Analyse
Erscheinungsdatum: 22. Januar 2025

Zukunft der Sozialversicherung: Wie die Beitragskassen stabilisiert werden können

Die fünf Sozialversicherungen sind unter Druck. Was tun? Parteien und Verbände haben unterschiedliche Antworten.

Arbeitslosigkeit, Rente, Unfall, Krankheit, Pflege: Die gesetzlichen Versicherungen sind der zentrale Pfeiler des Sozialstaats. Zum Jahreswechsel sind nun sowohl der Pflege- als auch der Zusatzbetrag der Krankenkassen gestiegen, insgesamt gehen inzwischen rund 42 Prozent vom Lohn für die soziale Sicherung ab. Eine „Explosion“ der Sozialabgaben beklagen Arbeitgeber schon länger. Prognosen aus Wirtschaft und Politik über Arbeitsplatz-Verluste halten Experten aber für alarmistisch.

Dennoch mehren sich die Warnungen über eine hohe Belastung. Martin Werding vom Sachverständigenrat (SVR) hat Mitte Januar eine Studie veröffentlicht, die er für eine ZDF-Dokumentation über die Zukunft der Rente erstellt hat. Demnach führte die „demografische Alterung“ in der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu einer „finanziellen Anspannung (...), die sich bis 2035 massiv verschärft“. Bis dahin könnten die Beitragssätze auf insgesamt knapp 48 Prozent und bis 2050 auf rund 50 Prozent steigen, so eines der berechneten Szenarien. Dieses gehe aber davon aus, dass die aktuellen Rahmenbedingungen für die Einnahmen und Ausgaben Versicherungen unverändert bleiben, betont Werding.

Ein „Sofortprogramm für stabile Kassenbeiträge“ fordert denn auch DAK-Chef Andreas Storm von der nächsten Bundesregierung. Die Krankenkasse hat eine aktualisierte Version der bereits 2024 veröffentlichten Projektion zur Beitragsentwicklung in der Sozialversicherung vorgelegt. Darin rechnet das Iges-Institut mit einem Anstieg um 7,2 Prozent auf 49,7 Prozent bis 2035 – für den Fall, dass das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent festgeschrieben wird. Für die Krankenversicherung (GKV) bedeute das einen Sprung von 17,5 auf 20,0 Prozent. Als Lösung fordert Storm eine andere Finanzierung der Krankenhausreform: Die privaten Kassen sollten am geplanten „Transformationsfonds“ beteiligt werden. Zudem soll der Bundeszuschuss um 7 Milliarden auf 21,5 Milliarden Euro angehoben werden, um sogenannte versicherungsfremde Leistungen wie die nicht ausreichend gedeckten Ausgaben für Bürgergeld-Empfänger zu bezahlen.

Einen anderen Umgang mit den versicherungsfremden Leistungen fordert auch der Sozialverband VdK. Denn sie seien ein zentraler Grund für das Finanzproblem der Sozialversicherungen. Zusammen mit der NGO FiscalFuture hat sie eine entsprechende Analyse vorgelegt. Als Beispiel nennt sie die gesetzliche Rentenversicherung (GRV). Diese übernimmt die Kosten für die Anrechnung von Mutterschutz-, Kindererziehungs- und Ausbildungszeiten. Insgesamt zahle sie für solche Leistungen gut 108 Milliarden Euro, bekomme in Form des sogenannten Bundeszuschusses aber nur rund 84 Milliarden zurück.

Das belaste die Beitragskassen, weshalb solche „gesamtgesellschaftlichen Aufgaben“ laut VdK von allen Steuerzahlern finanziert werden sollten. Der Verband macht auch Vorschläge, wie der Bundeshaushalt mehr Einnahmen generieren könnte, um das zu schultern. Dazu gehören die Einführung einer Finanztransaktions- und Vermögenssteuer, Reformen bei Einkommens- und Erbschaftssteuer sowie die bessere Bekämpfung von Steuerbetrug und legaler „Steuervermeidung“. Dadurch könne man auf mehr als 100 Milliarden Euro kommen, so die Schätzung.

Eine Vermögenssteuer lehnen CDU und CSU ab, teilen aber das Ziel der Entlastung der Sozialversicherung. Man wolle sich „wieder auf die 40 Prozent hinbewegen“, heißt es im Wahlprogramm. Wie sie das genau erreichen möchte, sagt sie nicht. Zum Monitoring soll es aber einen jährlichen „Sozialstaatstragfähigkeitsbericht“ geben. Einen regelmäßigen Bericht will neben einem Deckel bei 40 Prozent auch die BDA – und stellt konkrete Forderungen: Das Rentenalter müsse steigen, die „Rente mit 63“ abgeschafft werden und die Pflegeversicherung etwa durch die Einführung eines „Nachhaltigkeitsfaktors“ reformiert werden. Welches Rentenalter sie bevorzugt, erwähnt sie in ihrem Papier jedoch nicht. Die GRV hat ihn schon: Steigt die Zahl der Rentner schneller als die der Beitragszahler, wird die jährliche Erhöhung gebremst.

Die Frage, wie auch die Einnahmen des Staates verbessert werden können, werden nach der Bundestagswahl weiter für Diskussionen sorgen. Das zeigten die Reaktionen auf den Vorschlag von Robert Habeck, außer auf Löhne und Renten ebenso auf Kapitalerträge Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zu erheben. Die Forderung findet sich bei seiner Partei schon länger. SPD und Linke befürworten eine „Bürgerversicherung“, in die alle einzahlen.

Auch aus der Union gibt es entsprechende Finanzierungsideen, wie die Grünen zuletzt betonten, um sich zu rechtfertigen: Die beiden Abgeordneten Kai Whittaker und Markus Reichel forderten schon 2023, alle Einkommensarten einzubeziehen. Mehrheitsposition von CDU/CSU ist das bisher jedoch nicht, weshalb CDA-Chef Dennis Radtke entsprechend reagierte : Für eine Debatte über Reformen sei der Arbeitnehmerflügel immer zu haben, „als Kronzeuge für grünen Wahlkampf stehen wir allerdings nicht zur Verfügung“. Wie es nach der Wahl im Fall einer möglichen grün-schwarzen Koalition aussehen würde, ist eine andere Frage.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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