Interview
Erscheinungsdatum: 06. Dezember 2023

Karl-Josef Laumann: „Dreierbündnisse sind ein Graus“

Der Sozial- und Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen über die Rolle des von ihm angeführten Sozialflügels der Union, die Bekämpfung von Armut und eine bessere Flüchtlingspolitik.

Sie wollen der CDA, dem Sozialflügel Ihrer Partei, mehr Bedeutung verschaffen. Wie kommt das an?

Es gibt größere Vereinigungen wie die CDA, aber: Wir vertreten einen sehr großen Teil der Wähler der Partei. In Hessen haben 35 Prozent der Leute, die in der Gewerkschaft sind, CDU gewählt und nur 16 Prozent SPD. Das sehen Sie auch in NRW: Dort, wo wir die höchste Arbeitnehmerdichte haben, haben wir die besten Wahlergebnisse. Was wir bisher aber in der ganzen Geschichte der CDU nicht geschafft haben: die Partei der Industriearbeitnehmer zu sein. Nachdem Hessen nicht mehr rot ist wie früher – die SPD hat bei der Landtagswahl keinen Wahlkreis gewonnen – möchte ich das in meinem politischen Leben noch erreichen: im Ruhrgebiet Wahlkreise gewinnen. Da habe ich einen persönlichen Ehrgeiz, auch wenn ich da nicht kandidiere.

Ausgerechnet im roten Pott?

In der Ampel-Koalition hat die SPD den Draht zu den Industriearbeitnehmern verloren. Das ist eine riesige Chance für uns! Wir führen eine Debatte in der Union, wie wir diese Menschen besser erreichen können. Wir wollen ja die nächste Bundestagswahl gewinnen – und zwar so hoch, dass wir mit nur einer anderen Partei regieren können. Diese Dreierbündnisse sind ein Graus.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir brauchen ein Grundsatzprogramm und ein Wahlprogramm, wo die Fragen der sozialen Marktwirtschaft, des Klimaschutzes und unsere industrielle Stärke verbunden werden.

Will Friedrich Merz das auch?

Friedrich Merz kommt aus dem Wirtschaftsflügel der Partei. In seinem Wahlkreis im Sauerland ist die CDU Volkspartei. Seine Wahlergebnisse belegen, dass ihm dort auch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vertrauen und wählen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, es ist überhaupt kein Problem, wenn wir uns über unterschiedliche Standpunkte austauschen. Fakt ist aber: Das CDU-Grundsatzprogramm muss deutlich machen, dass die CDU einen christlich-sozialen Flügel hat.

Früher war die CDA stärker als heute. Woran liegt das?

Das hat zwei Gründe: Sie war immer gespeist aus kirchlichen Sozialverbänden, etwa dem Kolpingwerk und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung. Diese Verbände sind kleiner geworden. Die CDA ist im Grunde die einzige politische Vertreterin der christlichen Soziallehre. Ich sage immer, die Soziallehre bedeutet: Wenn wir auf der Erde christlich handeln, dann bringt das vielen Menschen etwas. Man muss dann nicht so lange auf den Himmel warten!

Sie klingen wie ein Befreiungstheologe.

Nein, das ist einfach vernünftig.

Und was ist der zweite Grund für den Abstieg der CDA?

Ich würde nicht von einem Abstieg reden. Wir hatten sehr viele Jahre große Koalitionen, und wenn wir mit der SPD regieren, haben wir nie das Arbeitsministerium. Das ist in deren DNA. Unser letzter Arbeitsminister war Norbert Blüm! Dabei ist das ein Schlüsselressort jeder Bundesregierung. Dass das so lange kein Christlich-Sozialer war, das hat uns schon wehgetan.

Anderes Thema: Sie haben mal selbstkritisch gesagt, die Politik habe beim Thema Armutsbekämpfung noch nicht genug erreicht. Wie haben Sie das gemeint?

