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Erscheinungsdatum: 05. Juli 2024

Haushaltsentwurf: Eigenlob, Beschlüsse und Versprechen 

Nach dieser langen Haushaltsnacht gibt es hier gesammelt die wichtigsten Informationen. Dabei geht es weniger um das erwartbare Eigenlob der Regierungsspitze, sondern um die Beschlüsse und deren Einordnung durch die sie tragenden Fraktionen. Und was sagt die Opposition?

Olaf Scholz ist froh, lobt sich und seine Mitstreiter für die Beschlüsse, die Sicherheit in umfassendem Sinne versprechen sollen: gegen die „Gewaltherrscher unserer Zeit”, für den sozialen Zusammenhalt und für eine Stärkung der Wirtschaft. Robert Habeck freut sich über den Dreiklang Wirtschaft, Klima, Kinder. Christian Lindner erklärt, dass es hier nicht um Haushaltsverhandlungen gegangen sei, sondern um viel mehr: „Wir haben uns neu auf die gemeinsamen Grundlagen unseres Regierungshandelns verständigt.” Viel Eigenlob also und dazu die Begründung, dass Deutschland in einer hochheiklen Welt ein stabiler Anker bleiben müsse. Hier einige Details der Beschlüsse und Versprechen:

• Für das laufende Jahr plant die Ampel einen Nachtragshaushalt in Höhe von 11 Milliarden Euro. Gründe sind geringere Steuereinnahmen, höhere Ausgaben beim Bürgergeld und höhere Kosten zur Förderung der erneuerbaren Energien.

• Im Haushalt 2025 liegt die globale Minderausgabe bei 16 Milliarden Euro.

• 2025 soll das „Wachstumspaket“ zu mehr als 0,5 Prozent zusätzlichem Wachstum führen (26 Milliarden). Das ist allerdings bislang nicht mehr als eine optimistische Schätzung. Mit insgesamt 49 Maßnahmen soll es Investitionen fördern, Bürokratie abbauen und Arbeitsmarktzugänge erleichtern.

• Der Verteidigungsetat soll ersten Informationen nach um knapp 1,2 Milliarden Euro steigen. Boris Pistorius wollte mindestens 6,5 Milliarden Euro. Jedoch soll er weiter Großprojekte starten dürfen, die aber erst nach 2027 bezahlt werden müssen.

• Das AA kommt anders als im ursprünglichen Spar-Entwurf nicht auf 5,1 Milliarden Euro, sondern auf rund 6 Milliarden. Auf Dauer soll sich der Haushalt bei rund 5,871 Milliarden verstätigen. Offenbar eine Reaktion auf die internationalen Krisen und die heikle Weltlage insgesamt.

• Entgegen den harten Spar-Erwartungen sollen das Kindergeld und der Kindersofortzuschlag im kommenden Jahr um jeweils fünf Euro steigen.

• 2025 und 2026 sollen jeweils 2 Milliarden Euro in die Verbesserung der Kita-Qualität fließen. Durch das Kita-Qualitätsgesetz investierte der Bund 2023 und 2024 ebenfalls bereits jeweils 2 Milliarden. Es handelt sich also eher um eine Verstetigung als um zusätzliche Mittel.

• Der Kinderfreibetrag soll in diesem Jahr um 228 Euro auf 9.540 Euro, 2025 dann noch mal um 60 Euro auf dann 9600 Euro steigen.

• Der Einkommensteuertarif soll an die Inflation angepasst werden. Geplant ist zudem eine Steuerfreiheit für Überstunden.

• Ehemals Langzeitarbeitslose dürfen im ersten Arbeitsjahr mehr von ihrem Lohn behalten, ohne dass er mit anderen Sozialleistungen wie dem Wohngeld verrechnet wird.

• Bildungspolitik spielte in den Verhandlungen und auch in den Sonder-Fraktionssitzungen kaum eine Rolle. Wie Table.Briefings aus Koalitionskreisen erfuhr, sollen im BMBF-Etat Mittel für eine Fortsetzung des Digitalpakts Schule eingeplant sein. Wie hoch genau diese sind, ist noch unklar.

Als Rolf Mützenich kurz nach halb neun vor die Presse tritt, wird eines schnell klar: Die Genossen, vor allem die in der Fraktion, werden sich das Beschlossene sehr genau ansehen – und dabei deutlich Distanz halten. Von Euphorie und Begeisterung ist bei Mützenich nichts zu spüren. Er spricht von Fortschritt, aber auch von „einer Menge Kunstgriffen”. Und er erinnert daran, dass seine Haushälter in den kommenden Wochen sehr genau prüfen werden, ob die Grundsätze von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit wirklich eingehalten wurden.

