Professor Haucap, Sie sind einer von rund 30 Briefschreibern aus der Wissenschaft, die den Bundestag zu einem Ja beim Cannabisgesetz ermuntern. Bisher kannte man so viel politisches Engagement nur von den Scientists for Future. Sind Sie ein Scientist for Shit?
So gesehen wohl schon – obwohl ich nicht für den Konsum von Cannabis bin. Mir ist bewusst, dass das durchaus gesundheitsgefährdend sein kann. Ich bin für einen anderen Umgang mit Cannabis als bisher, denn es ist ja eindeutig, dass die bisherige Drogenpolitik gescheitert ist. Die Verbreitung, gerade unter Jugendlichen, hat sogar zugenommen! Von daher ist der Zeitpunkt für eine Wende mehr als reif. Auch wenn ich mit dem jetzt vorgelegten Gesetz nicht in allen Punkten zufrieden bin, halte ich es doch für einen großen Schritt in die richtige Richtung.
Sie hätten sich einen legalen Verkauf vorgestellt – dann hätte die Branche laut eines Gutachtens von Ihnen dem Staat 4,7 Milliarden Euro eingespielt, vor allem durch Steuern, aber auch durch die Entlastung von Polizei und Justiz. Wie viel kann der Staat durch das nun vorliegende Gesetz noch verdienen?
Wenig. Zunächst soll ja nur der legalisierte Eigenanbau und der Anbau in nicht-kommerziellen Clubs kommen. Ob die zweite Säule kommen wird, mit Modellversuchen für einen kommerziellen Vertrieb, steht ja noch in den Sternen.
Glauben Sie immer noch an eine Entlastung von Polizei und Justiz?
Allein 2022 gab es 175.000 Verfahren, weil der Konsum ja strafbar ist. Davon wird ein Großteil wegfallen. Aber gerade für die Polizei könnte es anstrengend werden, denn sie muss nun kontrollieren, ob Leute tagsüber draußen kiffen oder zu nahe an Kitas und Schule. Das sind die nachträglich eingebauten Hürden im Gesetz, die mich wenig begeistern.
Sie gehören zum wissenschaftlichen Beirat des Branchenverbands Cannabiswirtschaft und Ihre Firma Düsseldorf Competition Economics (DCE) hat schon Gutachten für den Hanfverband erstellt. Sind Sie dadurch nur befangen oder kiffen sie auch?
Nein! Ich konsumiere – leider – gerne Alkohol. Zur Klarstellung: Der Hanfverband vertritt die Konsumentinnen und Konsumenten. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft wiederum auch die Hersteller von medizinischem Hanf. Die Regulierung dieser Branche ist eine Aufgabe, die mich als Wirtschaftswissenschaftler gereizt hat.
Wie hat Ihre Gruppe von Pro-Cannabis-Forschern sich gefunden? Ihre Mitunterzeichner stammen ja eher aus den Bereichen Sozialwissenschaft, Psychiatrie, Suchtforscher.
Das lief über den „Schildower Kreis“. Das war ursprünglich eine Gruppe von Juristen, die sich schon sehr lange für einen legalen Handel und Umgang mit Cannabis stark macht. Die Forscher, die die Prohibition beenden wollen, kennen sich inzwischen und sind vernetzt. In einer E-Mail-Diskussion entstand dann die Idee des Briefs. Wir wollten den innenpolitischen Bremsern etwas entgegensetzen.
Ihre Anti-Prohibition-Gruppe führt mit Bernd Werse ein Suchtforscher an. Doch auch die sind sich nicht einig. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin etwa sieht die geplante Freigabe kritisch. Wenn die Drogen legal seien, kämen auch Jüngere besser dran – auch dann, wenn für Minderjährige Cannabis weiter verboten bleibt. Das zeige die Erfahrung mit Alkohol. Sie haben vier Kinder. Glauben Sie nicht, dass die eher einen Joint durchziehen, wenn die Alten es vormachen?
Erfahrungen mit der Entkriminalisierung und Legalisierung in den USA und Kanada zeigen, dass dadurch insbesondere bei Jugendlichen keine Zunahme zu beobachten ist. In den Staaten, die legalisiert haben, gab es teilweise sogar einen Rückgang. Vielleicht erleben wir ja den Facebook-Effekt: Wenn Mama und Papa das cool finden, ziehen sich die Kids daraus zurück. Zumindest der Reiz des Verbotenen wird deutlich geringer. Außerdem gehen wir davon aus, dass das Angebot für Jugendliche deutlich sinken wird.
Weil Jugendliche nicht kiffen dürfen? Das dürfen sie heute auch nicht.
Das ist richtig, dennoch weiß ich von meinen Kindern: Auf jeder weiterführenden Schule ist jeder Schüler darüber informiert, wo er den Stoff bekommen kann. Durch die Teil-Legalisierung wird das Geschäft aber kleiner werden, weil ja auf den Straßen die Kundschaft ausbleiben wird – mal abgesehen von Touristen und Gelegenheitskiffer, die nicht Mitglied eines der neuen Clubs sind. Hinzu kommt: Die Cannabis-Abgabe an Jugendliche wird künftig deutlich härter bestraft – und zwar schon die Weitergabe, nicht erst der Verkauf.
In Ihrem Brief steht, dass das neue Cannabisgesetz nicht nur wichtig sei für einen besseren Gesundheitsschutz, sondern auch für mehr soziale Gerechtigkeit. Warum?
Heute werden Menschen, die Cannabis konsumieren, hart bestraft. Der Führerschein wird entzogen, es gibt einen Eintrag ins Führungszeugnis, manche verlieren deshalb ihren Job. Das ist ungerecht gegenüber Trinkern: Denen droht all dies nicht.