Interview
Erscheinungsdatum: 26. August 2024

Forscher: „Vonseiten der Polizei erkenne ich in Solingen kein Behördenversagen“

Der tödliche Messerangriff in Solingen hat schnelle und heftige Forderungen seitens der Politik provoziert. Der Polizeiforscher Hermann Groß erklärt, was im Kampf gegen Islamismus wirklich helfen kann und welche Forderungen kaum mehr als populistische Inszenierung sind.

Die Minister Nancy Faeser und Marco Buschmann haben nach der Terrortat von Solingen heute schnellere Abschiebungen und Zugangsbeschränkungen gefordert. Lassen sich dadurch Terrorakte verhindern?

Abschiebungen sind keine vorrangigen Ziele, sondern populistische Forderungen, die kriminologisch relativ wenig zur Bekämpfung von Terrorismus beitragen. Einen Terroristen der Taliban etwa würde die Abschiebung nach Afghanistan doch nicht abschrecken, im Gegenteil: Er hat die Aussicht darauf, dort als Held gefeiert zu werden. Das ist wie beim Mord aus Eifersucht. Den begehen Sie, auch wenn Sie wissen, dass Sie als Mörder verurteilt werden könnten. Sie ziehen das durch. Mit Strafen wird sich der Terrorismus nicht auflösen lassen.

NRW-Innenminister Herbert Reul ist da ganz anderer Meinung.

Das ist ein typischer Reul. Er versucht sich hier als der schwarze Sheriff darzustellen, will sich an die Spitze der Bewegung stellen. Gestern Abend bei Caren Miosga konnte er den Fahndungserfolg mitteilen und es war ihm anzumerken, dass er gerne noch viel mehr gesagt hätte. Er musste sich angesichts des Erfolgs selbst bremsen, um noch rechtsstaatliche Grundsätze beizubehalten – was sofortige Abschiebungen, Hinderungsgründe, drohende Gefahren in Afghanistan und Syrien angeht. Menschenrechtsstandards geraten in der Diskussion zunehmend in den Hintergrund. Es ist eine politische Diskussion geworden. Mit dem konkreten Fall hat das wenig zu tun. Der Täter von Solingen sollte nach Bulgarien, er konnte sich diesem merkwürdigen Verfahren entziehen und hat so subsidiären Schutz gekriegt. Auch Friedrich Merz hat einige Äußerungen doch nur getan, weil er glaubt, der AfD Paroli bieten zu müssen.

Ist ein Vergleich mit dem Breitscheid-Attentäter Anis Amri zulässig?

So weit würde ich nicht gehen. Es scheint mir auch noch unklar zu sein, inwieweit die Verbindung zum IS wirklich besteht. Das Bekennervideo mag authentisch sein oder nicht. Anis Amri scheint mir eine größere Nummer gewesen zu sein. Allein bei der Tatbegehung: Ein Messer ist die einfachste Tatwaffe, die man wählen kann. Die können Sie und ich uns problemlos beschaffen. Mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt zu fahren, da gehört mehr dazu. Insofern: Man sollte es nicht auf einer Ebene verhandeln. Es scheint mir eine stärkere Einzelradikalisierung zu sein.

Das Attentat von Anis Amri hätte ohne die nachgewiesene Nachlässigkeit der Behörden verhindert werden können. Auch in Solingen gab es offenbar Versäumnisse. Lässt sich das vergleichen?

Es hat sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven gewendet, auch durch bessere Möglichkeiten, die das BKA bei der Terrorismus-Bekämpfung hat. Das zeigt sich auch darin, dass viele geplante Anschläge im Vorfeld verhindert werden konnten. Ich sehe hier bis auf die merkwürdige nicht vollzogene Abschiebung nach Bulgarien kein Versagen – und das lag in der Zuständigkeit des Ausländeramtes. Die haben sicherlich versagt. Da braucht es aber noch Aufklärung. Ganz ungünstig ist, dass das ganze eine Woche vor den Landtagswahlen stattfindet und somit sofort politisch diskutiert und missbraucht wird.

Was meinen Sie konkret?

Es ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Björn Höcke und anderen bei der AfD, teils auch dem BSW. Dem können sich die anderen Parteien kaum entziehen. Sogar Frank-Walter Steinmeier fordert auf einmal mehr Kompetenzen bei der Terrorismusbekämpfung für das BKA. Das ist für einen Bundespräsidenten eine sehr konkrete Aussage – eine Einmischung, die man so nicht allzu oft erlebt.

Sind Messerverbotszonen eine taugliche Antwort, um solche Terrortaten zu verhindern?

Die Messerverbotszonen sind ein schwieriges Thema. Es gibt ein paar Erfahrungen, etwa in Leipzig oder Frankfurt, aber ein Hauptproblem ist die Kontrolldichte. Wie wollen Sie das kontrollieren? Das geht nur mit extrem hohem Aufwand. Natürlich werden Sie ein paar Messer rausziehen, aber diejenigen, die ein Messer aus einem terroristischem Hintergrund einsetzen wollen, werden es auch in eine Verbotszone schmuggeln können. Sonst müsste man den Zugang wie bei Flughafenkontrollen einschränken. Messerverbote könnten etwas Symbolisches bedeuten – dass es nicht geduldet wird. Wir wissen da aber noch nicht viel drüber.

Was sollte dann aus Solingen folgen?

Islamismus ist aus dem Blickpunkt geraten zugunsten der Bekämpfung von Rechtsextremismus. Der ist berechtigterweise das große Thema. Islamismus war seit dem Breitscheidplatz 2016 und später Corona von der Bildfläche verschwunden, auch wenn es ihn natürlich weiterhin gibt. Darauf müsste man sich wieder konzentrieren. Die Ansätze sind gut. Es gab eine Rechtsänderung, sodass das BKA größere Kompetenzen hat und stärker eigenständig ermitteln kann im Auftrag des Generalbundesanwalts. Die Vernetzung hat sich verbessert durch so etwas wie das gemeinsame Terrorabwehrzentrum. Man sollte sich inhaltlich stärker dem Islamismus widmen. Der ist nicht weg, auch wenn der IS als militärisch besiegt gilt – die Strukturen sind weiterhin vorhanden.

Lassen sich Gefährder nicht früher unschädlich machen?

Es ist extrem schwierig, Gefährder oder als Gefährder Erkannte zu überwachen in einem freiheitlichen Staat, solange sie nichts gemacht haben. In Schutzhaft können Sie sie nach aktueller Rechtslage nicht sperren.

Wie interpretieren Sie die Bilder des gefesselten Täters, den die Polizei aus dem Helikopter schleift? Wie passt das zu dem Hinweis, dass er kooperiert haben soll?

Gar nicht. Was soll das darstellen? Handlungsfähigkeit des Staates? Symbolische Politik? Zu viele amerikanische Serien geschaut? Soll es die Gefährlichkeit des Täters nochmal ausdrücken Ich könnte mir vorstellen, dass es von den Spezialeinheiten aus der Polizei selbst kommt – weniger von der Politik. Vielleicht glauben Polizeiführer, dass sie es so inszenieren müssen, um ihre Tatkraft zu zeigen, Sicherheit zu vermitteln. Aber vermittelt das Sicherheit, oder ist es nicht eher lächerlich, wenn der Mann da am Boden entlang geschleift wird? In dem Moment geht doch keine Gefahr mehr von ihm aus. Da ist sehr viel Inszenierung dabei, die maßlos übertrieben ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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