Herr von Sonntag, es ist gerade eine Menge los bei idealo. Sie entlassen Personal, ihr Mitgründer und Geschäftsführer Martin Sinner ist aus der Geschäftsführung ausgeschieden. Was ist los bei Idealo?
Es ist richtig, dass idealo sich strategisch neu aufstellt, um besser auf die Herausforderungen im Markt reagieren zu können. Das begleiten aber andere – ich habe mich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, um das Internet urbar zu machen. Ich bin jetzt seit 25 Jahren dabei, und es einiges zu tun im Online-Geschäft. Ich konzentriere mich darauf.
Wie hoch war der idealo-Umsatz im vergangenen Jahr?
Ich habe es nicht genau im Kopf – ich bin aus dem operativen Geschäft raus. Aber es waren wohl deutlich über 200 Millionen Euro.
idealo war eines der ersten Vergleichsportale im Internet. Wie kamen Sie seinerzeit auf die Idee?
Unser Ziel war, mehr Transparenz für die Verbraucher in den Markt zu bringen. Wenn man im Jahr 2000 einkaufen wollte, war man auf den Preis angewiesen, den der lokale Händler aufgerufen hat. Den musste man akzeptieren oder ein anderes Produkt kaufen. Wir wollten das übersichtlicher machen. Mein persönlicher Traum war damals, dass Verbraucher am Ende bei umfassender Transparenz den besten Preis finden können. Inzwischen wissen wir, dass alles viel komplexer ist. Es gibt für die eine individuelle Person und ihr individuelles Bedürfnis nicht den richtigen, sondern vermutlich nur den einen fairen Preis.
Warum sind so viele Vergleichsportale zugrunde gegangen? Vor zehn Jahren gab es noch ein knappes Dutzend, heute nur noch drei oder vier….
Die Antwort ist einfach. Google hat sie aus dem Markt gedrängt. Das ist alles dokumentiert. Dazu gibt es eine Entscheidung der EU-Kommission von 2017. Das war damals die umfassendste Entscheidung aller Zeiten. Dafür hat die Kommission Terabytes von Daten ausgewertet. Das Ergebnis war dramatisch, was da passiert ist. Der Entwicklung zuzuschauen war auch für mich keine schöne Zeit. Ich habe viele Wettbewerber verloren, die ich durchaus inspirierend fand.
Und warum hat ausgerechnet idealo überlebt?
idealo war immer das beste Produkt. Wir sind heute noch besser als Google. Aber auch idealo wurde massiv durch Google geschädigt
So weit der Werbeblock. Sie haben Google dann auf 3,3 Milliarden Euro Schadensersatz verklagt. Die EU hat Google im vergangenen September zu 2,5 Milliarden an Strafzahlungen verpflichtet. Reicht das nicht – warum haben Sie noch mal draufgesattelt?
Im Jahr 2004 hat Google seinen Börsengang gemacht. Bis dahin war das ein super Produkt. Dann fanden die Investoren, dass sich Wachstum und Gewinn nicht mit ihren Erwartungen und ihren Investitionen decken. Und man suchte nach Alternativen, mehr Geld zu verdienen. Sie haben andere Geschäftsmodelle ausprobiert und man wusste anhand der Daten, dass Preisvergleiche besonders gut laufen. Das war das erste Produkt, auf das sie gesetzt haben.
Und damit war idealo Konkurrenz?
Was macht man, wenn man die Online-Suche dominiert? Ganz einfach: Man packt seine eigenen Produkte in der Suche nach ganz oben in die Ergebnisliste. Das war der „clevere Algorithmus“, den sie sich ausgedacht haben. Damals, im Jahr 2002 und in den Jahren danach haben sie ein Produkt gebaut. Das hieß ursprünglich Froogle. Das haben sie ganz nach oben gesetzt, und keiner kam mehr daran vorbei. Das war der Beginn einer großen Story bei Google. Nach und nach haben sie fast den gesamten Markt auf sich gezogen. Die alten Preisvergleiche haben immer weniger Besucherzahlen bekommen. Nur dass das halt von Anfang an illegal war.
Noch einmal die Frage: Der Europäische Gerichtshof hat eine Strafe von 2,5 Milliarden Euro Strafe verhängt. Warum reicht Ihnen das nicht?
