Interview
Erscheinungsdatum: 04. Dezember 2023

Gunter Erfurt: „Handelsbarrieren würden Energiewende verlangsamen"

Meyer Burger im sächsischen Freiberg ist der letzte große Hersteller von Solarmodulen in Deutschland. CEO Gunter Erfurt spricht von unfairem Wettbewerb und erläutert, warum er Sanktionen gegenüber China dennoch für das falsche Instrument hält.

Betreffen Karlsruher Urteil und Haushaltskrise auch Meyer Burger?

Wen betrifft das gerade nicht? Natürlich hat die Krise Auswirkungen auch auf unsere Industrie. Und ja, es gäbe viele Instrumente, die in einem für uns sehr unfairen Umfeld möglich wären.

Welche Instrumente? Und warum unfair?

Wir wissen doch alle, was auf dem Markt los ist. Ein 400-Watt-Modul aus China kostet derzeit hier 40 Euro. Vor Ort kostet die Herstellung 80 Euro, dann müssen sie noch eine Marge draufschlagen für Rekapitalisierung, Logistik und so weiter. So gesehen wären 110 oder 120 Euro vielleicht ein fairer Preis. Aber hier in Europa wird das Modul für 40 Euro verkauft. Wir sind die Deponie für chinesische Billigmodule, weil sie in die USA und anderswo nicht mehr reindürfen.

Sind wir Deponie oder wollen die Chinesen gezielt den europäischen Markt zerstören, also das wiederholen, was bei der Windindustrie schon geklappt hat?

Dass jedes Detail strategisch am Kartentisch ausgetüftelt wird, glaube ich nicht. Aber dass China diese Industrie dominieren will, ist offensichtlich. Es gibt aber überhaupt keinen ökonomischen Grund, PV-Module nur in China kosteneffizient zu produzieren. Das können wir auch. Insofern sind wir großer Hoffnung, dass der angekündigten Würdigung der Industrie auch Taten folgen.

Was wären solche Taten? Was brauchen Sie?

Für uns wäre es von essenzieller Bedeutung, in Europa ein kluges Instrument zu schaffen, das nicht gegen China gerichtet ist, aber das klare Ziel verfolgt, in der EU bis 2030 eine resiliente Cleantech-Industrie auf die Beine zu stellen. Es gibt ja konkrete Vorschläge: den Net-Zero-Industry-Act für Europa und in Deutschland liegt das Solarpaket I auf dem Tisch. Darin ist auch Platz für ein eigenes kleines Resilienzpaket. Das wäre nicht nur ein gewaltiger Schub für uns, sondern wir wären der EU sogar einen Schritt voraus.

Kommt Ihnen das Karlsruher Urteil jetzt da in die Quere?

Mit Sicherheit wären Dinge ohne das Urteil schneller gelaufen.

Oder anders gefragt: Hatten Sie Hoffnungen, vom Klima-Transformationsfonds etwas abzubekommen?

Ja, haben wir aber immer noch. Der KTF finanziert so oder so auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das ist weiterhin ein verbindliches Instrument. Es ist daher weiterhin möglich, das Resilienzprogramm über das EEG zu finanzieren. Deswegen gehe ich von einer Lösung in unserem Sinne aus, wie immer die aussieht. Der Vorschlag des Bundesverbandes Solarwirtschaft ist deswegen klug, weil er nicht auf Handelsbarrieren abzielt, die die ganze Energiewende verlangsamen würden.

Keine Handelsbarrieren? Was dann?

Ohne China geht es nicht, das muss uns klar sein. Es geht nicht um Mauern gegenüber China, es geht um faire Wettbewerbsbedingungen, und warum nicht auch um eine Einbindung der Chinesen?

Was heißt das konkret?

Im EEG-Konto stecken rund 13 Milliarden Euro fürs kommende Jahr aus dem KTF. Im Vergleich: Wir reden über eine Resilienzversicherungsprämie von anfangs 25 bis 40 Millionen Euro, also eine Summe, die im niedrigen Promillebereich des Bundeszuschusses zum EEG liegt. Das ist ein absolut überschaubarer Betrag, nicht zuletzt im Vergleich zu den 60 Milliarden für fossile Subventionen im Jahr.

Was hieße diese Prämie für Meyer Burger konkret?

