Frau Nikutta, Sie müssen bei DB Cargo 5.000 Stellen abbauen, fast 20 Prozent der Belegschaft. Ist die Lage so schlecht?
DB Cargo gibt es seit 1999 und wir befinden uns seit dieser Zeit in wirtschaftlich herausfordernden Situationen. Wir müssen jetzt einfach grundlegend reagieren.
Haben Sie in diesen 25 Jahren jemals schwarze Zahlen geschrieben?
Ja. Aber drei strukturelle Problem bleiben und die gibt es auch seit dem Anfang. Erstens der Wettbewerb zum LKW. Wir waren uns in Deutschland lange nicht sicher, ob wir mehr LKWs wollen oder mehr Güter auf der Schiene. Lange kostete es nichts, die Umwelt zu verschmutzen. Jahrzehntelang waren wir in einem Wettbewerb, den wir nicht gewinnen konnten. Das zweite große Thema ist die Öffnung des Marktes. Früher hatte die Bahn ein Monopol. Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es einen Wettbewerb im Güterverkehr auf der Schiene. Der ist gewollt und er funktioniert auch. Das führt allerdings dazu, dass der Wettbewerb sich sehr auf die lukrativen Verkehre konzentriert. Das Segment, das wir Einzelwagenverkehr nennen, ist überwiegend bei uns geblieben. Und der sorgt für fast 80 Prozent unserer Verluste. Dieses System des Einzelwagenverkehrs ersetzt 40.000 LKW-Fahrten am Tag.
Das sind die Züge, die sie aus Einzelwaggons zusammenkoppeln und am Ende für die unterschiedlichen Zielorte wieder entkoppeln müssen?
Genau. Dieses System war und ist sehr verlustträchtig. Aber dafür haben wir jetzt hoffentlich eine Lösung gefunden.
Wie sieht die aus?
Ähnlich wie in ganz Europa: Eine neue Förderrichtlinie der Bundesregierung fördert den Einzelwagenverkehr der gesamten Branche jetzt auch in Deutschland. Das gilt so lange bis die Digitale Automatische Kupplung, die DAK, da ist.
Und das dritte Thema?
Das betrifft das Unternehmen DB Cargo, das sich restrukturieren muss. Wettbewerb führt nun mal dazu, dass Unternehmen sehr auf ihre Kosten schauen müssen. Und dazu gehören natürlich auch die Kosten für das Personal.
Mit 5.000 Stellen weniger wollen sie dennoch die gleiche Leistung erbringen?
5.000 Stellen bis 2029. Unsere Leistung ist in den letzten Jahren aber um rund 20 Prozent zurückgegangen.
Wie das?
Das hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Wir transportieren sehr viele Massengüter, etwa von und zu den Stahlunternehmen. Oder für die Automobil-, die Baustoff- und die chemische Industrie. Lauter Industrien, die gerade einen extremen Wandel durchlaufen.
Sie wollen innerhalb von zwei Jahren, bis Ende 2026, schwarze Zahlen schreiben. Wie realistisch ist das?
Sehr realistisch. Wir müssen das einfach schaffen. Wir haben exzellente Mitarbeitende, die ihr Geschäft verstehen und mit großer Leidenschaft Güter auf die Schiene bringen. Die dringende Personalreduzierung geschieht im höchsten Maße sozialverträglich. Wir haben die Babyboomer-Jahrgänge, die jetzt in Rente gehen. Wir sind ein großer Konzern und können viele Angebote innerhalb des Unternehmens machen. Aber wir müssen schnell sein. Wir arbeiten hart daran und haben alleine vom Jahr 2022 auf 2023 unser Ergebnis um 25 Prozent verbessert. Zugegebenerweise im negativen Bereich.
Sie haben das Minus verbessert?
Wir haben das Minus reduziert.
Worüber reden wir? Ein Minus von 500 Millionen Euro?
Exakt. Im Jahr zuvor waren es noch 25 Prozent mehr. Es bewegt sich was und jetzt kommt noch unser Restrukturierungsprogramm hinzu. Natürlich hätte ich mir mehr Zeit gewünscht, aber das EU-Wettbewerbskommissariat schaut sehr genau, was Deutschland und DB Cargo machen. Und deshalb müssen wir 2026 profitabel sein. Genau dafür stellen wir jetzt die Weichen. Wir müssen für DB Cargo einen Neustart hinbekommen.
Sie haben gesagt, es sei die letzte Chance für für DB Cargo. Ist das nicht ein bisschen überdramatisch?
Es ist die letzte Chance – nicht zuletzt auch aus dem Blickwinkel der EU-Kommission. Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir einnehmen.
Ein Personalabbau ist immer die einfachste Methode, Kosten zu senken. Sie gehen mit dem Rasenmäher über alles. Ist das ein intelligentes Vorgehen?
Wir haben 20 Prozent weniger Umsatz, deshalb drehen wir jeden Stein um.
Und gleichzeitig zerschlagen Sie die Struktur. Aus einer Konzerntochter bilden Sie jetzt sieben Geschäftseinheiten. Welchen Sinn macht das?
