Der Mindestlohn wurde vor zehn Jahren eingeführt, aber noch immer unterlaufen ihn viele Arbeitgeber. Wie kann das sein?
Die Frage stelle ich mir auch. Wir leisten unseren Beitrag, damit möglichst alle gerecht bezahlt werden. Aber es gibt viele Strukturen, etwa aus der organisierten Kriminalität, die dieses Ziel torpedieren. Deswegen müssen wir noch schlagkräftiger werden.
In einem Bericht von 2023 beschrieb die FKS Strukturen organisierter Kriminalität (OK) in der Paketbranche. Was wurde daraus?
Das ist nach wie vor eine der Schwerpunkt-Branchen. Denn hier werden sehr stark Subunternehmer-Strukturen genutzt, um Machenschaften zu verschleiern. Wir fokussieren uns daher sehr stark darauf, Betrugsketten aufzudecken: 2023 hatten wir insgesamt 49 OK-Verfahren im Bereich der Schwarzarbeit.
In dem Bericht sprach sich die FKS indirekt für ein Subunternehmer-Verbot aus, das im Rahmen der Postgesetz-Novelle 2024 vom BMF verhindert wurde. Sollte es die neue Bundesregierung einführen?
Ich weiß nicht, ob ein Verbot das Problem lösen würde. Aber klar ist, dass wir branchenübergreifend stark mit organisierter Kriminalität konfrontiert sind und uns da deshalb stärker aufstellen müssen.
Wie soll das gehen? Mehr als 2500 geplante Stellen bei Ihnen sind unbesetzt. Und laut einer Studie werden etwa Baustellen nur alle 20 Jahre kontrolliert, Gebäudereiniger alle 15 Jahre.
Wir sind ständig am Wachsen, sowohl bei den genehmigten Stellen als auch beim tatsächlichen Personalzuwachs. Der eine Unternehmer sagt zu mir: Es ist 75 Jahre her, dass Sie bei mir waren. Der andere sagt: Wir fühlen uns ständig kontrolliert, und der ganze Aufwand behindert uns. Aber natürlich ist das ein Spagat. Wir haben immer wieder große Einsätze. Im März haben gerade gut 3.000 Beschäftigte bundesweit eine Mindestlohn-Sonderprüfung durchgeführt.
Was kann die nächste Regierung tun, um Ihre Arbeit zu erleichtern?
Ich wünsche mir, dass wir so schnell wie möglich die Überarbeitung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes durch die Tür bringen. In der vergangenen Legislaturperiode bestand hinsichtlich des Gesetzes politischer Konsens. Ich bin überzeugt, dass es ein sehr gutes Gesetz ist. Das Kabinett hat den Entwurf am 6. November 2024 beschlossen. Nach den Neuwahlen muss der Vorschlag nun aber erneut in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Mit dem Gesetz soll die Arbeit der FKS digitalisiert und modernisiert werden. Was heißt das genau?
Besonders am Herzen liegt mir das Risikomanagement. Da geht es darum, dass wir bei den Prüfungen auch mithilfe von automatisierten Datenabgleichen noch stärker weg von der Quantität hin zu mehr Qualität kommen. Die Unternehmen, die ehrlich arbeiten, wollen wir nicht unnötig mit Prüfungen belasten, sondern ganz gezielt gegen diejenigen vorgehen, die wirklich schwarze Schafe sind. Natürlich würde es dann aber trotzdem noch präventive Maßnahmen wie verdachtsunabhängige Schwerpunktprüfungen geben.
Das Gesetz soll auch die Zusammenarbeit mit Jobcentern verbessern, um gegen „unrechtmäßige Bürgergeldempfänger“ vorzugehen, wie Christian Lindner damals sagte. Wie viele davon gibt es?
2023 hat die FKS rund 74.000 Strafverfahren wegen des Verdachts des vorsätzlichen Leistungsmissbrauchs eingeleitet. In der Statistik wird aber nicht nach der Art der unrechtmäßig bezogenen Leistung – etwa Bürgergeld oder Arbeitslosengeld – differenziert. Daher kann ich das nicht sagen.