Das Geld würde nicht zu uns fließen. Es wäre ein Bonus für die Anlagenbetreiber, vom einzelnen Hausdach bis zum großen Solarpark, dafür, Komponenten in Produkte, die in Europa hergestellt wurden, zu verbauen. Daraus würden sich aber riesige Chancen für die Branche ergeben. In Sachsen und Sachsen-Anhalt ist nicht nur die stärkste Solarindustrie von ganz Europa angesiedelt. Wir sind auch vorbereitet für den weiteren Ausbau, wir haben Liegenschaften gesichert und könnten aus dem Stand von 1,4 Gigawatt auf fünf Gigawatt aufstocken. Mittelfristig könnten wir sogar auf 15 Gigawatt hochfahren. Die Pläne sind da, die Grundstücke sind gesichert. Wir sind auf doppelte Deutschland-Geschwindigkeit eingestellt. Dafür wäre ein vergleichsweise sehr kleiner Betrag nötig.

Wieviel Geld brauchen Sie?

Unsere höchste Priorität hat die schnelle Sicherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen, denn die gibt es in Europa nicht. Dann können wir auch neue Arbeitsplätz schaffen: Für die 1,4 Gigawatt haben wir 1.000 Mitarbeiter eingestellt. Das kann sich bei fünf Gigawatt Produktionskapazität verdreifachen.

Und die Arbeitskräfte gibt es auch, wenn Sie weiter wachsen?

Die kriegen wir, wobei wir die Produktion von Zellen und Modulen ganz bewusst trennen. Zentrale Zellproduktion ist hochautomatisiert, da werden in Summe weniger Arbeitskräfte benötigt als im Modul. Die Module werden eher verteilt dort entstehen, wo regional die Märkte sind. In Freiberg sind wir mit unserer Modulfabrik so aus dem Stand heraus der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber geworden. Wir produzieren dort inzwischen mehr Solarmodule als von Solarworld vor 15 Jahren weltweit hergestellt wurden.

Wollen Sie Zölle?

Es gibt immer lautere Stimmen aus der Politik, die nach klassischen Handelsbarrieren rufen. Ja, das wären Zölle. Wenn China sein Wattpeak für zehn Cent verkauft, könnte man tatsächlich Dumping unterstellen. Ich will das gar nicht bewerten. Nur, wenn Zölle kommen, dann haben wir eine Lose-Lose-Situation: Die Energiewende wird teurer und auch wir müssten mit Nachteilen rechnen.

Sie gehen in die USA an zwei Standorte – was war der Hintergedanke? Der Inflation Reduktion Act?

Unsere USA-Pläne sind viel älter. Da geht es um Marktüberlegungen. Es ist einfach ein logistischer, ökonomischer und ökologischer Unfug, Solarmodule um den halben Globus zu transportieren. In einem Großcontainer sind 900 Module. Wenn Sie den Container in den USA oder Europa verschicken, kostet das vielleicht 500 Euro, wenn Sie ihn aus Shanghai nach Europa transportieren, sind es 7.000 bis 9.000 Dollar. Unsere Grundlogik war: Der Transport ist einfach zu teuer. In dieser Situation hat uns der IRA natürlich in die Karten gespielt.

Aber Sie haben Planungen geändert?

Was sich tatsächlich geändert hat: Wir haben im Sommer unser Ausbauprojekt für 3,4-Gigawatt-Solarzellen in Bitterfeld-Wolfen gestoppt. Jetzt errichten wir dieses Werk in den USA. Entlassen müssen wir niemanden, wir hatten die Produktion ja noch gar nicht angefangen. Aber den Kommunalpolitikern hat das natürlich nicht gefallen.

Ist für Sie der IRA oder Green Deal aus Brüssel interessanter?

Der Green Deal ist bisher für uns nur eine Hülle, eine Ankündigung, noch ohne Inhalt. Wahr ist aber auch: Die EU ist spät dran, in China gibt’s Programme wie den IRA seit 15 Jahren, in Indien seit drei Jahren, mit bereits großem Erfolg – und in Europa gibt es Ankündigungen, dass man endlich mal was macht. Jetzt haben wir lange gewartet. Was immerhin die Chance bietet, ein paar Dinge besser zu machen als die anderen.

Was kann man besser machen?

