Frau Staffler, Sie sind als Pflegebevollmächtigte für eines der größten Probleme zuständig, das wir aktuell im Sozialsystem haben. Die Zeit drängt, es zu lösen. Haben Sie ein 100-Tage-Programm?
Ein klassisches 100-Tage-Programm gibt es nicht. Aber natürlich werde ich eine Reihe von Themen sofort angehen. Und ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage: Das Drängendste ist im Moment, dass wir sehr kurzfristig das aktuelle Finanzierungsproblem der Pflegekassen lösen müssen.
Die neue Bundesregierung hat allerdings erst einmal eine Kommission für eine Pflegereform eingerichtet, statt direkt Maßnahmen vorzuschlagen. Warum braucht es nochmal eine Kommission?
Der Bund allein kann das Problem nicht lösen. Wir brauchen die Länder und vor allem die Kommunen, die die Reform vor Ort umsetzen müssen. Und auch dafür müssen finanziellen Mittel in die Hand genommen werden. Wenn die neue Bundesregierung jetzt einen fertigen Plan in den Koalitionsvertrag geschrieben hätte, dann hätten die anderen Player das am Ende wahrscheinlich nicht mitgemacht. Was wir definitiv nicht brauchen, ist noch eine weitere Problembeschreibung. Am Ende darf da nicht ein Bericht rauskommen, der die Probleme lediglich auflistet. Es braucht einen ganz konkreten Arbeitsplan mit einzelnen Arbeitsschritten bis hin zur zukunftsfähigen Lösung.
Es handelt sich um eine AG von Bund, Ländern und Kommunen. Warum werden Akteure aus der Praxis wie Pflegeverbände und -kassen nicht mit einbezogen?
Es hat in der Vergangenheit immer wieder Versuche gegeben, Expertenkommissionen zu bilden. Die Probleme sind also bekannt. Es geht jetzt aber nicht um die Beschreibung der Defizite, sondern um die konkreten Lösungen. Da helfen riesengroße Kommissionen nicht. Das Ziel der Arbeitsgruppe ist es, diejenigen Akteure am Tisch zu haben, die die Vorschläge am Ende politisch umsetzen müssen.
Was sollte aus Ihrer Sicht Teil der Reform sein?
Mein erklärtes Ziel ist es, nicht nur die finanziellen Fragen anzugehen, sondern sehr viel grundlegender eine strukturelle Reform des Pflegesystems voranzutreiben. Wir müssen das System so aufstellen, dass es möglichst effizient ist und Leistungen flexibilisiert. Diejenigen, die den Bedarf haben, brauchen individuelle und selbstbestimmte Lösungen für den Familienverbund. Und wenn wir es dann noch hinkriegen, das System modern und zeitgemäß zu gestalten, also auch auf neue Technologien, Digitalisierung und KI setzen, dann können wir einen echten Mehrwert schaffen und das System so aufstellen, dass es langfristig tragfähig ist. Ganz wichtig ist mir dabei, dass wir die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen immer im Fokus behalten.
Können sich die Versicherten darauf verlassen, dass diese Bundesregierung die Beiträge nicht anheben wird?
Wenn ich diese Frage jetzt konkret mit ja oder nein beantworten würde, würde ich der Arbeitsgruppe massiv vorgreifen. Es ist nicht sinnvoll, wenn einzelne Beteiligten jetzt mit Ideen vorpreschen.
Familienministerin Karin Prien will ein Familienpflegegeld einführen, was so nicht im Koalitionsvertrag stand. Unterstützen Sie den Vorschlag?
Der Vorschlag ist ja nicht ganz neu und natürlich wird er jetzt mit auf den Tisch gebracht und beraten werden. Es geht natürlich auch darum, eine finanzierbare Lösung zu finden.
Wie können pflegende Angehörige sonst besser unterstützt werden?
Wir müssen pragmatischer werden und Vertrauen in die Familien haben, dass sie für sich die besten Lösungen finden. Dazu gehört auch, dass wir eine ernsthafte Diskussion über Sektorengrenzen führen. Zum einen innerhalb des Pflegesystems: Welche Leistungen man bekommt, hängt momentan stark davon ab, in welcher Wohnform und in welcher Pflegeform man lebt. Zum anderen aber auch bezogen auf die Sektorengrenzen zwischen Pflegekasse und Krankenkasse. Da ist vieles überhaupt nicht pragmatisch.
