Sie warnen vor einer Normalisierung der AfD. Erkennen Sie die schon jetzt?
Ja, auf vielen Ebenen. Manche lassen sich nicht vermeiden – zum Beispiel ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk per Auftrag dazu verpflichtet, in bestimmte Talkrunden auch Politiker der AfD einzuladen. Die CDU normalisiert die AfD hingegen freiwillig. Besonders dramatisch war der Wortbruch von Friedrich Merz, als er im Bundestag Mehrheiten mit der AfD gesucht hat. Ein großer Fehler! Friedrich Merz hat den Rechtsextremen einen Riesenerfolg beschert, der sich für die AfD an der Urne ausgezahlt hat.
Sie meinen, dass der 29. Januar eine Bedingung für die 20,8 Prozent der AfD waren?
Definitiv. Mit der gemeinsamen Abstimmung hat Friedrich Merz das Signal gesendet, dass die AfD nicht so schlimm sein kann. Die Forderungen, über die abgestimmt wurde, normalisieren zudem das menschenfeindliche Programm der AfD – Merz muss jetzt einsehen, dass einige europarechtlich gar nicht zu machen sind.
Wird ein Zurückrudern der CDU hinter ihre Wahlkampfversprechen der AfD nicht erst recht helfen?
Merz ist in die Falle der AfD getappt. Es war ein riesiger Fehler, das Vorhaben eines Wirtschaftswahlkampfs über Bord zu werfen. Auf der anderen Seite gibt es überhaupt keine Automatismen. Wir haben gesehen, dass weite Teile der Gesellschaft eine Annäherung an die Rechtspopulisten für kritisch halten – sehen Sie sich an, wie viele Menschen auf die Straße gegangen sind. Jede weitere Annäherung würde mit massivem Protest quittiert werden. Selbst für den Rechtsextremisten Götz Kubitschek war angesichts der Proteste nicht die genaue Teilnehmerzahl die relevante Erkenntnis.
Sondern?
Die Stärke der Botschaft an die Union, nicht weiter mit der AfD zusammenzuarbeiten. Das Signal: Kooperation löst Protest aus. Und dass die Gegenseite durchaus mobilisieren kann. Würde die Union über eine Regierung mit der AfD spekulieren, sähen wir Millionen auf der Straße. Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, die bereit ist, zu protestieren. Die AfD versucht schon lange, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Das kennen wir schon aus den rechtsextremen Playbooks anderer europäischer Länder – auch da geht es darum, freie und unabhängige Medien anzugreifen, die Justiz in ihrer Unabhängigkeit zu untergraben und Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Die AfD macht das schon lange, die Union hat den Kurs jetzt aufgenommen. Das ist gefährlich und erfüllt mich mit großer Sorge.
Klingt fast so, als würden AfD und Union gegen die Meinung der Mehrheitsgesellschaft agieren, aber das trifft doch nicht zu – ganz Deutschland ist nach rechts gerückt.
Es gab einen Rechtsruck, ja, der wenig überraschend parallel zur massiven Verschärfung der Migrationsdebatte lief. Was ist die Kausalität dahinter? Durch die ständige mediale Thematisierung entsteht der Eindruck, Migration sei die Mutter aller Probleme, was Quatsch ist. Doch es spielt in die Hände von Rechtsextremen. Demokratische Parteien müssten da eigentlich ausbrechen und auf andere Themen gehen. Fachkräftemangel, Stunden in Kitas und Schulen fallen aus, Züge fahren nicht – das beeinflusst viel mehr Menschen negativ in ihrem Leben.
Im Wahlkampf hat das Thema dominiert, was der AfD fraglos geholfen hat. Wie viel Normalisierung bedeutet ihre Verdopplung im Bundestag jetzt?
Die wird dadurch wohl weiter vorangetrieben. Die AfD kriegt mehr Redezeit und damit mehr Öffentlichkeit, das ist die unmittelbare Folge des Wahlergebnisses. Es liegt nun an den demokratischen Parteien, dass sie der AfD keinen zusätzlichen Raum für Selbstinszenierung einräumen. Das eine ist die Wahl des Vize-Präsidenten – hier wurde der AfD-Vertreter zum Glück erst einmal nicht gewählt. Jetzt folgt die Frage: Was ist mit Ausschussvorsitzenden? Unter der letzten Großen Koalition konnte AfD-Politiker Stephan Brandner Vorsitzender des Rechtsausschusses werden – wenig später wurde er wieder abgesetzt, weil er sich so daneben benommen hat. Die Ampel-Parteien haben abgelehnt, AfD-Politiker in Ausschlussvorsitze zu wählen. Das war der richtige Griff. Dass die Union der AfD wieder Ausschussvorsitze geben will, halte ich für schlichtweg falsch.