Für mich hat das, was jetzt vorliegt, das Potenzial als die mit Abstand beste Antwort auf den IRA. Indem man eben nicht in einen Subventionskrieg einsteigt und schaut, wer die meisten Dollars oben reinkippt. Es gibt hohe Einstiegshürden, man muss sich qualifizieren, man muss Nachweise liefern, man muss richtig liefern für die Subvention. Aber das finde ich absolut richtig. Es ist degressiv angelegt, läuft also nach und nach aus.

Stimmt denn das technisch-wissenschaftliche Umfeld in Deutschland noch?

Man hat die Solarindustrie vor zehn Jahren kaputt gemacht, obwohl damals schon klar war, dass sie eine enorme Bedeutung haben wird und – noch viel schlimmer – Deutschland und Europa immer noch Technologieführer sind. Wir haben die effizientesten Tandemzellen. Das Helmholtzzentrum in Adlershof oder das Fraunhofer-Institut in Freiburg spielen in der obersten Liga weltweit mit. Europa ist nach wie vor das Powerhaus – daran fehlt es also nicht.

Warum schaffen wir dann die Umsetzung in die Praxis nicht? Warum bringen wir die PS nicht auf die Straße?

Weil wir noch nicht verstanden haben, dass es global beim Thema Arbeitsteilung eine ziemliche Plattenverschiebung gegeben hat. Es war 20 Jahre lang schick, dass Deutschland seine Technologie in alle Welt schickt und anderswo findet die Wertschöpfung statt. Wir waren sogar noch stolz darauf. Auch Meyer Burger hat jahrelang Maschinen verkauft. Wenn wir heute unsere neueste Technologie an Maschinen verkaufen könnten, zum Beispiel an einen Kunden in China, würden wir für ein Gigawatt Leistung vielleicht 100 Millionen Euro erlösen. Vielleicht hätten wir sogar eine kleine Gewinnmarge von fünf oder zehn Millionen. Das war’s dann aber auch. Das kriegt man einmal. Dann steht die Technologie dort, wird kopiert – und es wird produziert. Was aber viel wichtiger ist: Der Kunde produziert mit unserer Maschine sieben Jahre lang Module und macht damit geschätzt zwei Milliarden Euro Umsatz. Umsatz, den wir auch hätten machen können. Wir machen aber nur einmal 100 Millionen mit der verkauften Maschine. Diese Logik muss viel schneller verstanden werden.

Die Logik erscheint sehr simpel. Wenn wir die Maschinen exportieren, verdienen wir einmal Geld, machen aber vor allem die Konkurrenz stark. Warum wird das nicht verstanden?

Da könnten wir bei einer Flasche Rotwein lange darüber philosophieren. Wir haben da eine etwas besondere Mentalität. Andere Nationen, die Chinesen sowieso, jetzt auch die Amerikaner, haben viel mehr verstanden, dass man sich ohne eine eigene industrielle Wertschöpfung die Basis des Wohlstandes und auch des Einflusses entzieht.

In den Sonntagsreden kommen der Industriestandort Deutschland und seine industrielle Wertschöpfung aber durchaus vor.

Ich kann nur appellieren, sich ein Beispiel an den Initiativen der 16 Ministerpräsidenten zu nehmen. Die haben gemeinsam aufgerufen: Seht die Solarindustrie als nationale Aufgabe, und nicht nur die! Andere Industrien sollten genau auf die Photovoltaik schauen und was dort in den letzten zehn Jahren passiert ist. Wenn es diese Absicherungen nicht gibt, wird es anderen Industrien ähnlich gehen.

Angenommen, die Solarbranche bekommt die notwendige Unterstützung – dann ist sie mittelfristig gesichert?

Nicht automatisch. Was auch überfällig ist, ist ein ernsthafter Umgang mit dem Thema Zwangsarbeit in China. Da gucken wir einfach weg. Es gibt kein Regelwerk, in unserer Industrie interessiert das real keinen Menschen. Hauptsache billig – solange das Kilowattpeak zehn Cent kostet, stört sich daran niemand. Aber wir können uns nicht einfach hinstellen und in Sonntagsreden Menschenrechte einfordern und dann zuschauen, wie die europäische Solar- oder Windindustrie wegen unfairer Bedingungen zugrunde geht.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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