Themenschwerpunkte


Die Koalition, der Ausschuss und die Neuaufstellung der Ampel

Von Christian Lindner stammt der skurrilste Satz des Tages. Ein Satz, für den sich der FDP-Chef viel Aufmerksamkeit wünschte. „Wir schweigen uns auseinander“, sagte der Bundesfinanzminister am Dienstagabend, „und wir diskutieren uns zusammen„. Bei entsprechenden Resultaten hätte es der Satz in die Rangliste besonders griffiger Zitate schaffen können.  

Zwei Tage später aber wirkt er nicht mehr pfiffig, weil er die wahre Lage nicht mehr wiedergibt. Jedenfalls nicht für alle Partner in der Ampel. Es ist zwar gut möglich, dass Lindners Truppe zufrieden aus der Marathonsitzung gekommen ist. Und es ist alles andere als ausgeschlossen, dass jenseits der SPD-Klimapolitiker auch viele Sozialdemokraten das Ergebnis für sich und die eigene Partei sehr okay finden. 

Für die Grünen aber ist schmerzhaft klar geworden, dass sie ab jetzt beim Kampf gegen die Erderwärmung allein dastehen. Auf die Unterstützung des einst selbst ernannten Klimakanzlers Olaf Scholz können sie nicht länger bauen, auch wenn der Kanzler dieser Lesart verbal immer entgegentreten wird. Aber als es jetzt darauf ankam, hatte Scholz schon zu Beginn des Ausschusses ein Papier eingebracht, das keinen Kompromiss mehr darstellte, sondern ihn an der Seite der FDP positionierte. Und er unterstrich seine Distanz zusätzlich, als er sich erlaubte, die Verhandlungen mittendrin für einen Besuch beim Bund der Vertriebenen zu verlassen. 

Ein Kanzler kann das machen. Er muss nur wissen, was er damit ausstrahlt. Die Botschaft dieser drei Tage ist deutlich ausgefallen. Für die Grünen, für die FDP und für die Sozialdemokraten.   

Die Grünen – alleingelassen im Kampf für den Klimaschutz

Robert Habeck und die Grünen haben sich Mühe gegeben, so viel ist sicher. Erst im Ausschuss und dann danach. In den 30 Stunden im Kanzleramt versuchten sie, Aufweichungen ihrer Klimaschutzstrategie zu verhindern. Und nach dem Ende der Gespräche bemühten sie sich, vor allem die positiven Aspekte  herauszukehren. Kein Kilometer Autobahn werde mehr gebaut ohne Fotovoltaik; dazu gebe es ein neues Deutschlandtempo beim Ausbau von Schiene, Windrädern und Wärmepumpen. Außerdem rechtfertigte Ricarda Lang, die Co-Parteichefin, die Dauer der Gespräche, indem sie das Ringen als Vorbild für das Aushandeln großer Konflikte in der Gesellschaft darstellte. 

Falsch ist das nicht. Aber es verdeckt die wichtigste Botschaft, die dieser Ausschuss für die Grünen bereithält. Sie waren, sind und bleiben im Kampf für einen schnellen und entschiedenen Klimaschutz alleine. Sie werden in SPD und FDP keine echten Mitstreiter mehr haben. Daran kann auch die schönste Prosa nichts ändern. 

Deshalb spricht manches dafür, dass sich die Grünen neu aufstellen werden. Bisher haben sie sich als Stütze dieser Koalition verstanden. Nun drohen sie ernsthaft Schaden zu nehmen. Ihre Klientel ist es, die seit Dienstagabend enttäuscht feststellt, dass ihnen auch die größten Zugeständnisse 2022, wohl begründet in den Zeiten des russischen Krieges gegen die Ukraine, auf ihrem Hauptfeld nicht viel eingebracht haben. 

Seit Tag eins des Kriegsausbruchs hatten die Anhänger, die Bundestagsabgeordneten, überhaupt sehr viele Grüne ihre Hoffnungen auf die Zeit danach verschoben. Vernunft lautete die Devise, der Lohn einer entschiedeneren Klimaschutzpolitik sollte noch folgen. Und jetzt? Jetzt müssen sie erkennen, dass dieser Teil nicht im angestrebten Ausmaß zu erreichen ist. 

Mehr als einmal stand im Kanzleramt die Frage im Raum, ob die Grünen die Verhandlungen und damit vielleicht auch gleich die Ampel verlassen sollten; mehr als einmal entschieden sie sich dagegen, weil sie sich ihre Möglichkeiten des Mitgestaltens nicht freiwillig selbst nehmen wollten. Aber dass das an den Nerven zehrt, gilt als sicher. Und es stellt die Partei vor eine knifflige Aufgabe und vor eine strategische Entscheidung. 

