Analyse
Erscheinungsdatum: 08. Januar 2023

"Ich will die Schuld nicht auf andere schieben"

Peter Altmaier
Blockade bei der Energiewende, Naivität im Umgang mit Russland, Probleme beim Abschied von der Macht: Peter Altmaier muss derzeit viel Kritik lesen – über sich selbst und die Regierungen, denen er angehörte. Im Interview mit dem Berlin.Table räumt er Versäumnisse beim Klimaschutz ein. Beim Thema Russland will er momentan nicht über politische Fehler der Vergangenheit zu streiten. „Diese Diskussion können wir führen, wenn die Ukraine diesen Krieg erfolgreich beendet hat.“

Berlin.Table: Herr Altmaier, kurz vor Weihnachten ist im Spiegel ein nicht sehr schmeichelhaftes Porträt von Ihnen erschienen. Haben Sie überhaupt noch Lust, sich mit Journalisten zu treffen?

Peter Altmaier: Als Politiker in führender Stellung muss man akzeptieren, dass man Gegenstand der öffentlichen Debatte ist, auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Und aus Respekt vor der Pressefreiheit bewerte ich grundsätzlich keine einzelnen Artikel. Aber wenn ich jetzt beim Sortieren meiner Akten die vielen tausend Interviews, Porträts, Kommentare und Karikaturen betrachte, dann ist meine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Journalisten insgesamt eine sehr positive.

Im genannten Porträt entstand der Eindruck, Sie suchen nach Ende Ihrer Politiker-Karriere verzweifelt nach Beschäftigung.

Im Gegenteil: Ich wollte nach dem Ausscheiden aus dem Amt zunächst Abstand gewinnen und habe mich deshalb nicht aktiv um Termine bemüht. Aus den vielen Anfragen, die seither an mich herangetragen worden sind, habe ich sorgfältig ausgewählt. Ich bleibe natürlich ein politischer Mensch, aber mein neues Leben wird nicht völlig von Politik beherrscht.

Wie sieht das konkret aus?

Als ich von der oberösterreichischen Wirtschaftskammer zu einem Vortrag nach Linz eingeladen worden bin, habe ich auf dem Rückweg zum Beispiel in Donaustauf Station gemacht und mir die Walhalla angeschaut. Oder als ich für einen Vortrag in London war, das British Museum. Ich treffe mich wieder mehr mit Freunden und Bekannten, beschäftige mich mit grundsätzlichen Fragen statt mit der Hektik der Tagespolitik. Das sind Möglichkeiten, die es früher nicht gab.

Gleichzeitig müssen Sie doch auch einen Verlust empfinden: Sie waren die letzten 16 Jahre in der Regierung, und jetzt können Sie nur noch zuschauen.

Es war meine eigene Entscheidung, aus der Politik auszusteigen.

Nicht ganz. Sie haben die Wahl verloren.

Ja, wir haben die Regierungsbeteiligung verloren. Aber für den Bundestag war ich wiedergewählt und hätte mein Mandat wahrnehmen können – so wie auch andere Minister das tun. Ich habe aber für mich entschieden, einen klaren Schnitt zu machen. Ich habe mein Mandat nicht angenommen, weil ich wollte, dass ein jüngerer Abgeordneter aus dem Saarland nachrücken kann. Der nächsten CDU-Regierung hätte ich ohnehin nicht mehr angehört: In drei Jahrzehnten Politik habe ich meine Milch gegeben, wie man etwas altmodisch sagt.

Haben Sie diese Entscheidung mal bereut?

Nein. Solange ich in der Politik Verantwortung getragen habe, habe ich es mit Verve getan und mich nicht geschont. Ich bin überzeugt, dass ich den physischen und psychischen Anforderungen gerade auch in Krisensituationen stets gewachsen war. Aber nach meinem Ausscheiden ist mir doch klar geworden, dass die Batterien nicht mehr voll aufgeladen waren – und sich auch nicht mehr voll aufgeladen haben, wenn ich mal ein paar Tage frei hatte.

Und jetzt?

Es ist nicht einfach, von Höchstgeschwindigkeit auf Privatier runterzuschalten. Im ersten halben Jahr bin ich fast jeden Morgen zwischen 5 und 6 Uhr aufgewacht. Das hat sich zum Glück inzwischen gelegt, und ich spüre jetzt, dass ich viel gründlicher erholt bin und mich auch viel gesünder und leistungsfähiger fühle als in den letzten Jahren.

Die Regierung, der Sie angehörten, ist ungewöhnlich schnell und heftig in die Kritik geraten. Im Bezug auf den russischen Angriff auf die Ukraine werden alle Versäumnisse bei der Union abgeladen. Wie sehr schmerzt das?

