Monsieur Monnin, wie haben Sie die Ausgangslage für Sommerspiele in Paris gesehen?
Frankreich organisiert die 33. Olympischen Sommerspiele. Die letzten Sommerspiele waren vor 100 Jahren im Land, Frankreich hat lange auf diese Spiele gewartet. Im Land herrschte seit einigen Wochen ein sehr unruhiges Klima. Nach den Europawahlen haben wir viel gesellschaftliche Spaltung erlebt, auch wegen der Auflösung der Regierung hier, es herrschte eine sehr angstauslösende Stimmung. Darüber hinaus erleben wir derzeit weltweit Dutzende bewaffnete Konflikte, wir haben einen Krieg vor den Toren Europas mit der Invasion von Russland in der Ukraine, und überall geschehen Gräueltaten. In Frankreich kommen noch wirtschaftliche Probleme dazu, zum Beispiel mit der geringen Kaufkraft.
Was hat sich durch die Spiele in Paris geändert?
Die Olympischen Spiele sind für all das nun wie ein Ventil gewesen, um Druck abzulassen. Die französische Gesellschaft schmeißt sich selbst eine riesige Party. Sie feiert sich und nutzt Olympia 2024 in Paris wie ein Alibi, um sich Ruhe zu gönnen und die angstauslösenden und belastenden Momente hinter sich zu lassen. Die Franzosen scheinen untereinander versöhnt, feiern die Interkulturalität des französischen Zusammenlebens und sind stolz. Wir haben auch viele Gäste aus dem Ausland: 15,3 Millionen, um genau zu sein. Es herrscht ein Klima der Versöhnung in Bezug auf die Gesellschaft.
Der olympische Geist scheint ziemlich ergreifend zu sein. Wie erklären Sie sich das?
Wir haben das Glück, in Frankreich eine Veranstaltung zu erleben, bei der 42 Weltmeister in ihren Sportarten zu sehen sind. 42 Weltmeister in ihren Disziplinen! Das sind Leute aus der ganzen Welt, aus Sportvereinen. Man kann sich mit den Sportlern und Sportlerinnen irgendwie identifizieren. Und es ist für alle sportliche Interessen etwas dabei. Das ist wirklich besonders.
Das Konzept bindet die Stadt selbst voll mit ein. Liegt es auch daran?
Das ist die erste Olympiade, die nach einem neuen Ansatz organisiert wurde. Das Internationale Olympische Komitee wurde von Pierre de Coubertin gegründet, in Paris am 23. Juni 1894. Im Laufe der Geschichte haben sich die Spiele dann natürlich weiterentwickelt. Und heute finden diese Spiele nach einem neuen Ansatz statt. Das IOC wollte sich mehr auf das Vermächtnis der Spiele in Paris für die französische und globale Gesellschaft konzentrieren. Wir wollen ein Vermächtnis schaffen, das nicht materiell ist, wir wollen ein Vermächtnis ohne CO₂-Fußabdruck hinterlassen, ein immaterielles Erbe für Zusammenleben, Respekt für Menschen und Interkulturalität. Paris 2024 war wirklich ein echtes Analyselabor für das IOC. Es war die erste Olympiade, die in diesem neuen Programm namens „Agenda 2020“ stattfand.
Sie blicken auch auf die Geschichte der Olympischen Spiele. Haben sie ein Beispiel für andere Spiele, die in dieser Form erfolgreich waren?
Es einige wichtige Spiele, die die Welt revolutioniert haben. Die Sommerspiele in Barcelona 1992 zum Beispiel. Wir haben dort eine Revolution in der Entwicklung der Stadt, insbesondere dem Hafen von Barcelona, sehen können. Die Spiele waren auch eine Innovation nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Stadtplanung dort. Politiker haben das aber mittlerweile verstanden, monopolisierten die Spiele, lassen Städte verändern und verursachen damit erhebliche Mehrkosten. Das muss aber gar nicht sein. Die Spiele müssen kein extra Geld kosten, dafür gibt es das IOC und Sponsoren, Marketing und Ticketpreise. Es gab aber auch schon Politiker, die für die Spiele Bahnhöfe, Flughäfen oder Autobahnen haben bauen lassen, für die es auch gar keinen Platz gab. Wir müssen immer aufpassen, dass die Spiele nicht politisch genutzt werden.
Was wird von den Spielen in Paris bleiben?
Was wird das Erbe dieser Spiele sein? Das zu beantworten ist vielleicht noch etwas zu früh. Na ja, etwas verfrüht. Im Rahmen der Agenda 2020 wurden Programme ins Leben gerufen. Wie es mit diesen dann weitergeht, ist vor allem eine Frage für die Politik und betrifft nicht mehr das IOC. Wie die Entwicklungen in der Gesellschaft weitergetragen werden, in der breiten Öffentlichkeit. Diese Spiele waren großartig. Als Vizepräsident einer Universität sind wir in Frankreich meiner Meinung nach aber nicht weit genug gegangen, um diese sportliche Dynamik auch in die Gesellschaft zu tragen, an die Unis und die Schulen. Ich finde, da haben wir ein wenig die Chance verpasst, Sport besser zu promoten. Wir haben aber bald wieder eine Möglichkeit: 2030 finden die Winterspiele in Frankreich statt und ich hoffe, die Dynamik des Sports wird anhalten und wir sehen den gesellschaftlichen Nutzen der Spiele und nicht unbedingt nur die wirtschaftlichen.
Éric Monnin ist Vizepräsident an der Universität Franche-Comté für für die Olympische Bewegung in Besançon. Seit März 2020 ist er Direktor des Centre d'études et de recherches olympiques universitaires (CEROU) an der Uni.