Analyse
Erscheinungsdatum: 06. Juni 2024

Zur Lage im Land: Wenn die Zahlen besser sind als die Stimmung

Auch wenn die Laune schlecht und die Probleme groß sind – manche politische und wirtschaftliche Kennzahl ist besser, als es die Debatten vermuten lassen würden.

Seit dem mutmaßlichen Mord von Mannheim ist die Debatte über Abschiebungen wieder voll entbrannt. Auch der Bundeskanzler hat am Donnerstag noch einmal erklärt, Straftäter wie der Messer-Attentäter „gehören abgeschoben“, selbst wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammten. Dass das in der Praxis nicht so einfach ist, weiß Olaf Scholz. Viele abgelehnte Bewerber werden geduldet, weil ihnen im Heimatland Gefahr droht. Deshalb ist noch längst nicht klar, ob es tatsächlich den von Scholz angedeuteten „rechtlich und praktisch tragfähigen Weg“ für Abschiebungen von Straftätern gibt. Beim Täter von Mannheim hatte das BAMF ein Abschiebeverbot verhängt. Und von den 13.396 ausreisepflichtigen, nicht strafffälligen Afghanen haben aktuell 11.666 eine Duldung.

Dass der Kanzler und andere etwas verändern wollen, ist deutlich geworden. Die aktuelle Diskussion verdeckt, dass sich bei den Abschiebungen schon einiges verändert hat. Im Ton der Anklage meldet die taz (wenn auch unter Schmerzen), dass Scholz’ Versprechen vom Herbst, künftig „im großen Stil“ abzuschieben, real werde. Die Zahl der Rückführungen stieg nämlich in den ersten vier Monaten 2024 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum nach Angaben des BMI um 32 Prozent.

Bis Ende April wurden 6.316 Menschen abgeschoben. Im ganzen Jahr 2023 waren es 16.430. 2022 gab es 12.945 Rückführungen – schon das war im Jahresvergleich eine Zunahme von 27 Prozent. Zugleich ist in den ersten vier Monaten 2024 die Zahl der Erstanträge auf Asyl um 19 Prozent gesunken. Und seit Monaten werden mehr Anträge bearbeitet als gestellt, Diese Entwicklung ist – jedenfalls für alle, die ungeregelte Zuwanderung begrenzen und abgelehnte Asylbewerber wieder loswerden wollen – nicht schlecht. Sie spielt in der aktuellen Debatte aber nur eine untergeordnete Rolle.

Ähnlich ist es bei den Wirtschaftsdaten. Die Stimmung ist mies, die ökonomischen Aussichten sind „dramatisch schlecht“, wie Robert Habeck zu Jahresbeginn fand. Düster ist auch die Berichterstattung über die konjunkturelle Lage. Allerdings: Im ersten Quartal wuchs die deutsche Wirtschaft gegenüber dem letzten Vierteljahr 2023 um 0,2 Prozent. Das ist zwar nicht sensationell, aber doch schon so viel wie die Bundesregierung in ihrer Konjukturprognose für das komplette Jahr 2024 vorhergesagt hatte. Auch die Industrieproduktion legt zu, und der Optimismus der privaten Verbraucher wächst. Das HDE-Konsumbarometer steht auf dem höchsten Stand seit August 2021.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist zuletzt mehrere Monate hintereinander gestiegen. Aktuell zeigt er im Verarbeitenden Gewerbe, im Handel und im Bauhauptgewerbe nach oben. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich schrittweise aus der Krise heraus“, schreiben die Münchner Stimmungsfühler. Und sie heben hervor, dass sich das Geschäftsklima in Ostdeutschland zum Teil deutlich „erwärmt“ – gerade dort, wo die politische und gesellschaftliche Stimmung vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen besonders angespannt ist. Das Handelsblatt hat kürzlich schon erwogen, Olaf Scholz könne recht haben, als er von „Turnaround-Jahren“ sprach, und gefragt: „Ist die Stimmung schlechter als die Lage?“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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