Vorweg: Ich fremdele mit dem statistischen Armutsbegriff. Der definiert ja, dass jeder arm ist, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Dabei ist doch klar: Wenn einer mit einer Rente von 1300 Euro mietfrei wohnt, dann steht er anders da als ein vergleichbarer Rentner, der Miete zahlen muss. Vor allem sorge ich mich aber um die Integration von Menschen, die in die Langzeitarbeitslosigkeit reingerutscht sind. Die bekommen wir nach wie vor zu selten in den Arbeitsmarkt. Daran haben Hartz IV und auch das Bürgergeld wenig verändert.

Wie könnte es denn besser gehen?

Ich habe kürzlich eine Anweisung an die 18 kommunalen Jobcenter in NRW verschickt: Die Vermittlung in Arbeit ist das A und O und muss Vorrang haben.

Wie stehen Sie zur Bürgergeld-Debatte?

Wir brauchen für soziale Sicherungssysteme eine Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Bürgergeld beziehen 3,9 Millionen Menschen, das ist vom finanziellen Volumen kein Pappenstiel. Zumal jeder Bürger inzwischen den Arbeitskräftemangel sieht: Gaststätten, die früher einen Ruhetag hatten, haben heute bis zu drei. Autowerkstätten können nicht zeitnah Reifen wechseln, Kitas fehlen Erzieherinnen. Wir können nicht in diesem Umfang Arbeitslose in Deutschland haben – und gleichzeitig einen Arbeitskräftemangel. Wir müssen besser bei der Arbeitsvermittlung werden. Dann sparen wir auch Geld.

Friedrich Merz sagt, man könne beim Bürgergeld sparen. Carsten Linnemann fordert eine Umbenennung und einen Fokus auf „fordern und fördern“. Und Sie?

Ich habe ja gesagt: Vermittlung ist das A und O und spart Geld.

Würde Arbeitsvermittlung allein wirklich das Gesamtproblem lösen? Rund eine Million Menschen, die arbeiten, sind trotzdem auf Bürgergeld angewiesen.

Vor diesen Menschen habe ich große Achtung. Oft hängt das ja auch mit großen Bedarfsgemeinschaften zusammen.

Sie meinen Familien mit vielen Kindern. Ihnen soll die neue Kindergrundsicherung helfen. Fordern Sie Änderungen an dem Gesetz?

Wir hatten jetzt den ersten Durchgang im Bundesrat, nun geht es in die Ausschüsse im Bundestag. Ich werde schauen, wie es sich durch die Beratungen verändert, bevor ich es bewerte. Wobei ich es gut finde, dass man die Kinder aus der Grundsicherung herausnehmen will. Denn dass das Bürgergeld sie bisher mit alimentiert, verzerrt die Debatte um das Lohnabstandsgebot. Politisch unklug ist hingegen, dass man bis zu 5000 zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst für den „Familienservice“ schaffen will.

Sie sind auch als Sozialminister für Geflüchtete zuständig. Wie ist die Lage in NRW?

Im Oktober hatten wir einen Zuzug von gut 9.000 Menschen in NRW. Wir haben 103.000 Schüler in unseren Schulen, die wir vor zwei Jahren noch nicht kannten. Die brauchen alle eine Klasse, einen Lehrer, eine Lehrerin. So können wir nicht weitermachen. Darüber ist mittlerweile in jedem Kommunalparlament gar kein Streit mehr zwischen CDU, Grünen, FDP und SPD. Es ist einfach Fakt. Wenn wir eine Akzeptanz für das Asylrecht erhalten wollen – und das will ich – müssen wir dafür sorgen, dass Menschen, die wirklich verfolgt sind, hier bleiben können. Und Lösungen suchen für diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Das können wir nicht unter dem Thema Asyl abbuchen.

Ist es nicht auch so, dass es in der Welt einfach mehr verfolgte Menschen gibt, als uns klar ist?

Womöglich, aber wir können das nicht allein in Deutschland lösen. Wenn wir nicht aufpassen, könnte die Stimmung gegenüber diesen Menschen sehr schlecht werden. So schlecht, dass wir den Kern des Asylrechts nicht mehr verteidigen können. Und das wäre schlimm. Außerdem müssen wir als Politiker demokratischer Parteien damit umgehen, dass die AfD in Umfragen bis zu 25 Prozent Zustimmung bekommt. Wir können in einer Demokratie nur Politik machen mit einer gewissen Akzeptanz in der Bevölkerung.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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