Das ist kein Misstrauensvotum, aber eine klare Botschaft: Einfach so schlucken wird die SPD-Fraktion das nicht. Zumal Mützenich auch nicht mit Kritik an der FDP spart. Die mag jetzt zufrieden sein, sei aber bis jetzt auch völlig unambitioniert gewesen. Die SPD habe immer auf Inhalte gesetzt, andere auf Klamauk. Auch das eine klare Spitze Richtung Liberale. So wie Mützenichs Bemerkung, dass andere (die FDP) bestimmte Gesetze in Geiselhaft genommen hätten statt vernünftig zu agieren. So gesehen kann es nicht überraschen, dass der Fraktionschef auch die Erklärung der Notlage weiter für möglich hält, also demonstrativ auf dem Tisch lässt. Dazu passt, dass auch in der Sitzung der Fraktion die Begeisterung über die Einigung überschaubar geblieben ist. „So viel Verantwortungslosigkeit habe ich selten gesehen“, sagte der Fraktionschef zur Begrüßung – und meinte damit erkennbar den Finanzminister.

Deutlich zuversichtlicher beschrieb der Kanzler die Einigung. Ja, es sei eine Nacht ohne Schlaf gewesen. Aber es habe sich gelohnt. Es gebe keine Kürzung beim Bürger- und auch nicht beim Wohngeld. Vielmehr würden bis 2027 zwei Milliarden Euro zusätzlich für den Sozialen Wohnungsbau bereitgestellt. Im kommenden Jahr werde es eine weitere Kindergelderhöhung geben und zusätzliche Mittel für die Digitalisierung der Schulen. Es werde Anreize für die Unternehmen geben und bessere Abschreibungsmöglichkeiten. Olaf Scholz listete Erfolg an Erfolg, jedenfalls aus seiner Sicht. Auch die Mietpreisbremse werde kommen und die FDP werde das Umwandlungsverbot im Baugesetz nicht länger ausbremsen.

Kompliziert fiel die Antwort auf die Finanzierung der Lücken aus. Die Gestaltungsspielräume seien nun weitgehend ausgereizt. Von „Finanztechnik“ sprach Scholz und von Agio und Zinsperzentilen. Aber er habe auch verhindern können, dass im Sozialhaushalt gekürzt werde. Scholz sprach von einem „guten Impuls für Wachstum und Dynamisierung“ und von einem „Erfolg“. Der Applaus der Abgeordneten blieb aber höflich statt euphorisch. Und zurückhaltend blieb auch der Parteichef.„Was Olaf vorträgt, klingt erst mal gut“, sagte Lars Klingbeil, aber er breche „heute nicht in Jubel und Euphorie aus“. Und er halte es auch „nicht für richtig, an der Entwicklungshilfe zu kürzen und „dass Boris sein Geld nicht bekommt“.

Mut machten sich die Abgeordneten über ihre eigene Macht als Haushälter. „Wir werden, was uns vorgelegt wird, noch einmal verbessern“, erklärte Fraktionsvize Achim Post. „Dieser Weg darf sich so nicht wiederholen“, befand PL-Sprecher Tim Klüssendorf. Und auch Dennis Rohde, Chef der Haushaltsexperten, sagte: „Wir haben einen Haushaltsentwurf, noch keinen Haushalt.“ Armand Zorn, Sprecher der Netzwerker, gab später zu verstehen: „Sobald der Kabinettsbeschluss vorliegt, wird es darum gehen, als Haushaltsgesetzgeber den Entwurf noch besser zu machen.“

Am kritischsten blieb und bleibt der Fraktionschef. Das lange Zerren, die ständigen Themenverknüpfungen der FDP und die – aus seiner Sicht – wiederkehrenden Volten des Finanzministers haben ihn mürbe gemacht. „Sehr ungewöhnlich“ sei doch, dass der Entwurf zwei Monate unter aktiver Beteiligung des Kanzlers habe erarbeitet werden müssen. Eigentlich sei das immer Sache des Finanzministers gewesen. „Das spricht nicht unbedingt für den, der Verantwortung trägt.“ Und dann holte er noch einmal kräftig gegen die FDP aus, die in den vergangenen Wochen bei verschiedenen Themen immer wieder gebremst hatte. Unverantwortlich“ nannte er den „Klamauk, den andere gemacht haben“ und mahnte sie, sich in den verbleibenden 14 Monaten „selbst zu disziplinieren“.

Das war das Ziel und das war die politische Schlacht. Entsprechend zufrieden gibt sich Fraktionschef Christian Dürr, der sogleich auf Mützenichs Drohung reagiert, die SPD werde weiter über die Erklärung der Notlage nachdenken. Dürr erinnert nüchtern daran, dass die Fraktionen dazu gar nicht das Recht hätten, sondern nur die Regierung. Und dass die auf ebendiese Erklärung der Notlage verzichtet habe, stimme ihn glücklich. „Kurzum wir setzen das um, was der Kanzler schon gesagt: Wir kommen mit dem Geld aus, das uns die Bürger zur Verfügung stellen.”

