wir begrüßen Sie zum Berlin.Table, dem Late-Night-Memo für die Hauptstadt.
Vielleicht hatte Robert Habeck eine Ahnung, wie der Koalitionsausschuss ausgehen würde. Vielleicht hat er deshalb vergangene Woche mit dem Finger auf die Koalitionspartner gezeigt. Und gut möglich, dass das bis zum Ende dieser Legislatur das Mantra der Grünen sein wird: Das waren nicht wir, das waren die.
Ob es aufgeht, weiß niemand. Wir analysieren in dieser Ausgabe, wie Rote und Gelbe den Klimaschutz den Grünen überlassen und welches Risiko sie damit eingehen. Außerdem berichten wir über die Sicht vieler EU-Staaten auf Ähnlichkeiten zwischen Olaf Scholz und Markus Söder. So wie Bayern anderen Bundesländern die Lehrer abjagen will, will Deutschland anderen EU-Ländern die Fachkräfte wegschnappen. Das kann in Brüssel und anderswo noch für viel Ärger sorgen. Und dazu schauen wir – pünktlich zu Ostern – auf ein Hickhack um bebrütete Eier.
Viel Vergnügen bei der Lektüre.
Heute haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Annette Bruhns, Enno Eidens, Josephin Hartwig, Horand Knaup, Falk Steiner und Vera Weidenbach mitgewirkt. Wir freuen uns über Ihr Interesse.
Ampel: Die strategische Neuaufstellung
Ampel: Die strategische Neuaufstellung. Der Ampel droht nach dem rekordverdächtigen Koalitionsausschuss eine massive atmosphärische Veränderung. Vor allem auf die Grünen wächst der Druck, ihre Strategie neu auszurichten. Bislang verstanden sie sich als Stabilisatoren der Koalition und hatten den energischeren Kampf gegen den Klimawandel in die Zukunft verschoben. Angesichts der deutlichen Kritik von Umweltverbänden und NGOs könnten sie der eigenen Glaubwürdigkeit wegen nun gezwungen sein, deutlich auf FDP und SPD zu zeigen, um die Verantwortung für die aufgeweichten Klimaschutzpläne kenntlich zu machen.
Die FDP erlebt seit Dienstag eine Phase der Entspannung. Nach innen ist sie stabilisiert, nach außen versuchen Christian Lindner und Co, sich als kluge Kontrolleure einer aus ihrer Sicht übertriebenen Verbotspolitik zu präsentieren. Aber die Liberalen bewegen sich strategisch auf schmalem Grat. Mehr denn je hat das Ergebnis des Ausschusses deutlich gemacht, dass Klimaschutz von den Grünen abhängt. Sollte das Jahr trocken und heiß werden, kann aus dem aktuellen Bonus schnell ein Malus werden.
Der Kanzler muss um sein Image fürchten. Noch im letzten Bundestagswahlkampf hat sich Olaf Scholz zum Klimakanzler ausgerufen. Nach dem Koalitionsausschuss ist dieses Etikett kaum noch zu halten. Auch aus Furcht vor Protesten und dem Populismus des Boulevards bremste der Regierungschef manchen Grünen-Vorschlag. Das kann dem Kanzler aktuell manchen Ärger ersparen. Aber wie die Wähler das in ein paar Monaten sehen, ist völlig offen.
Robert Habecks Glaubwürdigkeit kann zur Schlüsselfrage werden. Das Ringen um das Ansehen des Grünen-Ministers wird sich verschärfen. Dabei werden zwei Fragen über die Kräfteverhältnisse in der Ampel entscheiden: Verliert Habeck an Ansehen, weil sich der Eindruck breitmacht, er könne sich nicht durchsetzen, wird das FDP und Kanzler stärken. Nehmen die Menschen ihm dagegen ab, dass er zwar alles versucht, aber SPD und FDP ihn ausbremsen, könnte es auch umgekehrt laufen – und er am Ende gestärkt aus alledem hervorgehen. Eine ausführliche Analyse zur Lage der Ampel lesen Sie hier.
