Interview
Erscheinungsdatum: 19. September 2024

Lars Klingbeil: „Die Partei ist unzufrieden, wie wir bundespolitisch dastehen“

SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil über die Landtagswahl in Brandenburg, den Pokerspieler Dietmar Woidke, den schlechten Zustand der Koalition und seine Erwartungen an die Performance des Kanzlers

Herr Klingbeil der Herausforderer der Union bei der Bundestagswahl heißt Friedrich Merz. Sie hatten viel Zeit, ihn zu beobachten. Wo sind seine Schwächen?

Klingbeil: Ich glaube, dass Friedrich Merz vor allem politisch viel Angriffsfläche bietet. Er steht für eine Wirtschaftspolitik aus den 90er Jahren. Er steht für eine Rentenpolitik, die dazu führt, dass Rentnerinnen und Rentner länger arbeiten sollen und am Ende weniger Geld in der Tasche haben. Und er steht für eine Migrationspolitik, die europarechtlich weder seriös noch umsetzbar ist. Es gibt eine klare Polarisierung mit Friedrich Merz, und das werden wir im Wahlkampf deutlich machen.

Hat damit der Wahlkampf begonnen?

Ehrlicherweise haben wir als Regierungspartei noch gar keine Zeit, uns auf Wahlkampf zu konzentrieren. Für mich geht es gerade um die Frage, ob wir das Rentenpaket durchbringen und dass wir für jeden Arbeitsplatz bei VW, bei Thyssenkrupp oder bei ZF kämpfen. Aber natürlich stellt sich jetzt auch bei den Menschen die Frage: Der oder der? Insofern wird jetzt auch anders auf Friedrich Merz geguckt.

Warum hat sich die SPD diesen Gegner gewünscht?

Friedrich Merz hat zuletzt sehr konsequent daran gearbeitet, die CDU nach rechts zu rücken. Das heißt, man hat Platz in der Mitte gemacht. Das ist im ganzen Stil eine andere CDU, die da auftritt. Das ist weit weg von dem, wofür Angela Merkel stand oder Leute wie Hendrik Wüst heute stehen. Das eröffnet für uns Spielräume. Und außerdem ist Friedrich Merz jemand, der – etwa in Talkshows – häufig mal daneben langt. Seine fehlende Impulskontrolle lässt tief blicken.

Muss der Herausforderer attackieren oder greift die SPD an?

Natürlich gehört zu Wahlkampf, dass man auch mal angreift. Aber vor allem brauchen wir eine Auseinandersetzung um die Frage: Wer hat die besten Ideen für die Zukunft unseres Landes? Aber natürlich, wenn Friedrich Merz ganze Gruppen im Land verunglimpft, wird es auch eine deutliche Reaktion der SPD geben. Man schont sich nicht in Wahlkämpfen.

Am Sonntag ist Landtagswahl in Brandenburg. Dietmar Woidke will nur weitermachen, wenn er vor der AfD liegt. Warum pokert er so hoch?

Dietmar Woidke ist es gelungen, maximale Aufmerksamkeit auf Brandenburg zu lenken. Bei den letzten Landtagswahlen wurde ja die Illusion erweckt, man stimme über die Bundesregierung ab – oder über die Frage des Ukrainekrieges. Dietmar Woidke stellt durch die Verknüpfung mit seiner Person die einfache Frage: Wollt ihr, dass ich Brandenburg weiter gut regiere oder die AfD? Er hat sein ganzes politisches Gewicht reingeworfen. Ich bin ich zuversichtlich, dass er gewinnt.

Gibt es einen Plan B?

Wir brauchen keinen Plan B, weil Plan A funktioniert.

Die ganze Partei stöhnt im Moment über den Eindruck der Bundesregierung und ihres Kanzlers.

Die Partei ist unzufrieden, wie wir bundespolitisch dastehen. Ja, es gibt einen enormen Druck. Viele fangen an, sich Gedanken über die Bundestagswahl zu machen. Und ich mache mir diese Gedanken seit Längerem auch. Ich habe den Anspruch, dass wir uns als SPD aus der Lage rauskämpfen. Aber für mich ist jetzt erst mal das wichtig, was wir in dieser Regierung noch erreichen. Es geht um das Rentenpaket, es geht um Industriearbeitsplätze. Und da will jeder sehen, dass die Parteivorsitzenden kämpfen, dass der Bundeskanzler kämpft, dass die Kabinettsmitglieder kämpfen. Wir müssen raus aus dieser Moderatorenrolle, rein in einen Modus, sozialdemokratische Politik für die Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen.

Sie haben die Tariftreue nicht genannt – ein Thema, bei dem die FDP gerade wieder bremst.

Stimmt. Es geht um Rente, Industriearbeitsplätze und um gute Löhne, was ich eng mit Tariftreue verbinde. Das sind die drei Themen, die für uns in dieser Legislatur noch zentral sind.

Wie ist bei der Tariftreue die FDP zu interpretieren?

Wir erleben ja täglich, dass Dinge infrage gestellt werden. Christian Lindner sollte in den Koalitionsvertrag gucken. Da steht die Tariftreue drin und seine Unterschrift darunter, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er vertragsbrüchig werden will.

Sie haben erneut eine bessere Performance des Kanzlers angemahnt. Was genau meinen Sie damit?

Ich will die Bundestagswahl gewinnen. Dafür setze ich meine ganze Energie ein. Und ich erwarte, dass alle anderen das auch tun. Alle haben eine Verantwortung und müssen jetzt ackern. Das heißt, dass der Kanzler auch den Koalitionspartnern klar sagt, das Rentenpaket kommt, das Tariftreuegesetz kommt und dass er ihnen sehr klar macht: Wir haben auch den Job, Industriearbeitsplätze in diesem Land zu sichern. Da muss die SPD eine klare Haltung ausstrahlen.

Viele Umfragen lassen den Schluss zu, dass es eine Sehnsucht gibt nach mehr Autorität, nach mehr Führung gibt. Warum fällt es dem Kanzler so schwer, dem nachzukommen?

Der Kanzler hat in turbulenten Zeiten die Regierung erst einmal zusammenzuhalten und Fragen in der Sache zu klären. Heute müssen wir bilanzieren, dass es die Erwartung gibt, da noch erkennbarer zu sein. Gerade bei unseren Themen, für die wir auch mehrheitlich gewählt wurden und auf denen sich diese Koalition deshalb ja auch begründet: Dass die Menschen sich auf die gesetzliche Rente verlassen können, dass wir bei den Mieten was machen, dass Arbeitsplätze sicher sind, dass dieses Land zusammenhält.

Können Sie sich vorstellen, mit dieser FDP noch einmal zu koalieren?

Alle demokratischen Parteien müssen immer in der Lage sein, zu koalieren. Aber natürlich ermüden drei Jahre dieses Streits mich auch. Wobei wir ja gut gestartet sind. Und trotzdem geht es nicht um die Frage, wie ich mich fühle, sondern wie wir der Verantwortung für das Land gerecht werden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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