Freude gibt es auch darüber, dass die Wirtschaft gestärkt werden soll. Das war für die Liberalen am Freitagmorgen die wichtigste Meldung. Anders als SPD und Grüne traf sich die Fraktion nicht in Präsenz, sondern schaltete sich digital zusammen. Rund eine Stunde lang erklärte Christian Lindner die Eckpunkte der Einigung. Dabei soll er die Kindergrundsicherung in der von Lisa Paus geplanten Form abmoderiert haben.

Gewünscht hätten sich die Liberalen noch mehr steuerliche Entlastungen. Auch die Verdoppelung der Globalen Minderausgabe bereitet einigen Bauchschmerzen. Otto Fricke sprach im Anschluss an die Sitzung von einer „kritischen Zufriedenheit”. Als Chef-Haushälter wartet er auf die Details, um sich ein genaues Bild machen zu können.

Der Unmut bei den Grünen über das Festhalten der FDP an der Schuldenbremse ist deutlich zu spüren. Fraktionschefin Katharina Dröge machte dem Koalitionspartner im Deutschlandfunk-Interview scharfe Vorwürfe. „Die Einhaltung der Schuldenbremse über Sicherheit und Verteidigung zu setzen, ist keine vernünftige Prioritätensetzung.“ Gut anderthalb Stunden lang sprach die Fraktion am Freitagmorgen über das Verhandlungsergebnis der Nacht. Teilnehmende schildern die Sitzung als „unspektakulär“ und „ganz ok“. Die meisten sind nicht begeistert, aber sehen das Ergebnis halbwegs als halbwegs ertragbar an. Immerhin war noch am Donnerstag ungewiss, ob die Koalition am Streit über den Haushalt. Einige bei den Grünen stellten mit Blick auf dann mögliche Neuwahlen schon die K-Frage.

Zufrieden sind die Grünen, dass die Förderung fürs Klima und für erneuerbare Energie abgesichert sind. Außerdem betreffen größere Einsparungen vor allem SPD-Ministerien, auch das hinterlässt Erleichterung. Verärgerung löste die geplante Entschlackung des Projekts Kindergrundsicherung aus. Allerdings war von einigen Grünen auch zu hören, dass mehr als die „Basis-Variante“ nicht mehr zu erwarten gewesen wäre, weil Lisa Paus so schlecht verhandelt habe und als Ministerin einen „katastrophalen“ Job mache. Ergebnis: Die von der Familienministerin für die Kindergrundsicherung avisierten Kosten und den geplanten Personalaufbau für die Verwaltung hat die Spitzenrunde abgelehnt.

Annalena Baerbock stellt sich hinter die Einigung. Auch wenn die Kürzungen im Auswärtigen Amt Schmerzen bereiten. Angesichts der großen Krisen in der Welt, so heißt es aus dem AA, bräuchte es gerade bei der Humanitären Hilfe mehr Mittel. Zugleich aber heißt es aus Baerbocks Umfeld: „Es wäre unverantwortlich gewesen, über den Haushaltsstreit jetzt in Deutschland in Neuwahlen reinzuschlingern.” Das wäre staatspolitisch nicht verantwortungsvoll gewesen. „Die Autokraten der Welt hätten eine Party gefeiert, wenn auch noch Deutschland im innenpolitischen Chaos versinkt.”

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder äußerte sich am frühen Morgen in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin kritisch zu dem Paket. „Deutschland sinkt weiter in die Krise. Die Ampel hat letzte Kräfte mobilisiert. Der K.o. ist aber nur verschoben worden”, sagte Söder. Vor allem auf die hohen Energiekosten habe die Ampel keine Antwort gefunden, den wirtschaftlichen Abschwung könne man mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht aufhalten. Die Maßnahmen, die einer Zustimmung der Länder im Bundesrat bedürfen, werde man sich sehr genau anschauen, so Söder.

Skeptisch äußerte sich auch der CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase: „Die Einigung mag gut für den Fortbestand der Koalition sein, dass sie jedoch gut für Deutschland ist, darf ernsthaft bezweifelt werden.” Er spricht von monatelangem Gewürge, fast täglichen Dissonanzen und einem insgesamt alles andere als guten Regieren.

Die Zielrichtung der Union ist klar: Sie hofft darauf, dass dieser Kompromiss nicht lange hält. Zugleich bleiben CDU und CSU auf ihrer Linie, sich schon jetzt auf ihre Wahlkampfthemen zu konzentrieren. Haase unterscheidet sich da in nichts von seiner Partei- und Fraktionsspitze. Insgesamt gebe es ja „eher halbherzige bis gar keine Lösungen”, etwa „bei der Migration, der Bundeswehr oder dem Bürgergeld”, sagte Haase der dpa. In die Details des Kompromisses steigt die Union mindestens fürs erste nicht ein. Zumal die schärfste Kritik, die es bei einem Aussetzen der Schuldenbremse vermutlich gegeben hätte, wegfällt, weil die Ampel diesen Weg nicht eingeschlagen hat.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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