Interview
Erscheinungsdatum: 17. April 2024

Jens Spahn: „Wir müssen unsere Strategie ändern, weil China sich massiv ändert, autokratischer wird und auch imperialer“

Während Olaf Scholz mit Chinas Präsident Xi konferierte, reist Jens Spahn durch das Land. Mit erstaunlichen Erkenntnissen und der Erneuerung eines Angebots an die Bundesregierung.

Wir erreichen Sie im Zug. Wie fühlt sich die Bahn in China an?

Gut. Schnell. 900 Kilometer in drei Stunden. Pünktlich. Ordentlich, sauber. Effizient.

Besser als in Deutschland?

Sagen wir es mal so: Im Nachhinein hätten wir in den 90er Jahren auch ein eigenes Schnellzugnetz, also Bahntrassen parallel zu den normalen Schienen bauen sollen. Nur für die Schnellzüge, so wie die Chinesen es gemacht haben. Dann würde die Bahn heute besser funktionieren und sie würde in einem besseren Licht erscheinen. Richtig ist aber auch, dass ich in Deutschland zwar deutlich schnellere Planung und schnellere Genehmigungen möchte, aber ganz sicher kein chinesisches Planungsrecht.

Sie sind seit einigen Tagen in China unterwegs. Was ist die größte positive Überraschung?

Der sehr starke Bezug vieler unserer Gesprächspartner nach und zu Deutschland. Es gibt eine sehr große Aufgeschlossenheit und sehr, sehr großes Interesse. Das ist insofern eine Überraschung, als dass ich das vor einem Jahr noch etwas anders erlebt habe. Auch in Berlin, wo es zum Teil Gespräche mit einem sehr klaren, zum Teil auch aggressiven Ton gab. Das ist jetzt deutlich anders. Es gibt ein hohes Interesse an Zusammenarbeit. Wir sind Opposition, trotzdem gibt es hochrangige Termine und gute, offene Gespräche. Und wir können dabei im Rahmen dessen, was diplomatisch möglich ist, auch die kritischen Themen ansprechen. Dennoch ist das erstmal eine Momentaufnahme. Eine Charmeoffensive allein baut noch kein nachhaltiges Vertrauen, wenn nicht auch entsprechende Änderungen eintreten.

Sie gehören federführend zu den Autoren einer doch ziemlich kritischen Unionsposition. Beschleicht Sie jetzt, vor Ort das Gefühl, Sie hätten manches anders formuliert?

Zuerst einmal können wir feststellen, dass unser Strategiepapier hier sehr wahrgenommen worden ist. Im politischen China, in Peking. Außerdem fühlen wir uns bestätigt, weil wir ja auch selbst einen Spagat beschreiben. Wir sehen in China mittlerweile einerseits quasi eine Ein-Mann-Herrschaft. Das spürt man in allen Gesprächen: Alles ist nur auf Xi Jinping zugeschnitten. Uns berichten Chinesen im informellen Gespräch, wie sehr die Pandemie mit sehr harten, einschneidenden Maßnahmen bewusst gemacht hat, wie dieses autokratische System im Zweifel durchzieht. So gesehen haben wir als Union zurecht gesagt: Wir müssen unsere Strategie ändern, weil China sich massiv ändert, autokratischer wird und auch imperialer. Diese Analyse ist und bleibt richtig. Gleichzeitig sagen auch wir, dass in den letzten 30 Jahren in den wirtschaftlichen Beziehungen beide Seiten stark profitiert haben. Und das gilt weiterhin. Und wenn diese wirtschaftlichen Beziehungen fair, also reziprok mit gleichen Rechten und Möglichkeiten organisiert sind, dann spricht auch nichts dagegen, sie an bestimmten Stellen sogar auszubauen.

China-Reisende erleben immer wieder diese unglaubliche Dynamik. Mit einem immensen Höher, Schneller, Weiter. Müssen wir Europäer da nicht einfach mitmachen, bei der Wucht, die das entfaltet?

Es löst in der Tat eine große Wucht aus. Aber ich merke in den Gesprächen auch, dass es viele Probleme gibt. Da ist die immense Verschuldung gerade der Provinzen; da ist ein wankender Immobilienmarkt, der ein Viertel des BIPs ausmacht und beginnt, zu implodieren. Wir sind mit dem Zug durchs Land gefahren und haben riesige leerstehende Wohnkomplexe gesehen. Nach Schätzungen soll es aktuell 80 bis 100 Millionen leerstehende Wohnungen geben. Da ist die demografische Entwicklung, die massive Alterung, in diesem Jahr ist China erstmals geschrumpft. Und da sind die Überkapazitäten...

... die uns Sorgen bereiten, weil China damit unsere Märkte überschwemmt.