Wir sind ein Riesensystem, in Deutschland und in 17 weiteren Ländern. In solchen großen Systemen gibt es viele Verantwortlichkeiten und Teilzuständigkeiten. Das ist etwas, was uns auch unsere Kunden immer wieder spiegeln. Deshalb werden wir jetzt in kleineren Einheiten arbeiten, die schneller entscheiden und wendiger sind. Der Weg, den wir jetzt nach intensiven Beratungen auf allen Ebenen gehen, bedeutet: Überall konsequent die Eigenverantwortung stärken.
Was heißt das konkret?
Wir haben zum Beispiel eine neue Geschäftseinheit für Stahl. Stahl hat besondere Anforderungen und besondere Kunden. Es gibt spezielle Loks, spezielle Güterwagen, Lokführer und Mitarbeitende für den Stahl. Ich habe jetzt Verantwortliche, die nichts anderes machen, als sich um Stahlverkehre zu kümmern. Vom Kundengespräch bis zum Zug, der losfährt und ankommt. Die anderen Geschäftseinheiten sind: Automotive, Bulk Liquids, Full Load Solutions, Maritimer und Kontinentaler Kombinierter Verkehr sowie der Einzelwagenverkehr .
Sie haben jetzt aber auch siebenmal Geschäftsführer, Rechnungswesen, Controlling, Personalchefs. Das nennt man Wasserkopf.
Im Gegenteil. Wir arbeiten im Rechnungswesen, Controlling und Personalmanagement weiter nach dem Prinzip: One kitchen for seven restaurants. Das gilt auch für die IT, das Sicherheitsmanagement für die Züge und die Instandhaltung der Lokomotiven und Güterwagen. Alles andere geht in die Verantwortung der Branchen über. Und damit werden diese Branchen kundenorientierter, reaktionsschneller und agiler. Das können wir jetzt schon erkennen.
Aber sie konkurrieren jetzt auch um die gleichen Zeit-Slots, um die Lokführer, die es auch nicht im Übermaß gibt, um die gleichen Trassen. Damit erhöht sich doch auch der interne Abstimmungsbedarf?
Den Abstimmungsbedarf gibt es auch heute schon. Besonders die Trassenbestellung bei der DB InfraGO ist immer ein großes Thema. Denn hier konkurrieren 250 Güterverkehrs-Eisenbahnunternehmen und der Regional- und Fernverkehr.
Bei den Massengütern wie Stahl, Automobile oder Chemie haben Sie Einbußen. Die Aufträge der Bundeswehr dürften dagegen deutlich zugenommen haben, oder?
Ja, das Thema Verteidigung beschäftigt uns sehr. Nicht nur in Deutschland, sondern auch auf EU-Ebene. Da gibt es das Thema Military Mobility, das einen ganz neuen Stellenwert gewinnt. Es ist und bleibt so: In Konfliktsituationen kommt es auf die Logistik an.
Ist die Bahn eigentlich für den Kampf für den Verteidigungsfall gerüstet? Wäre sie in der Lage Panzer, Transporter, Geschütze und anderes schweres Material zu transportieren?
Für das, was im Bündnisfall erforderlich wäre, bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin. Da gibt es Profis bei der Bundeswehr.
Ein Diskussionspunkt sind auch immer die Trassenpreise. Sind sie zu hoch?
Klar und deutlich: Ja.
Um wie viel müssten Sie sinken, um mit dem LKW mithalten zu können?
Das hängt davon ab, wieviel uns weniger Staus und weniger Umweltverschmutzung wert sind. Aber genau das meine ich mit den Weichenstellungen im politischen Raum, die eindeutig sein müssen.
Aber die Trassenpreise werden doch im Bahnkonzern festgelegt, nicht von den politischen Akteuren.
Das Gesetz verpflichtet unsere Schwestergesellschaft DB InfraGO, alle Kosten auf die Trassenpreise umzulegen. Die werden dann von der Bundesnetzagentur genehmigt. Gleichzeitig gibt es ein anderes Gesetz, das im Zusammenhang mit dem Deutschland-Ticket ins Leben gerufen wurde und besagt, dass für den Regionalverkehr die Trassenpreise auf niedrigem Niveau gedeckelt sein müssen. Das führt dazu, dass die Trassenkosten für den Fern- und Güterverkehr überproportional steigen.
Um wieviel?
Wir haben bei den Trassenpreisen für den Güterverkehr in 2025 eine Erhöhung von 16 Prozent. Und ich erwarte im Folgejahr noch mal eine Steigerung im zweistelligen Bereich. Das halten meine Mitbewerber und ich für deutlich zu hoch. Ich frage mich, wie man solche Preissteigerungen im Markt weitergeben soll.
Was sagt denn der Bundesverkehrsminister dazu?
Die Branche führt sehr, sehr intensive Diskussionen und ich hoffe, dass es Möglichkeiten der Kompensation gibt.
Was erwarten Sie konkret?
