Das Ziel, in der Sozialpartnerschaft die Politik außen vor zu lassen, hat beim Mindestlohn nicht geklappt. Seitdem die Arbeitgeberseite Mitte 2023 mit der Stimme der Vorsitzenden eine Erhöhung von jeweils nur 41 Cent für 2024 und 2025 durchsetzte, reißt die öffentliche Debatte nicht ab. Neben Hubertus Heil machte zuletzt auch Olaf Scholz selbst indirekt Druck, die nächste Erhöhung habe höher auszufallen.
In einem Brief an die Vorsitzende der Mindestlohnkommission wurde der Bundesarbeitsminister jetzt konkret: Er sehe die Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie als erreicht an, wenn die Kommission „den Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns bei den nächsten Anpassungsentscheidungen berücksichtigt“.
Die EU-Vorgabe ist bis Mitte November umzusetzen, der genannte Wert eine darin genannte Option. Für die Gewerkschaften ist sie „der richtige Maßstab“, so NGG-Chef Guido Zeitler zu Table.Briefings. Er betont, die Lohnuntergrenze müsse 2025 auf dieser Grundlage bei mindestens 14,83 Euro liegen. Die aktuellen 12,41 Euro – beziehungsweise 12,82 Euro ab Januar – decken ihm zufolge „in keiner Weise die Preissteigerungen der letzten Jahre“.
Steffen Kampeter, BDA-Hauptgeschäftsführer und wie Zeitler Kommissionsmitglied, sieht im Schreiben des Ministers dagegen „Wahlkampfgetöse“, das dem sozialpartnerschaftlichen Miteinander schade. Er stellt die Frage in den Raum, wie unabhängig das Gremium sein könne, wenn Regierungsmitglieder „bestimmte Erwartungen zukünftiger Ergebnisse in Abhängigkeit von Wahlterminen formulieren“. Es gibt keinen Beleg, dass es Heil nur um die Bundestagswahl 2025 geht – dass die Debatte schon längst politisiert ist, ist aber nicht von der Hand zu weisen.
Auch die Grünen haben sich in die Debatte eingeschaltet und einen Vorschlag für eine Reform der Mindestlohnkommission unterbreitet. Dieser sieht etwa vor, nach dem Vorbild der Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes ein Schlichtungsverfahren einzurichten – mit zwei Vorsitzenden, die ein wechselndes Stichstimmrecht haben. Das Mindestlohngesetz sieht eine entsprechende Möglichkeit vor. A us Sicht des BMAS ist eine einvernehmliche Entscheidung jedoch erstrebenswert, „um die Akzeptanz des Beschlusses bei Arbeitgebern und Beschäftigten zu steigern“.
Bisher beruft die Bundesregierung alle fünf Jahre jeweils drei Mitglieder auf Vorschlag der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite. Der oder die Vorsitzende wird grundsätzlich auf gemeinsamen Vorschlag beider Seiten ausgewählt. Unterbleibt dies, gibt es je eine von den Spitzenorganisationen nominierte Person, der Vorsitz wechselt in diesem Fall nach jedem Beschluss. Die aktuelle Amtszeit endet Mitte Dezember, Ende September erscheint im Bundesanzeiger eine Bekanntmachung über das entsprechende Vorschlagsrecht der jeweiligen Organisationen.
Die Mindestlohnkommission berät schon seit geraumer Zeit intern, wie es weitergehen könnte. Details dringen dazu bisher nicht nach außen, der Druck ist aber groß. Sollte man sich nicht einigen können und die Politik die Festsetzung der Höhe übernehmen, wären Mindestlohn-Bezieher laut Stefan Körzell erst mal „abgehängt“ von der allgemeinen Lohnentwicklung. „Das wäre ein fatales Zeichen, gerade auch für den Osten der Republik“, so das Kommissions- und DGB-Vorstandsmitglied. Ihm zufolge erhalten dort mehr als 30 Prozent der Beschäftigten nur den Mindestlohn.