Der russische Überfall auf die Ukraine ist aus meiner Sicht die größte Zivilisationskatastrophe in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ich habe schon direkt nach Ausbruch des Krieges in einem Tweet erklärt, dass ich, solange dieser Angriff auf die Ukraine andauert, weder meine eigene Bundesregierung noch die EU oder die Nato und schon gar nicht die Ukraine kritisieren werde.

Warum das?

Weil ich der Überzeugung war und bin, dass man jetzt alle Möglichkeiten mobilisieren muss, um Menschenleben zu retten und der Ukraine zu helfen. Alles, was die westlichen Institutionen schwächt, hilft Putin. Aber ich gebe zu: Das hat mich in eine unkomfortable Lage gebracht, wenn andere die Politik der Vorgängerregierung pauschal in die Tonne treten. Trotzdem glaube ich, dass dies für einen ausgeschiedenen Politiker in dieser Situation die richtige Herangehensweise ist. Solche außergewöhnlichen Herausforderungen sind immer auch der Moment, wo der politische Streit, der der Normalfall der Demokratie ist, eine Zeit lang zurückstehen muss.

Andere sehen das offenbar anders und machen die Regierung Merkel für alle Fehler verantwortlich. Nervt Sie das nicht?

Natürlich rührt sich dann mein Gerechtigkeitsgefühl. Aber das ist nicht die entscheidende Richtschnur. Was hilft es der Ukraine, wenn ich jetzt öffentlich darauf hinweisen würde, dass die CDU 2017 die einzige Partei war, die die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels bei den Verteidigungsausgaben ins Regierungsprogramm geschrieben hat, und zwar gegen heftige Kritik von Linken, Grünen und SPD? Dafür ist jetzt nicht der Augenblick. Diese Diskussion können wir führen, wenn die Ukraine diesen Krieg erfolgreich beendet hat – das heißt mit ihrer territorialen Integrität und demokratischen Freiheit.

Trotzdem die Frage: Werfen Sie sich heute etwas vor – zu viel Naivität im Umgang mit Putin zum Beispiel?

Es gab über Jahre unterschiedliche Auffassungen zu Nord Stream 2. Es gab unterschiedliche Positionen, wie man mit den Sanktionen aufgrund der Krim-Annexion umgehen soll. Wir haben sie übrigens nie aufgehoben, obwohl der politische Druck groß war. Es gab unterschiedliche Einschätzungen, wie intensiv der Kontakt zu Putin sein sollte. Aber für mich ist die entscheidende Frage immer: Hätte eine dieser Entscheidungen den Krieg verhindern können? Ich glaube, man kann verstehen, dass ich darauf auch jetzt keine Antwort formulieren will, weil es sofort wieder Debatten auslöst. Dafür haben wir ausreichend Zeit, wenn der Krieg vorbei ist.

Auch bei einem anderen Thema stehen die letzten Regierungen – und Sie als Person – nachträglich in der Kritik: Sie gelten in Teilen der Öffentlichkeit als der Blockierer der Energiewende, der daran schuld ist, dass wir bei Klimaschutz und Energieunabhängigkeit nicht ausreichend vorangekommen sind.

Ich muss als Politiker akzeptieren, dass andere über meine Leistung urteilen.

Wie sehen Sie es selbst?

Als ich 2012 Umweltminister wurde, habe ich mich ohne Wenn und Aber zum Klimaschutz bekannt, was mir auch in den eigenen Reihen viel Kritik eingebracht hat. 2013 hätte ich mir eine Koalition mit den Grünen gewünscht. Diese ist nicht an klimapolitischen Fragen gescheitert, sondern an anderen Themen. Stattdessen gab es dann von 2013 bis 2018 die Große Koalition, bei der die Klimapolitik etwas in den Hintergrund getreten ist – auch weil das Thema in der öffentlichen Debatte damals kaum Unterstützung hatte. Das hat sich erst geändert, als wir den unglaublich heißen, trockenen Sommer 2018 hatten – und als Greta Thunberg die jungen Menschen auf die Straße gebracht hat.

Die waren mit Ihrer Politik extrem unzufrieden.

Ja, und das kann ich verstehen. Ich habe mich in einem Papier über Klima und Wirtschaft, das ich 2020 in eigener Verantwortung vorgelegt habe, dafür entschuldigt, dass wir den Erwartungen der jungen Menschen nicht entsprochen haben, nämlich sicherzustellen, dass wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens einhalten.

Was genau werfen Sie sich vor?