Mir geht es um die Weichenstellungen dafür, dass das umweltfreundlichste Transportmittel, also die Schiene, preislich mit dem LKW mithalten kann.
Viele Unternehmen würden ja die Schiene nehmen. Denen geht es nicht nur um die Kosten. Aber sie beklagen die Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit und ziehen deswegen den LKW vor.
Wir haben eine Infrastruktur, auf der alle Züge fahren. Die Infrastruktur ist laut Grundgesetz Aufgabe des Bundes. Genau darum geht es. Wir haben die Infrastruktur über die letzten Jahrzehnte nicht gut behandelt, und deshalb haben wir jetzt die Störanfälligkeit und die vielen Verspätungen. Deshalb müssen wir jetzt langfristig und planbar investieren, um das ganze System Bahn stabiler, digitaler und damit auch leistungsfähiger zu machen. Die Störungen müssen weg und wir müssen über die Kosten reden.
Der Bundesrechnungshof sagt, der Verkehrsminister kontrolliere die Bahn nicht ausreichend. Hat er recht?
Diese Frage springt wirklich zu kurz. Die Frage ist erst einmal: Was ist uns in Deutschland Infrastruktur wert? Haben wir eine Infrastruktur, die vorausschauend und langfristig auf einem hohen Niveau gehalten werden kann? Nein! Und erst dann stellt sich die Frage: Wer kontrolliert eigentlich wie detailliert? Aber erst einmal müssen wir unsere Hausaufgaben machen.
In Deutschland hat die Bahn am Güterverkehr einen Anteil von knapp 20 Prozent. In der Schweiz sind es 30, im Baltikum um die 50 Prozent. Warum können wir da nicht mithalten?
Wir nehmen uns die Schweiz beim Güterverkehr oft und sehr zu Recht als Vorbild. Es gibt ein strenges Nachtfahrverbot für LKWs und ganz klare Vorgaben, was auf der Schiene transportiert werden soll. Es gibt Städte, die sagen, zu uns kommen Lieferungen nur auf der Schiene. Wenn ich Anreize oder Rahmenbedingungen schaffe, funktioniert es auch, die Marktanteile zu erhöhen.
Bei den LKWs wird inzwischen eine respektable Maut erhoben. Die zudem ständig erhöht wird.
Die Maut ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Aber die Maut-Steigerungen beim LKW sind nicht mit den Steigerungen beim System Schiene zu vergleichen. Auch die Arbeitsbedingungen sind beim LKW völlig anders als auf der Schiene. Auf der Schiene haben wir gute Arbeitsbedingungen und das wollen wir auch so.
Auch der Grenzübertritt ist halt mit dem LKW bedeutend unkomplizierter als mit dem Güterzug. Keine neuen Loks und Lokomotivführer, geringere Sprachbarrieren und schnellere Abfertigungen.
Ja, auch bei uns überqueren 60 Prozent der Güterzüge eine Grenze. Die Lokführer müssen die Sprache des anderen Landes auf B2-Niveau können, sich also einigermaßen verständlich machen können. Das ist ein System, das historisch gewachsen ist. Das ist ein weiteres Beispiel, wo man sagen muss, da sind die Bedingungen zwischen LKW und Schiene sehr, sehr unterschiedlich.
Im Luftverkehr gibt es nur eine Sprache, bei der Bahn ist das bisher undenkbar.
Stimmt, Englisch. Und ich gehe davon aus, dass wir uns auch im Bahnverkehr hin zu einer gemeinsamen, einfachen Sprache entwickeln.
Auch das Personal im Fernverkehr beherrscht inzwischen Englisch. Ist das Vorbild für den Güterverkehr?
Thank you for travelling…..
Exakt. Und heute ist es flüssig, manchmal auch witzig. Warum geht das nicht bei den Lokführern?
Dazu laufen intensive Diskussionen in Brüssel. Denn die gemeinsame Sprache ist natürlich ein europäisches Thema. Kurzfristig ist der Einsatz von Sprachtools hilfreich – jede und jeder spricht in der eigenen Sprache und digital erfolgt die Übersetzung.
Ist das die Zukunft oder findet es real schon statt?
Es ist Zukunft – aber wir arbeiten daran.
Wo hat der Güterverkehr noch Effizienzpotenziale?
Es gibt enorme Potenziale, allen voran die digitale automatische Kupplung. Aber auch Digitalisierung und Automatisierung brauchen Investitionen. Hier sind wir als Branche gefragt – aber einen maßgeblichen Anteil müssen seitens EU und Bundesrepublik finanziert werden.
Es sind viele Industriegleise abgebaut worden in den letzten 30 Jahren. Hätten Sie die gerne wieder?
Ja, sehr gerne. Dass sie abgebaut wurden, hat mit politischen Weichenstellungen zu tun. Weil es eben viel günstiger war, mit dem LKW zu transportieren und die Umwelt keine Rolle spielte. Heute haben wir viele Kunden, die sagen, ich würde gerne auf der Schiene transportieren. Und genau das machen wir möglich – egal ob mit oder ohne Gleisanschluss.