Einwanderung: Deutscher Alleingang ärgert EU-Partner
Einwanderung: Deutscher Alleingang ärgert EU-Partner. Deutschland braucht dringend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt – aus der Europäischen Union und aus Drittstaaten; etwa zusätzliche 400.000 neue Arbeitskräfte jedes Jahr. Dafür soll das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung sorgen, das am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde. In der EU jedoch werden die Pläne als Alleingang bewertet. Denn auch in anderen europäischen Staaten wie Italien, Finnland und Estland ist der demografische Wandel bereits zu spüren und das Interesse an ausländischen Arbeitskräften hoch. Durch nationale Regelungen wie der deutschen werden gemeinsame Spielregeln im Wettbewerb um Arbeitskräfte schwieriger.
Der Arbeitskräftemangel ist ein paneuropäisches Problem. Der rumänische EVP-Abgeordnete Siegfried Mureșan begrüßte zwar die deutsche Initiative. Er sieht darin eine Chance, die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Fachkräften in Südeuropa abzubauen. Er mahnt aber auch: “Fachkräfte dürfen nur da abgeworben werden, wo sie gerade am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden.” Doch darauf nimmt der deutsche Gesetzentwurf wenig Rücksicht. Die komplette Analyse lesen Sie hier.
Presse-Briefing von morgen
30. März Presseschau
FAZ: Mehr Straftaten erfasst. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hat sich die Zahl der registrierten Fälle im vergangenen Jahr gegenüber 2021 um 11,5 Prozent auf mehr als 5,6 Millionen erhöht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärt dies mit dem weitgehenden Wegfall der Pandemiebeschränkungen, berichtet Helene Bubrowski. Das könne den Anstieg aber nicht allein erklären, da die Zahl der Taten auch im Vergleich zu 2019 um 3,5 Prozent höher liege. (“Nicht nur ‘Nach-Corona-Effekt’”, Seite 2)
Bund kassiert Millionen für unbesetzte Pflegestellen. Ein Sofortprogramm der Bundesregierung soll mehr Personal in die Altenpflege bringen. Doch tausende der geplanten Stellen stehen weiter frei. Trotzdem muss die Private Pflegeversicherung dafür zahlen – auf Kosten der Versicherten. In ihrem Namen fordert der PKV-Verband die Rückzahlung der ungenutzten Gelder. (Mehr)
SZ: Ein selbstbewusster Streikführer. Verdi-Chef Frank Werneke hat am Montag nicht nur den größten Verkehrsstreik seit 1992 angeführt, sondern auch die Verhandlungen mit den Arbeitgebern platzen lassen. Im Interview mit Alexander Hagelüken und Benedikt Peters erfährt man einiges über plötzliche Wendungen in der Verhandlungsstrategie der Arbeitgeber und was man sonst zu dem brodelnden Arbeitskampf gerade wissen muss. (“Niemand will gebückte Gewerkschaften”, Seite 6)
Taz: Mehrweg meistens Mangelware. Seit Anfang des Jahres müssen Einzelhändler, die Lebensmittel verkaufen, Mehrweg-Alternativen bieten. Die Deutsche Umwelthilfe hat das überprüft und kommt zum Schluss, dass viele Unternehmen die Auflage bisher nicht oder nur unzureichend umsetzen, schreibt Heike Holdinghausen. Der Verband will nun eine Sammelklage gegen Starbucks, Edeka, Rewe, Cinestar und Yormas einreichen. (“Zu wenig Mehrweg gegen Müllberg”, Seite 8)
Tagesspiegel: Klagen für Klimaschutz. Die Anwältin und Hamburger Landesverfassungsrichterin Roda Verheyen spricht mit Armin Lehmann darüber, wie sie Staaten und Konzerne juristisch zur Verantwortung ziehen will. Klimaschutz sei ein Menschenrecht, sagt sie. Sie war eine der Prozessbevollmächtigten bei der erfolgreichen Klage gegen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht 2021. Aktuell ist sie an ähnlichen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beteiligt. (“Leider haben wir viel Zeit verloren”, Seite 16)
Abtreibungsverbot: Kommission prüft § 218
Abtreibungsverbot: Kommission prüft §218. Im Zentrum der Beratung von 18 Expertinnen und Experten, die morgen beginnt, steht die Frage, wie es mit dem Paragrafen 218 weitergehen soll. Grundsätzlich stellt er immer noch Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass eine Regulierung “außerhalb des Strafgesetzbuches” geprüft werden soll.
