen im Verhältnis zu Russland auf.
Der Ton des Papiers ist ein deutlich anderer als bei Co-Parteichef Lars Klingbeil. Der hatte in einer “Zeitenwende”-Rede im vergangenen Juni dazu aufgerufen, die “Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Mittelpunkt” zu rücken”. Für ihn, so Klingbeil damals, bedeute Friedenspolitik auch, “militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen”. Denn: “Nicht das Reden über Krieg führt zum Krieg, sondern das Verschließen der Augen vor der Realität.”
Davon ist in der Bundestagsfraktion nicht die Rede. Nur einmal findet die “konsequente Abschreckung” Erwähnung. Stattdessen plädieren die Abgeordneten für eine “aktive Diplomatie”, sie verlangen “wo immer möglich diplomatische Initiativen”. Ziel müsse ein Engagement sein, das “Verantwortung übernimmt und sich auf die Suche macht nach gemeinsamen Sichtweisen, Interessen und ‘Inseln der Kooperation'”. Die EU bleibe “der zentrale Rahmen deutscher Politik”. Es bedürfe jedoch “konkreter Schritte der Weiterentwicklung”.
Ein besonderes Augenmerk legt die Fraktionsspitze auf Südosteuropa. Zentraler Baustein einer souveränen EU solle “der Beitritt der Staaten des Westlichen Balkans” sein. Dabei machen die Genossen keine Unterscheidung zwischen Mazedonien, Albanien, Kosovo und Serbien. Letzteres ist besonders bemerkenswert, weil vor allem die Regierung in Belgrad seit längerem durch ihr ausgeprägtes Verständnis für Russland aufgefallen ist.
Und China? Ist für die Fraktion “ein systemischer Rivale“ geworden. Peking sei Kooperationspartner und “wirtschaftlicher Konkurrent”. Die Fraktion will auf “eine Reduzierung starker Abhängigkeiten” hinarbeiten und lenkt den Blick auf die Staaten im “Indo-Pazifik”. Sie sollen helfen, Lieferketten zu diversifizieren und überhaupt die Chancen der Region breiter zu nutzen.
Strack-Zimmermann: “Feministische Außenpolitik ist zeitgemäß”. Als Verteidigungspolitikerin hat sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann einen Namen gemacht; als Verfechterin für mehr Frauen in der Politik eher nicht. Das aber ändert sich im Interview mit dem Berlin.Table: Hier spricht sie über die Gründe für den aktuellen Männer-Überhang in der FDP, fordert eine strenge 50:50-Selbstverpflichtung, schildert die Probleme, Frauen für ihre Partei zu gewinnen und verweist darauf, dass es Frauen in der CDU, der SPD und bei den Grünen deutlich leichter hätten.
Ihre Begründung: Frauen in anderen Parteien gehen ein viel kleineres Risiko ein, wenn sie sich politisch engagieren. In der FDP dagegen seien viele der Frauen Akademikerinnen und Selbstständige, die es sehr viel schwerer hätten, im Falle eines Scheiterns oder Ausscheidens in ihren Beruf zurückzukehren. Dies gelte für Frauen bei CDU, SPD oder den Grünen längst nicht so, weil Frauen dort – je nach Parteifarbe – durch Ehemann, Gewerkschaft oder Parteiapparat abgesichert seien.
Eine feste Quote hält sie für falsch; eine strenge Selbstverpflichtung auf eine 50:50-Verteilung dagegen für umso wichtiger. Dass sie selbst inzwischen für viele junge Frauen bei den Liberalen als role model gilt, mache sie stolz und “baff erstaunt”, aber nicht übermütig. Sie unterstützt offen das Ziel einer feministischen Außenpolitik, weil das “die weibliche Sicht auf die Welt, ihre Krisen und die Antworten darauf” möglich mache. Was sie über sich, die Partei, Annalena Baerbock und Alice Schwarzer denkt, lesen Sie hier im Interview.