Vielleicht ist es auch andersherum. Es ist ja nicht nur zu Chinas Vorteil, dass es so massiv Überkapazitäten gibt. China muss mit vielen, vielen Milliarden Subventionen seine Produkte sehr, sehr günstig in den Weltmarkt drücken. Und ja, das macht es für unsere Unternehmen an bestimmten Stellen schwierig. Aber man könnte überspitzt auch sagen: Wenn China mit seinem Geld und seinen subventionierten Überkapazitäten für Solarpanels quasi den notwendigen massiven Solarausbau in Europa deutlich billiger und schneller macht, dann muss das nicht nur zu unserem Schaden sein.

Wenn Sie Wirtschaftsminister wären – wie würden Sie die neue Spaltung zwischen den großen Unternehmen und dem Mittelstand in der Chinafrage managen? Die Großen wollen eigentlich mehr denn je in China investieren. Den Kleineren dagegen ist China unheimlich geworden.

Es reicht nicht mehr, für Reziprozität in allen Fragen, in allen Bereichen nur zu werben, sondern wir müssen sie fordern, einfordern. Deutsche Unternehmen müssen hier das Gleiche dürfen und machen können wie chinesische Unternehmen in Europa.

Und wenn das nicht gewährt wird?

Dann müssen wir sofort und mit Härte die entsprechenden Gegenmaßnahmen ergreifen, auch den Marktzugang in die EU beschränken. Das ist die Sprache, die auch in Peking verstanden wird. Deswegen ist die aktuelle EU-Untersuchung in Sachen Subventionen und Strafzöllen ein richtiger Schritt. Zugleich gibt es zwei Ansätze zum de-Risking: zum einen nach dem Prinzip lokal für lokal stärker hier in China zu produzieren, zur Absicherung des Marktzugangs, zur Absicherung von Lieferketten, auch unter Beteiligung der Zulieferer, und zur Begrenzung des Risikos im worst case. Zum anderen ist es aber auch richtig, dass gerade die kleineren Unternehmen auch viel stärker anfangen zu diversifizieren und sich hier im ostasiatischen Raum auch andere Standorte suchen.

Wenn Sie Kanzler wären – hätten Sie den BDI auf so eine Reise mitgenommen?

Es macht immer Sinn, den BDI mitzunehmen. Zumal der BDI als erster die Trias von Rivale, Wettbewerber und Partner formuliert hat, die auch unseren Überlegungen zugrunde liegt. Noch viel wichtiger wäre es aber, wenn man als Kanzler nach China reist, dass es eine einheitliche Linie in der Regierung gäbe. Die Bundesregierung aber hat aktuell mindestens drei verschiedene. Wir haben den Kanzler, der vor Ort konstruktiv Gespräche führt, was auch richtig und wichtig ist. Wir haben eine Außenministerin, die zur eigenen innenpolitischen Profilierung die Lage in China in scharfer Rhetorik kritisiert, sogar von einer Diktatur spricht - ohne dass sich dadurch irgendwas verändert. Und wir haben die Liberalen, deren Minister völlig losgelöst von allem anderen einfach mal provokativ nach Taiwan reisen. Jeder macht seins. Das alles macht Deutschland nicht glaubwürdiger und untergräbt jede Strategie.

Sie haben in China auch mit Medien gesprochen, die die Regierungspropaganda verbreiten. Was erhoffen Sie sich davon?

Auch in einem solchen Gespräch lassen sich ja die Probleme ansprechen. Dass es faire, offene Marktzugänge braucht, zum Beispiel. Und dass wir von China beim Ukrainekrieg nicht eine pro-russische Neutralität, sondern eine klare Verurteilung der russischen Aggression erwarten. Wenn man das im Staatsfernsehen sagen kann, ist das gut.

Sie haben vor Ihrer Reise gesagt, man dürfe die Chinapolitik nicht dem Kanzler überlassen. Geben Sie sich nicht ein bisschen dem Verdacht hin, dass Sie Nebenaußenpolitik betreiben? Hätten Sie sich das als Regierung nicht verbeten?

Doch. Aber da es keine einheitliche Linie in der Politik der Bundesregierung gibt und diese offenkundig auch nicht gemeinsam durchgetragen wird, ist kritische Begleitung zwingend nötig. Wir haben auch als Oppositionspartei eine Verantwortung. Und wir haben der Regierung ja mehrfach angeboten, gemeinsam eine China-Strategie zu entwerfen. Diese sollte ja, wenn irgend möglich, nicht nur für eine Legislatur gelten, und auch einen Regierungswechsel überdauern. Deswegen gilt in dieser Frage unser Angebot zu Erarbeitung eines nationalen Konsenses bei aller Kritik fort.

Sie haben auch mit Vertretern der Wissenschaft gesprochen. Zuletzt haben sich die Beziehungen auf diesem Feld verschlechtert. Was wollen Sie?

Dass wir in Deutschland, auch zur Beratung von Politik und Wirtschaft, deutlich mehr China-Expertise aufbauen –so wie die Chinesen umgekehrt Deutschland-Expertise. Dann müssen deutsche Thinktanks wie Merics aber auch wieder nach China einreisen dürfen. Das haben wir hier mehrfach deutlich angesprochen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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