Bei der nächsten Bundestagswahl können so viele Zugewanderte wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik abstimmen. Bereits 2021 waren es von 61,1 Millionen Wahlberechtigten 7,9 Millionen – 13 Prozent. Im Februar 2025 dürften es weit mehr als acht Millionen sein, wenn man die vergangenen Rekordjahre bei Einbürgerungen berücksichtigt. 2022 und 2023 sind 368.600 Zugewanderte deutsche Staatsbürger geworden.
Für alle Parteien werden die Eingebürgerten wichtiger. Was das bedeutet, zeigt eine neue Studie des Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) zu politischen Einstellungen von Menschen mit Russlandhintergrund. Seit Jahren wird diskutiert, welche Präferenzen die Wählerinnen und Wähler aus der ehemaligen Sowjetunion haben. Die Untersuchung konzentriert sich auf Menschen, die vorher auf dem Territorium des heutigen Russlands gelebt haben. Und sie liefert eine unzweideutige Erkenntnis: AfD und BSW profitieren auf den ersten Blick von dieser Gruppe am meisten.
Und doch: Ein erheblicher Teil von ihnen ist (noch) nicht auf die Extreme festgelegt : Innerhalb der Gruppe gibt es zwei Pole, einen ganz rechts bei der AfD und einen beim BSW. „Diese Parteien wissen, dass sie diese Zielgruppe etwa über das Thema Sanktionen gegen Russland ansprechen können“, so die Autoren der Studie. Zwischen den Polen sind gleichwohl noch mehr als 60 Prozent, die alle anderen Parteien im Bundestag wählen. Ob hier Bindungen zu bestimmten Parteien, noch dazu langanhaltende, existieren, ist bislang aber nicht erkennbar.
Größte Verlierer sind CDU und CSU. Noch Anfang der 2000er Jahre haben bis zu 70 Prozent der Zugewanderten aus der Ex-Sowjetunion die Union bevorzugt. Dies ist vorbei. „Auch Friedrich Merz wird diese Wählerschaft nicht mehr zurückgewinnen“, sagt Félix Krawatzek, der mit Hakob Matevosyan für die Studie geforscht hat. 2017 bevorzugten aus der Gruppe 28 Prozent die Union, bei den vergangenen Wahlen waren es nur noch 20 Prozent.
Zwei weitere Erkenntnisse:
Edwin Warkentin, der das Kulturreferat am Museum für russland-deutsche Kulturgeschichte leitet und 2010 bis 2014 Referent des Bundesaussiedlerbeauftragten war, sagt: Die Propagandaangebote „sprechen Minderwertigkeitsgefühle von Menschen an, die sich in der modernen deutschen Gesellschaft nicht souverän fühlen.“ Bezogen auf die Menschen aus Russland sei „der Kern der Propaganda ein systemimmanenter Chauvinismus, der sich um Größe, Überlegenheit und Männlichkeit dreht“.
Die Beeinflussung durch den Kreml ist erkennbar. Das bestätigt auch die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik. Sie ist selbst in Russland geboren und sitzt für die SPD im Bundestag. Sie fordert gegen den Einfluss aus Moskau mehr Aufklärung. Für genauso wichtig hält sie es aber, „dass die Stimmen und Anliegen der Russlanddeutschen auch Gehör finden“.
Die meisten neuen Eingebürgerten kommen aber nicht mehr aus Russland. Ganz vorne liegen Zugewanderte aus Syrien, der Türkei und dem Irak. Sie machten bei den Einbürgerungen 2023 mehr als 52 Prozent aus. Auch bei Menschen aus diesen Ländern wirke Geschichte auf die Identität und öffne Beeinflussungsmöglichkeiten, so der Wissenschaftler Krawatzek. Autoritäre Mächte wie Russland, Türkei und China versuchten, zur Durchsetzung eigener Politik massiv auf die ausgewanderten Bürger in ihrer neuen Heimat einzuwirken.