Was zum Beispiel?
Eine Person, die in einem Seniorenheim lebt und einen Dauerkatheter hat, der gewechselt werden muss, wird dafür in der Regel in ein Krankenhaus gebracht. Im Krankenhaus kommt dann eine Pflegefachkraft und wechselt den Katheter. Die Kompetenz, diesen Katheter zu wechseln, hat aber genauso die Pflegefachkraft in dem Seniorenheim. Das alles ist teuer, kompliziert und für die Pflegekräfte mit hohem Aufwand verbunden. Und es belastet die betroffenen Pflegebedürftigen.
Ein Riesenthema für Pflegekräfte ist auch die Bürokratie. Wie wollen Sie Pflegekräfte von Dokumentationspflichten entlasten?
Bürokratieabbau wird in den nächsten vier Jahren eins meiner Schwerpunktthemen sein. Hier ist schon einiges passiert, beispielsweise, das Projekt EinSTEP, das von meinem Amtsvorgänger Karl-Josef Laumann initiiert worden ist. Ziel dabei ist es unter anderem, mit Softwareherstellern die Dokumentationspflichten so schlank und einfach wie möglich zu gestalten. Ich habe mit den Initiatoren in der vergangenen Woche schon erste Gespräche geführt, mit dem Ziel, das Projekt weiter voranzutreiben.
Die Ampel-Koalition hatte mit dem Pflegekompetenzgesetz und dem Pflegeassistenzgesetz zwei Gesetze auf den Weg gebracht, die in der Praxis gelobt wurden und die die neue Bundesregierung auch einführen will. Wann kommen sie durchs Kabinett?
So schnell wie möglich.
Ist vor der Sommerpause realistisch?
Ja, das hoffe ich. Es gilt, hier keine Zeit zu verlieren.
Was haben Sie noch auf Ihrer Agenda?
Ich möchte die Regelungen für die sogenannten 24-Stunden-Kräfte verbessern. Also Betreuungskräfte, die zu Hause in den Familien leben. Genau Zahlen dazu gibt es nicht, aber es betrifft laut Schätzungen rund 300.000 Haushalte. Es fehlt nach wie vor eine rechtssichere Lösung, was die Arbeitszeiten anbelangt. Mir ist wichtig, dass wir diese Variante der Betreuung zu Hause rechtssicher ermöglichen und den Familien mehr Sicherheit geben können.
Wie sieht Ihr Zeitplan dafür aus?
Ich habe in der vergangenen Woche schon erste Gespräche zu dem Thema geführt. Da ist auch schon einiges an Vorarbeit geleistet worden. Es muss jetzt auf die Gleise gesetzt werden. Ob wir das zusammen mit dem Pflegeassistenzgesetz und dem Pflegekompetenzgesetz umsetzen können oder ob das separat passiert, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Ihre Vorgängerin Claudia Moll ist selbst Altenpflegerin, Sie sind Biochemikerin. Ist es ein Nachteil für das Amt, dass Sie die Erfahrung aus der Praxis nicht haben?
Ich sehe das überhaupt nicht als Nachteil. Ich glaube, in so einem komplexen System schadet es nicht, wenn man einen unverstellten Blick auf das Thema hat. Mein Fokus liegt laut Kabinettsbeschluss auf den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Und da gehöre ich auch dazu, da ich im engsten Familienkreis jemanden habe, der gepflegt werden muss. Ich erlebe das tagtäglich und weiß, was das bedeutet und welche Schwierigkeiten damit verbunden sind. Mir ist es ein echtes Herzensanliegen, dass wir die Familien unterstützen, ihnen Raum in der politischen Debatte geben und ihre Sichtweisen mit einbringen. Und jenseits dessen würde ich über mich selbst sagen, dass ich mittlerweile eine erfahrene Politikerin bin und eine hohe Durchsetzungsfähigkeit habe. Und mit dieser werde ich die Herausforderungen für die Familien mit sehr großer Verve und Nachdruck in die Debatte einbringen.