Die Kommission ist überwiegend mit Professorinnen besetzt. 15 der 18 Mitglieder sind Frauen, aus den Fachgebieten Medizin, Ethik, Verfassungsrecht, öffentliches Recht und Familienrecht. Die bekannteste ist Bioethikerin Christiane Woopen, die die Bundesregierung bereits in der Datenethikkommission beraten hat. Die Kommission soll nicht nur Fragen zum Schwangerschaftsabbruch klären, sondern auch, ob in Deutschland Eizellspende und Leihmutterschaft legalisiert werden sollen. Nach einem Jahr sollen Ergebnisse vorliegen.
DieFDP steht einer Streichung skeptisch gegenüber. Was das für den Paragrafen 218 und den vor 30 Jahren mühsam gefundenen Kompromiss – dass Frauen eine Schwangerschaft unter bestimmten Voraussetzungen straffrei abbrechen können – bedeutet, ist erst einmal offen. Familienministerin Lisa Paus hatte im letzten Jahr, als die Regierung den Paragrafen 219a und damit das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aus dem Gesetzbuch strich, angekündigt, auch den Paragrafen 218 zu überprüfen. Die FDP meldete damals bereits Bedenken an, ihre rechtspolitische Sprecherin Katrin Helling-Plahr spricht sich gegen eine ersatzlose Streichung aus.
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider. Jetzt kostenlos registrieren.
Charles III:Erster König im Deutschen Bundestag. Noch vor seiner Krönung ist der britische Monarch zum Staatsbesuch nach Deutschland gekommen. Die ersten zwei Tage voller Termine in Berlin sind bereits vorbei: Der König und Königin-Gemahlin Camilla trafen die gesammelte deutsche Polit-Prominenz. Charles’ Sorge um die Sicherheit Europas und die Herausforderungen in der deutsch-britischen Zusammenarbeit nach dem Brexit standen im Vordergrund des Besuchs. Im Bundestag hielt der König eine Rede; als erstem Monarchen überhaupt wurde ihm diese Ehre zuteil. Mehr Details lesen Sie hier.
Sprachforscher: Haushaltsreden überwiegend verständlich. Wissenschaftler der Universität Hohenheim haben Haushaltsreden im Bundestag auf ihre Verständlichkeit analysiert. Der Gesamteindruck sei erstaunlich positiv, sagt Studienleiter Frank Brettschneider. Die Kommunikationswissenschaftler untersuchten die Haushaltsreden von 96 Bundestagsabgeordneten von September 2022. Der Hohenheimer Verständlichkeitsindex analysiert die jeweilige Wort- und Satzkomplexität und errechnet daraus einen Verständlichkeitswert von 0 (unverständlich) bis zu 20 (sehr gut verständlich). Formales Verständnis sei dabei klar von der inhaltlichen Dimension einer Rede zu trennen. “Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist”, sagen die Forscher.
Mit einem Durchschnittswert aller Reden von 15,3 liegen die Politiker zwischen DAX-Hauptversammlungsreden (14,3) und Hörfunknachrichten (rund 16). Pro Person wurde eine Rede bewertet. Dabei gab es große Unterschiede. Die verständlichste Rede hielt die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (18,4), die am schwersten verständliche Umweltministerin Steffi Lemke (8,6). Bewertet wurden unter anderen auch Robert Habeck (16,8), Olaf Scholz (16,3), Friedrich Merz (15,4) und Christian Lindner (14,1). Beim Partei-Ranking landet Die Linke mit 16,6 auf dem ersten, die FDP mit 14,3 auf dem letzten Platz. Interessant ist der Blick auf Wort- und Satzkomplexität. Die Rede von Annalena Baerbock weist eine hohe Satzkomplexität auf, bei geringer Wortkomplexität. Im Klartext: Sie bevorzugt lange Sätze mit vielen Informationen, vorgetragen in einfachen und kurzen Worten.