Zwang zur strategischen Neuaufstellung

Die knifflige Aufgabe: Die Grünen werden alles dransetzen müssen, dass die Defizite der Regierung beim Klimaschutz nicht mit ihnen verbunden werden. Das wird aus zwei Gründen schwer. Zum einen, weil der Klimaschutz nun mal IHR Thema ist, und das seit Jahrzehnten. Also wird bei den meisten Verbündeten – NGOs, Umweltverbände, Fridays for Future – der erste und mächtigste Reflex sein, ihnen mangelnde Durchsetzungskraft und mangelnde Entschlossenheit vorzuwerfen. Zum anderen, weil SPD und FDP im jetzt anstehenden Kampf um die Interpretation alles versuchen werden, um sich als zwingend nötige Kontrolleure einer ansonsten ausufernden Klimaschutzpolitik zu präsentieren. Und doch müssen die Grünen alles versuchen, um als verlorene Kämpfer und nicht als unentschlossene Regierungspartner wahrgenommen zu werden. 

Gelingt ihnen das nicht, werden sie in den kommenden Wochen auch in den Umfragen und dann in den bevorstehenden Landtagswahlen Federn lassen. Gelingt es ihnen dagegen, sich und den eigenen Wirtschaftsminister als gescheiterte Vorkämpfer zu präsentieren, kann die mutmaßliche Rekordsitzung sogar Munition für mehr Zustimmung und bessere Wahlergebnisse werden. Vieles, wenn nicht alles wird also darauf ankommen, wer sich mit seiner Lesart öffentlich durchsetzt. 

Dazu kommt auf längere Frist der Zwang zu einer strategischen Neuaufstellung. Mit diesem Koalitionsausschuss wird die Bereitschaft der Grünen sinken, zum Ende der Legislaturperiode als Bündnispartner oder gar als Ampel-Fan in die Wahlauseinandersetzungen zu gehen. Die Wahlen, auch schon die kommenden in Bremen, Bayern und Hessen, werden in Abgrenzung zu SPD und FDP geführt werden. 

Und das wird nicht nur bedeuten, dass die Ampel früher als andere Koalitionen in einen Wettbewerb verfällt. Darüber hinaus wird bei den Grünen die Bereitschaft wachsen, auch im Umgang mit der Union, vor allem der CDU, wieder vermehrt die Gemeinsamkeiten zu suchen. Nicht allzu gewagt ist die Prognose, dass dieser Koa-Ausschuss aus Sicht der Grünen die schwarz-grünen Bündnisse in Hessen und anderswo massiv stabilisiert hat. Die Enttäuschung, die vor allem der Kanzler ihnen zugefügt hat, wird lange nachwirken.  

Bei den Liberalen, auch das ist sicher, werden Unsicherheit und wochenlange Suche nach dem richtigen Kurs einer tiefen Zufriedenheit weichen. Und das nicht, weil sich die Umfragen schon gebessert hätten. Entscheidend ist nach diesem Ausschuss das Gefühl, dass sie sich an wichtigen Stellen durchgesetzt haben. Entscheidende Überschrift: Technologieoffenheit. So war und ist Lindners Körpersprache, so war und sind die Äußerungen aus der FDP. Durch die Bank sprechen die Liberalen vom größten Reformpaket seit Jahrzehnten, wie Fraktionschef Christian Dürr es ausgedrückt hat. Sie wollen das eigene Tun natürlich am liebsten als Erfolgsgeschichte erzählen. 

Gemessen am inneren Zustand der Partei zu Jahresanfang ist das verständlich. Zumal es befeuert wird von der FDP-internen Wahrnehmung, in den letzten Wochen gefühlt gegen den Rest der Welt gekämpft zu haben. Dass Scholz nun ausgerechnet in diesem Moment Unterstützung zeigt, macht aus der Geschichte für die Liberalen fast schon ein Heldenepos.  

Die FDP – in der Rolle als Kontrolleur der Grünen?

Doch so sehr sie das für die nächsten Wochen, vielleicht Monate stabilisieren dürfte – über die nächsten Umfragen und das Abschneiden bei den kommenden Landtagswahlen sagt das noch nicht viel aus. Auch die Liberalen müssen kommunikativ um die aus ihrer Sicht richtige Interpretation des Geschehenen kämpfen. Das heißt: Neben dem Eigenlob für einen aus ihrer Sicht gewaltigen Sprung inklusive neuem Deutschlandtempo werden sie sehr wahrscheinlich immer wieder die Rolle als Kontrolleur der Grünen herausheben. 

Das allerdings wird ein Balanceakt werden, insbesondere dann, wenn die Kritik der Klimaexperten am Beschlossenen laut bleiben sollte. Dann wird der Grat zwischen klugem Kontrolleur und unklugem Reformverhinderer schmal sein. Und die Grünen werden der FDP immer wieder Letzteres vorwerfen.  

