Herr Meinel, ist die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eine rein juristische Entscheidung?
Es ist erst einmal eine Entscheidung, für die es rechtliche Maßstäbe gibt. Aber sie hat natürlich zumindest im Effekt ein stark politisches Element.
Am vorletzten Arbeitstag der Ampelregierung, nämlich am letzten Freitag, wurde die Entscheidung veröffentlicht. Dabei lag das Gutachten schon so lange vor. Finden Sie den Zeitpunkt nicht auffällig?
Ich hatte einen kurzen Moment die Hoffnung, dass dieser Zeitpunkt so gewählt ist, dass die scheidende Regierung auf den allerletzten Metern, auf denen sie die öffentliche Meinung nicht mehr fürchten muss, ein Verbotsverfahren auf den Weg bringt, von dem die neue Regierung dann schwerlich wieder runtergekommen wäre. Es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass es eher Ausdrucks des Misstrauens der jetzigen Hausleitung des Bundesinnenministeriums gegenüber der nächsten Hausleitung, in angemessener Form mit dem Gutachten umzugehen.
Die AfD hat schon angekündigt, gegen diese Einstufung zu klagen. Wie sind die Erfolgsaussichten?
Ich halte eine Klage für eher aussichtslos. Nach der Pressemitteilung habe ich den Eindruck, dass sich der Verfassungsschutz sehr eng an die Vorgaben des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts orientiert hat und ebenso an den Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht für die Verfassungsfeindlichkeit in der zweiten NPD-Entscheidung aufgestellt hat. Insofern glaube ich, ohne das Gutachten im Einzelnen zu kennen, dass die Rechtssicherheit dieser Entscheidung sehr hoch ist.
Welche Wirkung hat diese Hochstufung für die AfD-Abgeordneten. Bedeutet die Entscheidung, dass AfD- Abgeordnete nicht zu Ausschussvorsitzenden gewählt werden können?
Rechtliche Wirkung hat die Hochstufung erstmal gar keine. Das liegt einerseits daran, dass der Verfassungsschutz eben nur beobachtet und keine Befugnisse hat, Rechte einzuschränken. Und es liegt zum anderen am sogenannten Parteienprivileg. Das heißt, dass unterhalb der Schwelle des Parteiverbots nicht automatisch andere Sanktionen gegen Parteien oder Parteimitglieder eröffnet werden können. Das betrifft die Ausschussvorsitzenden, aber ebenso den Umgang mit Beamten, die in der AfD sind. Jetzt muss man sich sehr genau überlegen muss, wie es mit diesem Parteienprivileg bei einer anerkanntermaßen verfassungsfeindlichen Partei weitergehen muss.
Welche Wirkung hat die Hochstufung für Verbotsverfahren?
Unmittelbar keine. Ich würde auch für meinen Teil sagen, dass der Erkenntniswert dieser Einstufung eher gering ist. Zu sagen, dass die AfD im Kern eine verfassungsfeindliche Partei ist, finde ich ungefähr so aufregend, wie zu sagen dass der Regen nass ist. Außerdem sind die Maßstäbe für ein Verbot andere als für die Beobachtung. Das Verfassungsgericht prüft, ob eine Partei sich aggressiv kämpferisch gegen die Verfassung betätigt. Gleichwohl würde das Material, das der Verfassungsschutz zusammengesammelt hat, wohl weitgehend einen Verbotsantrag decken. Aber es ist nicht erkennbar, wer diesen Antrag initiieren könnte, weil die Mehrheiten im Bundestag und auch die Personalentscheidungen, die die neue Regierung vorgenommen hat, aus meiner Sicht eher dafür sprechen, dass das nicht passieren wird. Und im Bundesrat sehe ich eigentlich auch keine Mehrheit. Die Frage ist also, wie die Politik mit dem Zustand umgeht, dass man gegen diese Partei unterhalb des politisch blockierten Verbotsverfahrens nichts unternehmen kann.
Appellieren Sie für eine rechtliche Regelung, die diesen Fall erfasst und eben auch Konsequenzen benennt für den Fall einer gesichert rechtsextremen Partei, die aber noch nicht verboten ist?
Ich weise zunächst einmal nur auf ein strategisches Dilemma hin. Man kann den Kampf gegen Gegner der Verfassung nie auf eine rein juristische Weise ohne politische Elemente führen. Man muss irgendwann entscheiden, ob man auf der Basis der Erkenntnisse, die der Verfassung zusammengetragen hat, politisch in die Offensive geht. Es geht also um die Frage, ob Parlamente, Dienstherren, andere Akteure unterhalb der Stelle des Verbotsantrags auf allen Ebenen den Druck auf diese Partei zu erhöhen.
Derzeit hat die Hochstufung durch den Verfassungsschutz ohne große Konsequenzen. Der Verfassungsschutz warnt – und parallel dazu wird die AfD immer stärker, auch weil sie vom Opfermythos profitiert. Spielt der Verfassungsschutz eine sinnvolle Rolle?
Die Rolle des Verfassungsschutzes kann man so oder so betrachten. Ich halte sie in diesem Zusammenhang für vergleichsweise gering, im Vergleich zum Beispiel zur Rolle der Medien. Dort ist der stärkere Präsentierteller des Opfermythos, dort können sich AfD-Politiker mit größter Sendewirkung als Opfer präsentieren. Allerdings ist der Effekt der Warnungen des Verfassungsschutzes mittlerweile nicht mehr besonders groß. Es scheint nicht so zu sein, dass sehr viele Leute davor zurückschrecken, die AfD zu wählen, weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet oder eingestuft wird. Der Igitt-Effekt dieser Maßnahmen scheint verpufft zu sein.