Es gibt zwei Ereignisse, die wir aus heutiger Sicht kritisch hinterfragen müssen: Zum einen die Einsetzung der sogenannten Kohlekommission. Da war durch den parteiübergreifenden Widerstand der ostdeutschen Bundesländer kein früherer Ausstiegstermin als 2038 durchsetzbar. Es war für die Vertreter der jungen Generation eine Kampfansage, dass das „Kohlezeitalter“ noch einmal bis zu 18 Jahre dauern sollte. Zum anderen der Einstieg in die CO2-Bepreisung für Wohnen und Verkehr: Da haben wir uns in einer Nachtsitzung im Koalitionsausschuss auf den Betrag von 10 Euro pro Tonne geeinigt, die schon aus Sicht der Wirtschaftsweisen völlig ungeeignet waren und aus Sicht der jungen Generation eine weitere Provokation darstellten. Ich sage dazu nur so viel: Ein höherer Preis ist damals nicht an der CDU und auch nicht an mir als Bundeswirtschaftsminister gescheitert.

Die Proteste sind seitdem radikaler geworden; heute kleben sich Menschen an Straßen und Gemälde, weil die Regierung keine Politik macht, die mit dem 1,5-Grad-Ziel im Einklang steht. Können Sie das verstehen?

Obwohl ich keine Kinder habe, habe ich gute Kontakte zur jungen Generation. Aber bei den Klimaklebern fehlt mir das Verständnis. Für mich geht es gar nicht, das Gewaltmonopol des Staates zu verletzen. Das kann der Staat nicht tolerieren.

Sie können die Sorge und die Frustration nicht verstehen?

Doch natürlich: Das Anliegen, das Klima zu schützen, ist mehr als berechtigt. Aber niemand hat in der Demokratie das Recht, sich über Gesetze hinwegzusetzen. Und wenn jetzt die Politik vor einem Jahrzehnt kritisiert wird, muss man auch berücksichtigen, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse verändert haben. Noch bis 2010 war das 2-Grad-Ziel die offizielle Leitschnur; erst später wurde es auf 1,5 Grad verschärft. Und da stellt sich schon die Frage, wie das überhaupt noch zu erreichen ist. Selbst die Grünen fordern ja nicht die Klimaneutralität bis 2035, die dafür nötig wäre.

Auch beim Ausbau der Erneuerbaren gelten Sie als der große Bremser. Oder lag das eher am Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion?

Ich will die Schuld nicht auf andere schieben, sondern einfach erläutern, wie es war. 2012 hatten wir einen sehr bedeutenden Ausbau der Fotovoltaik. Die war damals wegen der hohen Fördersätze noch sehr teuer, und der Anstieg der EEG-Umlage auf rund 25 Milliarden Euro pro Jahr hat die Akzeptanz der Energiewende insgesamt gefährdet. Darum haben wir die Fördersätze abgesenkt. Das war damals gewollt von einer Mehrheit von SPD, Union und FDP. Die Landesregierungen mit Beteiligung der Grünen haben das Gesetz im Bundesrat ebenfalls passieren lassen.

Und der Einbruch bei der Windenergie?

Der liegt nicht, wie oft behauptet wird, an der Umstellung auf das Auktionsmodell, sondern daran, dass die Planungs- und Genehmigungszeiten immer länger wurden und schlicht und ergreifend nicht genug baureife Projekte vorlagen. Ich habe damals versucht, Änderungen im Naturschutz- und Planungsrecht vorzunehmen, aber das war mit dem SPD-geführten Umweltministerium leider nicht machbar. Robert Habeck hat das jetzt entschlossen umgesetzt. Dafür bin ich ihm dankbar.

Sind Sie eigentlich neidisch auf Habeck? Unter seiner Führung gilt das Wirtschaftsministerium plötzlich als Powerhouse der Regierung.

Neidisch bin ich nicht, aber ich hätte mich gefreut, wenn ich eine ähnliche Kompetenzfülle als Minister auch gehabt hätte. Habeck hat den großen Vorteil, dass er neben dem Amt des Wirtschaftsministers auch Vizekanzler ist. Damit kann er in den Beratungen des Koalitionsausschusses die Position der Grünen viel besser durchsetzen.

Haben Sie Kontakt zu ihm?

Wir haben uns vor und bei der Amtsübergabe getroffen, danach nicht. Aber das ist auch logisch. Als ich Minister war, habe ich als politisches Alphatier auch nicht ständig meine verschiedenen Vorgänger gefragt, wie ich dies oder das entscheiden soll. Ich gebe keine Kommentare vom Spielfeldrand, aber ich bin mir aber mit Robert Habeck einig, dass wir bei Klimaschutz und Energiewende in allen Sektoren und Bereichen deutlich besser werden müssen.

(Alle Fotos in diesem Interview stammen von Berlin.Table-Redakteur Malte Kreutzfeldt, der Altmaiers Arbeit über zehn Jahre lang journalistisch begleitet hat.)

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!