Die Ampel, als Fortschrittskoalition gestartet, ist inzwischen eine weitgehend zerrüttete Regierung. Grünen-Chef Omid Nouripour spricht bereits von einer Übergangskoalition. Wie konnte es so weit kommen?
Noch lebt die Ampel und regiert als Minimalkoalition. Aber die drei Partner haben die Chance, aus unterschiedlichen Zielen und Perspektiven etwas Neues zu machen, leider nicht genutzt. Misserfolge bei Wahlen haben die Unsicherheiten und Unklarheiten darüber, wo man strategisch hin will, immer wieder verstärkt. Und dann sind die Weggabelungen, wo sich die Regierung hätte neu aufstellen können, nicht genutzt worden.
SPD und Grüne zeigen gern mit dem Finger auf die FDP. Aber gibt es überhaupt einen Hauptschuldigen am Niedergang?
Es gibt eine gewisse Kollektivschuld am Unwillen und Unvermögen des gemeinsamen Regierens. Die Regierung ist also auch daran gescheitert, dass die Akteure der Aufgabe, ein solches Dreierbündnis im Lot zu halten, nicht gewachsen sind. Die Größe der Aufgaben hätte ja auch zusammenschweißen können. Nur eine Regierung ohne die Union zu bilden, ist allein noch keine historische Leistung.
Welchen Anteil hat denn Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Art der Nicht-Kommunikation daran, dass es der Ampel nicht gelungen ist, ihre Leistungen positiv darzustellen?
Olaf Scholz wird als Krisen- und Übergangskanzler in die Geschichtsbücher eingehen, als ambivalenter Kanzler. Auf der einen Seite hat er mit einer außerordentlichen Verantwortungsethik versucht, die Regierungsprozesse zu steuern und den Laden zusammenzuhalten. Auf der anderen Seite ist es ihm nicht gelungen, eine wirklich prägende Handschrift für diese Koalition zu entwickeln. Natürlich kann man das in einem so heterogenen Dreierbündnis nicht so machen wie zu Zeiten Adenauers. Insofern ist der ständige Ruf nach mehr Richtlinienkompetenz, also nach mehr Basta, ein bisschen albern. Aber zwischen einer autoritären Führung und dem stillen, wenig erfolgreichen Moderieren hinter verschlossenen Türen hätte es für den Kanzler eine Bandbreite von Möglichkeiten gegeben, auch öffentlich zu intervenieren. Und dazu gehört eben auch, in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren und die politischen Überlegungen, die hinter dem Regierungshandeln stehen, zu erläutern.
Am Sonntag droht den Ampel-Parteien bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen das nächste Desaster. Wird das die Fliehkräfte weiter erhöhen bis hin zu einem vorzeitigen Bruch der Koalition? Oder könnte es die letzte Chance sein, sich noch einmal zusammenzuraufen?
Die absehbar schwachen Ergebnisse bei den Wahlen im Osten werden das Regieren mit Sicherheit nicht erleichtern. Und ich gehe auch nicht davon aus, dass daraus eine Besinnung auf die Gemeinsamkeiten dieser Regierung entstehen wird. Im Kern wird sich am Kurs der Ampel nichts ändern. Im Gegenteil: Ich denke, dass die geopolitische und europapolitische Lage der letzte Strohhalm ist, den Weg bis zum Ende der Legislaturperiode pragmatisch weiterzugehen. Getragen von dem Gedanken, dass die Deutschen jetzt nicht für weitere internationale Turbulenzen sorgen sollen, indem sie ohne Not ihre Regierung vorzeitig auflösen. Hinzu kommt, dass Olaf Scholz der FDP, die das größte Interesse an einem Koalitionsbruch hat, diesen Gefallen nicht tun wird.
Welches bundespolitische Signal wäre es, wenn in Sachsen und Thüringen die AfD nur noch mithilfe des BSW von der Macht ferngehalten würde?
Das zeigt die Integrationsschwäche der Mitte. Und es wäre ein weiterer Beleg dafür, dass wir uns in einer Art Übergangsphase befinden, die vermutlich länger andauern wird, bis sich vielleicht wieder stabilere Verhältnisse herausbilden. Und dabei geht es, anders als Nouripour das zum Ausdruck gebracht hat, nicht nur um eine einzelne Regierung.
Sondern?