Wie viele Verfahren führten denn zu einer Verurteilung oder zur Einstellung der Bürgergeld-Zahlung?
Wie viele dieser Verfahren zu einer Verurteilung oder zur Einstellung der Bürgergeld-Zahlung führen, wird statistisch durch uns nicht erfasst. Für die Bürgergeld-Zahlung ist die Bundesagentur für Arbeit zuständig, die Entscheidung über den Verfahrensausgang liegt bei der Justiz.
Dass verschiedene Zuständigkeiten von Behörden ein Problem sind, hat auch der Streik von ausländischen Lkw-Fahrern an der Raststätte Gräfenhausen gezeigt. Wie kann man das verbessern?
Damit die FKS aktiv werden kann, ist die Voraussetzung immer, dass die betroffene Person arbeitend angetroffen wird. Die Lkw-Fahrer haben sich damals jedoch im Streik befunden und damit in Deutschland darauf aufmerksam machen wollen, dass es ausstehende Zahlungen seitens des Unternehmens mit Sitz im Ausland gab.
Also kein Änderungsbedarf?
Die gesetzlichen Grundlagen sind gut, wie sie sind. An der einen oder anderen Stelle könnten wir Behörden aber vielleicht unsere Kommunikation untereinander noch weiter verbessern.
Welche Rolle spielt die Europäische Arbeitsbehörde (ELA), die grenzüberschreitende Kontrollen koordinieren soll?
Der Ansatz der ELA ist super, aber bisher sind die Kompetenzen in den Mitgliedstaaten zu unterschiedlich, als dass man eine große Durchschlagskraft entwickeln könnte. Wenn ich zum Beispiel über die Notwendigkeit besserer Ermittlungsverfahren im Kampf gegen Schwarzarbeit spreche, schaue ich international manchmal in verständnislose Augen – weil die mit Schwarzarbeitsbekämpfung befassten Behörden anderswo beispielsweise nur prüfen, aber nicht ermitteln dürfen. Beim Datenaustausch könnten wir noch besser werden. Aber es gibt auch Erfolge.
Zum Beispiel?
Im Oktober waren 20 Länder zu Gast bei einer großen Mindestlohn-Kontrolle in Deutschland, die von der ELA koordiniert wurde. Ich war mit portugiesischen Kollegen in Nürnberg und parallel wurde die gleiche Firma auch in Portugal geprüft. Dieser bilaterale Austausch funktioniert super und muss einfach noch selbstverständlicher werden.
Im Februar hat die Bundesregierung einen nationalen Aktionsplan gegen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit beschlossen. Wie groß ist das Problem?
Das Thema gehört nicht zu unseren ursprünglichen Aufgaben, ist inzwischen aber in unseren Auftrag eingeflossen. Zusammen mit dem zuständigen BMAS haben wir unsere Beschäftigten 2024 flächendeckend geschult und jetzt im Januar mit der Berliner Polizei eine „Gemeinsame Ermittlungsgruppe Arbeitsausbeutung“ gegründet. Bei jedem der 41 Hauptzollämter gibt es außerdem Opferschutzbeauftragte.
Haben Sie konkrete Zahlen zu Betroffenen?
Im Jahr 2023 wurden von der FKS bundesweit 128 Verfahren im Zusammenhang mit Menschenhandel, Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung eingeleitet. Die Anzahl der Betroffenen wird statistisch nicht erfasst.
Berlin hat im März als erstes Bundesland eine Schutzunterkunft für Opfer von Arbeitsausbeutung und Menschenhandel eröffnet. Sollte es das bundesweit geben?
Man muss nach den jeweils regionalen Schwerpunkten Prioritäten setzen. Nicht überall ist das ein Thema, aber Berlin ist da nun mal ein Hotspot. Deswegen ist es richtig, dass wir dort mit den originär zuständigen Behörden – vor allem dem LKA – bei der Bekämpfung zusammenarbeiten.