Die Strafe für Google betrug 2,43 Milliarden Euro – dabei ging es aber nur um die Vergangenheit seit der Kommissionsentscheidung 2017 und die Zahlung entschädigt nicht die Wettbewerber. In Europa ruht das Wettbewerbsrecht auf drei Säulen. Erstens gibt es die Strafe, eben diese 2,43 Milliarden Euro, die Google aus der Portokasse bezahlt. Zweitens wird von dem Delinquenten eine Verhaltensänderung zur Abstellung des Rechtsverstoßes gefordert. Die hat es nicht gegeben. Und drittens ist da die private Durchsetzung des Schadensersatzes. Das hat der Gesetzgeber bewusst so aufgebaut, mit vielen Vereinfachungen für die Betroffenen. Im aktuellen Schadensersatzverfahren müssen wir keinen Rechtsverstoß mehr beweisen. Das wurde in vorausgehenden Verfahren gemacht. Es geht nicht mehr um die Frage, ob Google Schadenersatz zahlen muss, sondern nur noch darum: wieviel? Und das ist relativ einfach berechenbar, weil der Vorwurf darin bestand, dass Google den Traffic, den wir eigentlich hätten bekommen sollen, auf sich selbst umgelenkt hat. Da kommen nur für idealo und nur in Deutschland zwischen 2008 und 2023 mindestens 3,3 Milliarden Euro zusammen.
Wollen Sie damit sagen, Sie waren mit Ihrer Forderung eher zurückhaltend?
Genau – im Übrigen verklagen über ein Dutzend anderer Preisvergleichsportale Google. Inzwischen liegt die Summe deutlich im zweistelligen Milliardenbereich. Noch viel höher, nämlich ein Vielfaches davon, ist der Schaden, der den Verbrauchern entstanden ist. Wir sind ein kundenorientiertes Produkt. Wir sortieren die Preise nach der Höhe. Bei Google wird zuerst der Preis angezeigt, der Google am meisten Geld bringt. Das ist typischerweise nicht das kundenfreundlichste, sondern das Angebot, das dem Händler die höchste Marge bringt. Und die teilt der sich dann mit Google. Der Schaden für die Verbraucher ist erheblich. Die Verbraucher mussten mehr bezahlen, weil sie nicht zu einem guten Preisvergleichsportal gegangen sind.
Hat Sie zur Klage womöglich auch motiviert, dass Sie ausgebildeter Jurist sind?
Na ja, ich habe auch noch zum Schadensersatzrecht promoviert. Insofern ist es mir durchaus ein Vergnügen.
Google hat sich offenbar einen schwierigen Gegner ausgesucht. Bis wann rechnen Sie mit einem Urteil?
Ein Urteil In erster Instanz könnte im nächsten Jahr fallen. Die mündliche Verhandlung soll im kommenden November sein. Davor sind noch andere Preisvergleichsportale aus anderen Ländern dran. Und dann hängt es davon ab, wie kampfeslustig Google ist. Üblicherweise ziehen sie ein solches Verfahren durch mehrere Instanzen. Die verfolgen eher die Strategie zu leugnen, zu verzögern, zu bekämpfen. Im Ursprungsfall hat es vor dem EuGH 14 Jahre gedauert, bis 2024 das finale Urteil kam. Wir müssen Geduld haben.
Es ist also langer Atem gefragt. Hat Europa denn noch eine Chance gegen Netz-Riesen wie Google oder Amazon? Und jetzt kommen die Chinesen noch dazu.
Wir müssen da strikt trennen. Das ist kein europäisches Problem. Wir haben globale Akteure, die ihre ultradominante Position global ruchlos durchsetzen. Es gibt auch in Amerika eine Vielzahl von Verfahren gegen Google. Auch da drohen Google riesige Probleme, übrigens auch anderen großen Tech-Unternehmen. Die Frage, die sich immer stellt: Wie gehen wir in Europa damit um? Wir haben ein anderes Wettbewerbsrecht als die USA. Aber wir haben auch gute neue Gesetze, zum Beispiel den Digital Markets Act, die ziemlich klar sind. Die interessiert es nicht, woher der Missetäter kommt, sondern nur, was er macht.
Sie sind ein Freund der Netzneutralität. Sie wollen im Grunde gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle. Richtig?
Ich begreife den Begriff Netzneutralität etwas anders. Für mich hat er zwei Dimensionen. Wir haben zum einen die Dimension Demokratie. Was macht das Netz mit unseren Bürgern? Und das andere ist die Dimension Wettbewerb. Wie schaffen wir einen fairen Wettbewerb in Europa? Hinsichtlich der Demokratie und Meinungsfreiheit sagt Artikel 5 Absatz 1 unseres Grundgesetzes, dass jeder das Recht hat, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren. Das aber ist nicht mehr der Fall.