Was wir erleben, ist ein gestörtes Verhältnis zwischen Gesellschaft und der Politik der Mitte. Die emotionale Unsicherheit in der Gesellschaft wird angesichts vielfältiger Veränderungen und Umbrüche und von den etablierten Parteien nur unzureichend aufgefangen. Und dieses gestörte Verhältnis lässt sich auch nicht einfach quasi über Nacht in einen Stabilitätszustand verwandeln. Das ist ein mühsamer Prozess, der über eine längere Zeit andauern kann. Dafür braucht es sehr robuste Politiker, die ein Gespür dafür haben, dass es nicht ausreicht, politische Vereinbarungen und Verträge einfach nur abzuarbeiten. Sondern, dass es darüber hinaus auch symbolische Gesten braucht, die neues Vertrauen stiften können. Und es reicht nicht, sich nur auf den Schutz des Bestehenden zu konzentrieren. Wir müssen sehen, dass der erforderliche ökologische Wandel so funktioniert, dass er im Einklang mit der Bevölkerung gelingt. Die Zukunft der politischen Mitte hängt also ganz zentral davon ab, ob sie die Modernisierung des Landes weiterhin als progressives Projekt auf der politischen Tagesordnung halten kann.
Die Union liegt zwar in allen Umfragen stabil um die 30 Prozent, aber warum kann sie nicht stärker vom Dauerstreit der Ampel profitieren?
Die Union hat es nicht vermocht, sich nach der Ära Merkel wirklich neu aufzustellen.
Das würde Friedrich Merz jetzt sicher ganz anders sehen.
Ja klar. Aber die Bemühungen der Union seit der verlorenen Bundestagswahl 2021 sind eben bisher nicht so überzeugend ausgefallen, dass man den Eindruck hat, hier wird eine neue, attraktive Agenda vorgelegt, um ein breiteres, vertrauensbildendes Angebot zu schaffen. Das größte Problem ist, dass der Vertrauensverlust der Menschen in die politische Mitte die Union ebenso trifft wie SPD, Grüne und FDP. In diesem Sinne ist die Union auch fester Teil des Kartells der Vertrauenskrise.
Das zeigen auch Umfragen. Eine Mehrheit glaubt nicht, dass eine unionsgeführte Regierung es besser machen würde.
Das Auftreten der Union unter Friedrich Merz und Markus Söder mit größtmöglicher Zuspitzung und lautstarken Ankündigungen, die sich an der nächsten Ecke schon als nicht mehr tragfähig erwiesen haben, überzeugt viele Leute nicht. Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm hat die Union zwar deutlich gemacht, dass sie weiterhin ein zentraler Faktor der politischen Mitte ist. Aber inhaltlich geht es kaum über das hinaus, was man von der Union in den vergangenen zehn, 15 Jahren auch schon gehört hat. Auch was künftige Koalitionen anbelangt, wirkt die Union sprunghaft, nervös und wenig gefestigt.
Insbesondere eine Zusammenarbeit mit den Grünen wird in der Union völlig unterschiedlich gesehen.
Der Umgang mit den Grünen, die ja der eigentliche Antipode der AfD sind, hinterlässt nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der eigenen Partei große Ratlosigkeit. Auf der einen Seite arbeitet die Union mit den Grünen auf Länderebene ruhig und professionell zusammen und auf der anderen Seite fällt man über die Grünen her, als seien sie „Aliens“ aus einer ganz anderen Welt. Die Leute spüren ganz genau, dass hier viel Opportunismus im Spiel ist. Und dieser Opportunismus, der sich an Stimmungslagen hängt, hilft nicht wirklich, um die politische Mitte zu verbreitern und zu stabilisieren.
Sind die Attacken der Union auf die Grünen, die ja auch medial immer wieder angefacht werden, überzogen?
Ja. Die Grünen haben sicherlich, insbesondere beim Heizungsgesetz und auch in einigen anderen Fragen, große Fehler gemacht. Aber sie haben diese Fehler im späteren Verlauf teilweise auch eingestanden und korrigiert. Aber die Unions-Spitzen glauben, dass es zu ihrem Vorteil ist, wenn sie die Fehler der Grünen zu Ewigkeitsbildern stilisieren. Wenn man sich die Entwicklung der Grünen vor Augen führt, ist die Maßlosigkeit der Unionskritik unverständlich. Wir haben doch die pragmatischste grüne Partei, die die Republik je gesehen hat. Die Union tut sich mit den Dauerattacken auf die Grünen selbst keinen Gefallen. Denn der Schaden, den eine Söderisierung im Umgang mit den Grünen für die politische Mitte verursacht, ist um ein Vielfaches größer als der kurzfristige parteipolitische Nutzen.
Wie könnte oder müsste es denn weitergehen?
Im Moment gibt es wenig Hinweise darauf, dass Regieren in den nächsten Jahren einfacher wird. Vermutlich sind die Parteien der Mitte mit dem aktuellen, doppelten Wettbewerb überfordert: Einerseits den simplen Rezepten der Populisten entgegenzutreten und andererseits einen fairen Wettbewerb untereinander zu führen. Auf jeden Fall sollte man aus den Fehlern der Ampel für die nächste Regierungskoalition lernen, denn dahinter stehen auch schwerwiegende strukturelle Probleme.