Was für eine Fraktion beobachten Sie im 21. Bundestag?
Die AfD-Fraktion ist so radikal wie nie zuvor. Matthias Helferich und Maximilian Krah dürfen Mitglieder sein – beide verharmlosen den Nationalsozialismus. Außerdem Erhard Brucker, der mit dafür ausschlaggebend war, dass in Bayern der Verfassungsschutz die Beobachtung aufgenommen hat. Etliche Leute aus dem direkten rechtsextremen Umfeld von Björn Höcke sind Mitglieder. Auch Alice Weidel hat sich unheimlich radikalisiert. Sie hat früher mal versucht, Höcke aus der Partei zu werfen; inzwischen sind die beiden Buddies. Es ist naiv, zu glauben, dass es in der aktuellen AfD-Bundestagsfraktion noch Politiker gibt, die mit beiden Beinen auf dem Fundament des Rechtsstaats stehen.
Wie viel Schaden erwarten Sie denn von einem Ausschussvorsitzenden der AfD?
Enorm viel. Die AfD-Abgeordneten könnten diese wichtigen Posten ausnutzen, um die Arbeit der Ausschüsse zu behindern, zu blockieren oder sogar gezielt zu sabotieren. Sie könnten unsere Demokratie von innen heraus schwächen. Die SPD sollte die Union davon abbringen, der AfD Schlüsselpositionen zu geben. Mit einer aktuellen Kampagne versuchen wir hier Druck auf Union und SPD zu machen – schon mehr als 270.000 Menschen stehen dabei hinter uns.
Welche Motive unterstellen Sie der Union?
Ich unterstelle Polit-Profis grundsätzlich, dass sie rational agieren. Beim Verhalten von Friedrich Merz bin ich mir da aber nicht sicher.
Kann es der AfD aber nicht auch nutzen, sie schon wieder auszuschließen?
Ja, aber auch die Normalisierung nutzt der AfD. Es ist ein Abwägungsprozess: Und da habe ich lieber einen punktuellen Entrüstungsschrei der Rechten als über viele Jahre pöbelnde AfD-Politiker in Spitzenpositionen von Bundestagsausschüssen. Denn das würde unserer Demokratie mehr schaden – sowohl mit Blick auf das Ansehen als auch der Arbeitsfähigkeit des Bundestages. Zudem halte ich die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextrem für wahrscheinlich. Was wäre es für eine Symbolik, einen Ausschussvorsitzenden zu wählen – und in vier Wochen wird die Partei als gesichert rechtsextrem eingestuft?
Wie können Sie so überzeugt sagen, dass die AfD hochgestuft wird?
Ich bin überzeugt, dass es ausreichend Anhaltspunkte gibt. Das letzte AfD-Gutachten basiert auf Material, das über vier Jahre alt ist. Seither ist so viel passiert, die AfD hat sich enorm radikalisiert. Wenn man sich ansieht, wie das OVG Münster beim Verfahren zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall argumentiert hat – da halte ich es für extrem wahrscheinlich, dass jetzt eine Hochstufung kommt.
Was würde eine Hochstufung für den parlamentarischen Alltag bedeuten?
Wenn der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft, kann das ein Verbotsverfahren wieder in Schwung bringen. Und ich hoffe, dass eine Hochstufung auch bei der Union die Hemmschwelle erhöht, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Ich finde bemerkenswert, dass es im Beschluss des Präsidiums heißt, man schließe jede Zusammenarbeit direkt und indirekt aus. Was indirekte Zusammenarbeit konkret bedeutet, konnte aber noch kein CDU-Politiker schlüssig erklären – was bedeutet für die Union indirekte Zusammenarbeit, wenn nicht die gemeinsame Abstimmung? Ich hoffe, dass eine Höherstufung der Union nochmals das argumentative Futter liefert, ihre Beschlüsse nachzuschärfen.