Warum nicht?
Google und die sozialen Medien sind für viele eine wesentliche Quelle der Information. Aber es ist ja nicht so, dass ich mich da ungehindert informieren kann. Ich muss mich bei Google durch einen riesigen Wust an Werbung kämpfen, bevor ich überhaupt zu einer neutralen Information komme. Dafür gibt es durchaus spannende Richtlinien, etwa die audiovisuelle Mediendienst-Richtlinie, die ist auch immer noch gültig für das lineare Fernsehen und andere Massenmedien, stammt aber aus dem Jahr 2010.
Was besagt sie?
Sie regelt zum Beispiel, dass Werbung nicht bösartig oder hinterhältig sein darf. Aber auch: Werbung darf nur maximal 20 Prozent der Sendezeit betragen. Diese Richtlinie müssten wir jetzt auf die modernen Nachfolger der Massenmedien anwenden. Dazu gehören natürlich Tiktok oder Google. Denn natürlich ist Google, wozu ja auch YouTube gehört, längst ein audiovisueller Mediendienst.
Die Netzcommunity ist gespalten in eine Fraktion, die die maximale Freiheit im Netz anstrebt und eine andere, die eher regulieren will. Sie gehören zur zweiten Fraktion, richtig?
Aus meiner Sicht gehören zur ersten Fraktion vor allem die Ultramächtigen und ihre Proxies. Das sind gar nicht so viele Menschen. Und die Leute, die regulieren wollen, sind alle die, die nicht super-mächtig sind. Normalerweise ist es im Rechtsstaat immer so, dass die Superstarken gegen eine Regulierung sind, während die Schwachen Regeln, Gesetze und Behörden brauchen, um ihre Rechte durchzusetzen. Damit sie sich schützen und geregelt leben können.
Wir reden permanent über Digitalisierung. Aber sind wir in Deutschland wirklich schon in der digitalen Zukunft angekommen?
Na ja, wenn man den Begriff digitale Zukunft aus der Sicht der 80er Jahre oder wie George Orwell sieht, sind wir zu 120 Prozent angekommen. Denn vieles davon ist absolut besorgniserregend, manch eine Dystopie hat sich voll erfüllt. Andererseits sind wir auch gerade dabei, unsere Zukunft auf viele Jahrzehnte hinaus neu zu gestalten. Im Prinzip ist Europa gut aufgestellt. Wir haben gute Gesetze. Wir müssen sie nun konsequent anwenden. Europa als Rechtsstaat kann viel machen – und muss viel machen. Wenn wir anfangen, unsere Positionen im Zuge gewisser Handelsdebatten aufzugeben, sind wir geliefert.
Aber es gibt den globalen Wettbewerb. Brauchen wir nicht auch größere europäische Player, die mit den großen amerikanischen und chinesischen Unternehmen mithalten können?
Viele Europäer sind technologisch sehr gut aufgestellt und nur klein, weil sie klein gehalten werden. Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, verdient mit Google Shopping ungefähr die Hälfte des Gesamtumsatzes. Wenn sie den nicht mehr illegal auf sich lenken, sondern verteilen würden, wären viele europäische Unternehmen größere Player – vermutlich sogar sogenannte Gatekeeper, die die gleichen Regeln befolgen müssten wie Google. Wir haben in Europa gute Gesetze, sie müssen von den Behörden und Gerichten einfach durchgesetzt werden. Dann haben wir auch eine gute Zukunft.
Sie engagieren sich auch im Bereich nationaler Netzpolitik. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an?
Die konsequente Durchsetzung des bestehenden Regelwerks wäre ein ganz zentraler Punkt. Ein anderer Aspekt ist, dass wir aufhören, im digitalen Segment Privilegien zuzulassen. Das Internet ist nicht mehr Neuland, es braucht nicht mehr, wie vielleicht vor 25 Jahren, künstliche Startvorteile.
Konkret: Welche Privilegien meinen Sie?
Wenn wir uns zum Beispiel die audiovisuelle Mediendienst-Richtlinie anschauen, enthält sie Privilegien für Onlinedienste. Sie haben mildere Regeln als TV-Sender. Das verstehe ich nicht, es müsste gleiche Regeln für alle geben.
Was ist denen erlaubt, was den TV Sendern nicht erlaubt ist?
Die haben zum Beispiel nicht die Werbemengenbegrenzung. Die müssen nicht 30 Prozent europäischen Content liefern. Und auch, was den Schutz Minderjähriger angeht, haben die Onlinedienste erstaunliche Privilegien. Das fing an in den frühen 2000er Jahren, als vieles technologisch so schwer erschien. Das war es real zwar nicht, aber es erschien schwer und wurde gut lobbyiert. Das müssten wir eigentlich mal aufräumen.