Die Uni Hohenheim gibt den Politikern ein paar praktische Tipps. Nicht alle langen Worte ließen sich vermeiden, beispielsweise das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz. Andere, wie die “Orchideenfächerabsolventen” (Nicole Höchst, AfD) hingegen schon. Und einen generellen Tipp zur Satzkomplexität hat Brettschneider im Blick auf den verstorbenen Sprachpapst Wolf Schneider noch: “Ein Gedanke, ein Satz – nächster Gedanke, nächster Satz.” Dem Publikum empfiehlt er, sich “häufiger mal die Originaldebatten im Bundestag anzuhören” – und nicht nur deren journalistisch zugespitzte Zusammenfassung.
Friedrich Merz
Olaf Scholz
Aus den Professional Briefings
30. März Professionals
Bildung.Table: Fachleute starten KI-Kompetenzzentrum. Während eine Strategie der Kultusminister noch aussteht, schließen sich führende Experten um die Professorin Doris Weßels in einem eigenen Netzwerk zusammen – um reagieren zu können, wenn die nächste ChatGPT-Version die Schulen überrollt. Mehr
China.Table: Von der Leyen zeigt klare Kante gegenüber Peking. In einer konfrontativen Grundsatzrede zur China-Politik der EU hat die Kommissionspräsidentin ein neues politisches Instrument ins Spiel gebracht, das den Abfluss “sensibler Technologien” verhindern soll. In Peking kommt das schlecht an – und selbst in Brüssel spalten sich die Geister. Von der Leyen wird nächste Woche zu Gesprächen in der Volksrepublik erwartet. Mehr
Morgeninterviews am 30. März
30. März Morgeninterviews am 31. März
Informationen am Morgen (Deutschlandfunk)
ca. 6:50 Uhr: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschuses: Beschaffungswesen der Bundeswehr
ca. 7:14 Uhr: Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen: Flüchtlingsunterbringung vor Ort
ca. 8:10 Uhr: Katja Mast, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD: SPD-Themen im Koalitionsausschuss
ARD-Morgenmagazin (Das Erste)
7:10 Uhr: Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlands: Saarländische Initiative zur Kindergrundsicherung
7:15 Uhr: Matthias Platzeck, ehemaliger Ministerpräsident von Brandenburg: Schlichtung im Tarifkonflikt
Informationen am Morgen (rbb24-Inforadio)
ca. 6:45 Uhr: Merle Spellerberg, MdB (Grüne): Drohung mit Atomwaffen in Belarus
ca. 7:25 Uhr: Guido Beermann, Verkehrsminister von Brandenburg: 49-Euro-Ticket
ca. 09:05 Uhr: Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes: Osterferien – wie viel Lust haben die Deutschen zum Verreisen?
Erik von Malottki, MdB (SPD), 37 / Robin Mesarosch, MdB (SPD), 32 / Stephan Stracke, MdB (CSU), 49 / Kathrin Henneberger, MdB (Grüne), 36 / Bruno Hönel, MdB (Grüne), 27 / Johanna Wanka, ehemalige Bundesbildungsministerin, 72 / Lothar Binding, ehemaliger MdB (SPD), 73
Sonntag, 2. April
Katrin Helling-Plahr, MdB (FDP), 37 / Doris Lemmermeier, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg, 65 / Christine Buchholz, Mitglied im Parteivorstand der Linken, 52
Nachttisch
30. März Nachttisch
Unser Tipp führt Sie heute ins Verhängnis der deutschen Ostpolitik. Wie ist es zu der Nähe und Abhängigkeit der deutschen Politik und Wirtschaft von Putins Energieriesen gekommen? Seit Moskau die Ukraine überfallen hat, steht diese Frage im Raum und jene danach, welche Lehren die deutsche Politik daraus ziehen sollte. Die beiden FAZ-Journalisten Markus Wehner und Reinhard Bingener analysieren den Brandtschen Gen-Code sozialdemokratischer Ostpolitik, sezieren die Verflechtungen der Energiekonzerne mit der Regierungszentrale in Berlin und beschreiben das Netzwerk der Beteiligten, ihre Motive und Verantwortung. Ein erhellendes – und in erster Auflage sofort vergriffenes – Lehrbuch für alle, denen der Putin-Freund Gerhard Schröder und eine naive Angela Merkel als Erklärung für das Versagen nicht reichen.
Die Moskau-Connection | Verlag C.H. Beck
Das war’s für heute. Das nächste Late-Night-Memo erhalten Sie am Sonntagabend.
Good night and good luck!
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