China.Table: FDP-Delegation reist nach Taiwan. Die verteidigungspolitische Sprecherin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat sich am Sonntag mit anderen Abgeordneten auf den Weg nach Taiwan gemacht. Co-Delegationsleiter Johannes Vogel sieht die Reise als Statement der FDP im Systemwettbewerb mit China. Im Interview mit Finn Mayer-Kuckuck spricht er sich für eine internationale Einbindung Taiwans und bessere wirtschaftliche Vorbereitung auf einen Krisenfall aus. Mehr
Europe.Table: Frankreich erwartet Proteste gegen Rentenreform. Seit Jahren will Emmanuel Macron das französische Rentensystem reformieren und das Rentenalter anheben. Morgen soll der Reformentwurf vorgestellt werden – und könnte Unruhen wie zur Zeit der Gelbwesten-Proteste auslösen, berichtet Tanja Kuchenbecker aus Paris. Mehr
Bildung.Table: Einigung beim Ganztagsausbau in Sicht. Von 2026 an greift stufenweise der Ganztagsanspruch für Grundschüler. Der Bund investiert Milliarden, dennoch mahnen die Kommunen weiter: Die Zeit reiche nicht. Eine Anfrage der Unionsfraktion, die Moritz Baumann vorliegt, offenbart nun: Die Bundesregierung will an ihrem Zeitplan festhalten. Eine wichtige Vereinbarung zwischen Bund und Ländern stehe “kurz vor dem Abschluss.” Mehr
Informationen am Morgen (Deutschlandfunk):
ca. 6:50 Uhr: Gilda Sahebi, Publizistin: Hinrichtungen und Proteste im Iran
ca. 7:14 Uhr: Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlands (SPD): SPD-Zögerlichkeit in Kriegszeiten
ca. 8:10 Uhr: Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU: Coronatests für Reisende aus China
ZDF-Morgenmagazin (ZDF):
6:35 Uhr: Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin Deutscher Mieterbund: CO2-Abgabe für Mieter/Vermieter
7:05 Uhr: Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen (CDU): Versuchter Anschlag in Castrop-Rauxel
8:05 Uhr: Saskia Esken, Ko-Vorsitzende der SPD: Jahresauftaktklausur
Montag, 9. Januar
Monika Grütters, MdB (CDU), 61
Isabel Cademartori, MdB (SPD), 35
Cornelia Möhring, MdB (Linke), 63
Jobst-Hinrich Ubbelohde, Staatssekretär für Europa im Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg und Beauftragter für Brandenburgisch-Polnische Beziehungen, 58
Dienstag, 10. Januar
Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär (CDU) im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, 60
Ann-Veruschka Jurisch, MdB (FDP), 51
Montag, 9. Januar
Grüne: Klausur des Bundesvorstands. 9.30 Uhr, GLS-Campus Berlin (bis Dienstag)
SPD: Abschluss der Jahresauftaktklausur von Präsidium und Parteivorstand, Pressekonferenz mit Lars Klingbeil und Franziska Giffey/Wahlkampfauftakt der Berliner SPD mit Franziska Giffey und Olaf Scholz. 12.45 Uhr/17 Uhr, Willy-Brandt-Haus
“Hart aber fair”: Erste Sendung mit neuem Moderator Louis Klamroth; zu Gast: Lars Klingbeil, Jens Spahn, Monika Schnitzer und andere. 21 Uhr, Das Erste
Mittwoch, 11. Januar
Bundespressekonferenz: Vorstellung des “13. Bericht – Lagebericht Rassismus in Deutschland” durch Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus. 12 Uhr, Bundespressekonferenz
Donnerstag, 12. Januar
Bundespräsident: Neujahrsempfang von Frank-Walter Steinmeier für das Diplomatische Korps. 11 Uhr, Schloss Bellevue
Militär: 1. Deutsch-Niederländisches Corps übernimmt von Frankreich das Kommando über die Landanteile der Nato Response Force (NRF). 14 Uhr, Münster
Linke: Jahresauftakt-Klausur der Bundestagsfraktion. 13 Uhr, Leipzig (bis Freitag)
Freitag, 13. Januar
CDU: Klausurtagung des Bundesvorstands, Eingangsstatement mit Generalsekretär Mario Czaja. 17.30 Uhr, Weimar (bis Samstag)
Sie sind mit der Vorbereitung auf die kommende Woche fertig und wollen noch ein bisschen Unterhaltung? Dann empfehlen wir heute Günter Gaus und Hannah Arendt. Im Auge eines Shitstorms gelassen bleiben – eine Lektion dazu gibt eines der besten Interviews im deutschen Fernsehen. Arendt steht 1964 nach der Veröffentlichung ihres Reports über den Eichmann-Prozess, in dem die These von der “Banalität des Bösen” ihren Ursprung hat, im Kreuzfeuer. Jüdische Verbände werfen ihr vor, herzlos zu sein und das jüdische Volk nicht zu lieben. Im Studio folgt darauf eine Diskussion über das Wesen von Politik und warum man Kollektive überhaupt nicht lieben sollte. Arendt zündet sich eine Zigarette nach der anderen an, zieht daran bedächtig, bevor sie mit knarziger Stimme die nächste Antwort gibt. Es lohnt sich, hin und wieder diese gute Stunde mit der Jahrhundertdenkerin zu verbringen. Mit etwas Übung kann man sich bei der nächsten großen Aufregung auf Twitter gedanklich auch erst einmal in Ruhe eine Zigarette anzünden. Meistens finden sich danach bessere Antworten.
Das war’s für heute. Das nächste Late-Night-Memo erhalten Sie am Dienstagabend.
Good night and good luck!
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