Vor allem die Union will in der neuen Regierung ein Digitalministerium einrichten. Macht das Sinn?
Es wäre vor 15 Jahren verführerisch gewesen, so etwas einzurichten. Heute ist die Digitalisierung so umfassend und betrifft jedes Ministerium – auch inhaltlich. Selbst in der Landwirtschaft werden doch heute ungeheure Mengen an digitalen Instrumenten eingesetzt: Die Traktoren fahren GPS-gesteuert auf den Millimeter genau. Roboter zupfen das durch KI erkannte Unkraut. Digitalisierung ist doch überall.
Also kein Digitalministerium?
Ein Digitalministerium ohne Gestaltungsspielraum ist Quatsch. Außerdem würden sich die Einzelressorts kaum vorgeben lassen, wie sie selbst ihre Digitalisierung organisieren. Alle sollten Digitalisierung als eine Hauptaufgabe sehen, nicht zuletzt das Wirtschaftsministerium. Was völlig unterschätzt wird, ist doch die digitale Informationsbeschaffung quer durch alle Segmente. Ich habe meine letzten Autos nicht im Autohaus gekauft, sondern meine Entscheidung im Internet getroffen und auch im Internet bestellt. Und es wurde mir geliefert. Der Hersteller vor Ort ist ein Auslaufmodell. Wir müssen die Industrie vielmehr davor schützen, dass sie diesen Trend verschläft. Digitalisierung ist überall.
Deutschland ist als Industrieland zu Wohlstand gekommen. Ist das für Sie auch Auslaufmodell oder hat die industrielle Fertigung noch Zukunft?
Natürlich brauchen wir für die Produktion von Gegenständen Industrie. Aber die Frage ist doch: Wie erfolgt der Vertrieb? Wenn wir den Vertrieb dieser Gegenstände und die Informationsbeschaffung darüber den Digitalkonzernen überlassen und die dann willkürlich ihre Monopolprämie nehmen, wird das nachher die gesamte dahinter hängende Industrie zahlen müssen. Wenn ich also die Kaufentscheidung für mein neues Auto im Netz treffe, das Netz aber gar kein Ort der freien Informationsbeschaffung mehr ist, sondern ich überall nur noch Werbung habe und dieses gar nicht mehr merke, läuft etwas gewaltig schief.
Entscheidend wäre die Aufklärung der Kunden…
Der Normalkunde weiß doch gar nicht, dass Google zwischenzeitlich gar keine Suchmaschine mehr ist, sondern immer mehr eine Werbemaschine. Wenn es so kommt, müssen sie so viel Geld im Wettbewerb untereinander bezahlen, dass sie fast keine Marge mehr haben. So einfach ist das, wenn jemand so dominant ist.
Aber wo wird in Zukunft der Mehrwert entstehen? Bisher entstand er nicht zuletzt im Rahmen industrieller Prozesse. Wird das so bleiben – oder entsteht er eher in einer digitalen Welt?
Der Trend ist eindeutig: Die digitale Welt wird immer bedeutsamer. Ja, wir werden natürlich Technologien entwickeln, die auch in die industriellen Prozesse einwirken. Vieles wird ja schon von Robotik und Künstlicher Intelligenz gemacht. Das ist Realität. Meine Sorge fängt an der Schnittstelle der Digitalisierung mit dem individuellen Menschen an.
Wie meinen Sie das?
Wenn wir zunehmend von künstlichen Intelligenzen beraten werden, die dann aber als Businessmodell nicht das Wohl des Kunden im Fokus haben, sondern dessen Beeinflussung, wird es schwierig. Die meisten Businessmodelle, die ich kenne, sind werbefinanziert. Und wenn das nicht gekennzeichnet und begrenzt wird, ist es Manipulation. Denn wenn ich das verknüpfe mit ChatGPT oder Google AI, ist es nicht mehr kontrollierbar – durch niemanden. Die Prozesse sind langatmig, sie können den Kunden über Wochen steuern. Und solange ich zulasse, dass Manipulation, also Werbung ohne Kennzeichnung das zentrale Businessmodell ist, wird das schiefgehen.
Den selbstbestimmten, informierten Kunden gibt es bei Ihnen nicht mehr?
Nein, in der digitalen Welt, wie sie sich gerade präsentiert und womöglich weiterentwickelt, eher nicht.