Ins Zentrum wird eine Frage rücken: Wer profitiert davon, dass mit diesem Ausschuss wieder deutlich geworden ist, dass zuallererst die Grünen für die Rettung des Klimas kämpfen und eintreten? Eine Folge kann sein, dass es jetzt erst mal sie sind, die unter den für ihre Klientel unbefriedigenden Ergebnissen leiden werden. Sollte der Klimaschutz aber das Thema bleiben, vielleicht sogar nach einem nächsten trockenen und heißen Jahr immer noch wichtiger werden, könnte es die Grünen mittel- und langfristig sogar stärken

Für die FDP heißt das: Sie hat eine vorläufige Stabilisierung erreicht; und sie hat es auch im Duell mit CDU und CSU geschafft, die seit Langem auf der von den einen kritisierten und von den anderen geforderten Technologieoffenheit beharrt. Hätte die FDP es nicht geschafft, hätte die Union umso lauter für diese Richtung getrommelt. Zugleich aber begegnet den Liberalen ein Risiko: Auch wenn es gerade nicht danach aussieht, könnte es ihnen passieren, dass die Grünen ihnen beim aktuell größten Modernisierungsthema im Image enteilen. Viel wird nun davon abhängen, wer von den beiden Spitzenleuten Robert Habeck und Christian Lindner größere Glaubwürdigkeit und eigene Kraft erreicht. Die Frage ist vollkommen offen.  

„Ein Volksentscheid, der zu denken gibt“

Lange standen sie und ihre Führungsleute eher am Spielfeldrand, fühlten sich nicht unwohl in der Rolle des vernunftorientierten Schlichters, wenn sich Grüne und Liberale mit Briefen oder angeblich undichten Stellen beharkten. Die Sozialdemokraten wähnen sich auf der Seite der Mehrheit der Deutschen. 

Und so geben sie sich viel Mühe, das Beschlossene als Erfolg zu feiern. Von „einem großen Wurf“ spricht der Kanzler. „Ambitioniert und pragmatisch, ökonomisch vernünftig und sozial gerecht“ sei das Ergebnis, loben die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil in einem Schreiben an die Mitglieder.

Aufmerksam hatten sie am Sonntagabend den Klimaentscheid in Berlin zur Kenntnis genommen. Hatten die hohe Zahl der Nein-Stimmen registriert und was die Menschen in Außenbezirken wie Marzahn, Spandau oder Reinickendorf von einschneidendem Klimaschutz halten – nämlich wenig. „Ein Volksentscheid, der zu denken gibt“, wie ein Führungsgenosse befand.

Klimakanzler? Das war dem Wahlkampf geschuldet. Jetzt stehen für Olaf Scholz und die Seinen Problemlösung im Vordergrund. Und dabei dürfen Autofahrer und Mieter, Eigenheimbesitzer und Urlauber nicht aus dem Blickfeld geraten. Zwei Dinge sind den Genossen besonders wichtig: Keinen Volkszorn aufkeimen lassen. Und auch dem Boulevard keine Möglichkeit geben, diesen Zorn zu befeuern. Schon im vergangenen Herbst war der Hinweis auf Gelbwesten und mögliche französische Verhältnisse einer der Leitpfade sozialdemokratischer Politik. 

Die SPD – die Partei des donnernden Sowohl-als-auch

Auf die Jetztzeit übertragen heißt das: Ein bisschen die Zukunft im Auge behalten; vor allem aber mehrheitsfähig bleiben. Oder wie Esken und Klingbeil es formulieren: „Wir sorgen dafür, dass alle auf diesem Weg mitgenommen werden.“ Selten hatte ein alter Satz – angeblich von Willy Brandt formuliert – so Konjunktur wie in diesen Tagen: „Wir sind die Partei des donnernden Sowohl-als-auch.“ 

Zumutungen? Einschränkungen? Verzicht? Nicht mit den Sozialdemokraten. „Uns war die Erhaltung des Wohlstands in Deutschland wichtig“, beschrieb ein Spitzengenosse hinterher ungeschminkt die Strategie im Koalitionsausschuss. Und daraus leiten sich die weiteren Perspektiven der SPD ab: Zeitenwende ja; Klimaschutz auch; und Tempobeschleunigung sowieso; nur merken soll es keiner. Das Leben, die Mobilität, der Wärmewert zu Hause – bitte keine Schmerzen, alles soll möglichst so bleiben, wie es ist. Und solange die BILD-Zeitung sich an Robert Habeck abarbeitet und Olaf Scholz außer Acht lässt, soll es den Genossen recht sein.  

Und so fühlen sie sich bestätigt in der Perspektive ihres Kanzlers, der schon vor zwei Jahren die Differenz zu den Grünen so beschrieben hatte: „Sie bleiben eine Partei, die gerne mit Verboten hantiert, statt technologische Lösungen zu finden.“ Ein Liberaler hätte es nicht treffender formulieren können.

Und doch, während die Sozialdemokraten den vermeintlich großen Wurf für Deutschland mit Tempobeschleunigung und Technologieoffenheit feiern, gerät ihnen eines aus dem Blick: Sie sind dabei, die Grünen als natürlichen, vor allem aber auch als strategischen Bündnispartner zu verlieren. Dass die ideelle Nähe des angeblichen Klimakanzlers zur FDP im Bund auch auf Koalitionen in den Ländern Auswirkungen haben könnte, registrieren sie womöglich erst später. Zum Beispiel, dass es nach den 30 Stunden im Kanzleramt für Nancy Faeser sehr schwer werden könnte, die Grünen im Oktober in Hessen in eine Ampel-Koalition einzubinden. Ohne die Partei von Tarek Al-Wazir aber kann sie sich alle Ministerpräsidentinnenträume abschminken.

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