Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Mai 2025

Zukunft der Sozialdemokratie: SPD-Kommission sieht Partei in einem kritischen Zustand

Die SPD ringt um ihre Zukunft. Ein erster Entwurf zur inhaltlichen Erneuerung skizziert den Reformbedarf und mögliche Auswege aus der Krise.

Auf dem Weg zu einer programmatischen Erneuerung der SPD hat eine Autorengruppe im Auftrag der Parteiführung eine erste Skizze vorgelegt. Sie ist 14 Seiten lang und überaus vorsichtig formuliert, sieht die Partei aber in einer heiklen Situation. Anfang März hatte der Parteivorstand beschlossen, die Wahlniederlage am 23. Februar von einer Arbeitsgruppe analysieren zu lassen und einen programmatischen Neustart einzuleiten. Nun liegt ein erster Bericht vor, mit zahlreichen Neuerungs- und Ideenvorschlägen, die sich vor allem mit der inhaltlichen Erneuerung beschäftigen. Anders als versprochen und beauftragt haben die Autorinnen und Autoren auf eine Analyse von Kampagne, Personalaufstellung und Wahlergebnis weitgehend verzichtet. Ihr Kernbefund lautet stattdessen: „Die SPD bedarf einer umfassenden Erneuerung.“

Verfasst hat die Bestandsaufnahme ein vierköpfiges Autorenteam: die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Gesine Schwan, ihr Vize, Sozialwissenschaftler Henning Meyer, der Ökonom Gustav Horn und der Politikberater Erik Flügge. Sie haben für den erschöpften Zustand der Partei eine Reihe von Gründen zusammengetragen. Die SPD wirke zu oft getrieben. Sie habe zu wenige überzeugende Vorstellungen der Zukunft, das politische Angebot der SPD dürfe „nicht allein aus einzelnen Transaktionen bestehen“. Was wohl heißen soll: Es fehlt die überwölbende, sinnstiftende Erzählung, „ein kohärenter und überzeugender Gesellschaftsentwurf“. Oder wie es etwas wolkig an anderer Stelle formuliert ist: „Wenn eine Partei keine eigene Vision gesellschaftlicher Gestaltung verfolgt, wird sie häufig zum reinen Objekt.“

Kurz, aber markant wird „das desaströse Wahlergebnis“ vom 23. Februar gestreift. Es sei auch durch kurzfristige Faktoren beeinflusst worden – „insbesondere durch das negative Bild der zerbrochenen Ampelkoalition und der mit ihr verbundenen Personen“. Dahinter würden sich aber tiefere Ursachen verbergen: „Dies hat nur längerfristige, unterschwellige Tendenzen des Niedergangs verstärkt.“ „Eine umfassende Erneuerung der SPD“ müsse deshalb „nicht nur die kurz-, sondern auch die langfristigen Entwicklungen einbeziehen, um durchgreifende Änderungen zu ermöglichen“.

Die Autoren gehen auf Abstand zu einem Fortschrittsbegriff, der sich auf die Sicherung und Weiterentwicklung des Sozialstaats reduziert. Im Fokus dürften nicht allein Wahlerfolge stehen, Ziel müsse vielmehr sein, „die SPD als Vordenkerin und treibende Kraft gesellschaftlichen Fortschritts zu positionieren“. Auch sonst meldet der Entwurf jede Menge Korrekturbedarf an. Die Fehlerkultur in Partei und ihren Unterorganisationen sei ausbaufähig. Wünschenswert sei ein offenerer Umgang mit zurückliegenden Fehlern, nicht zuletzt „um Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“.

Hinterfragt wird auch die Sprache auf Parteitagen, in Anträgen und in den Medien. Der „Bürokratie- und PR-Sprech in der SPD“ müsse nachhaltig gebrochen werden, die Partei brauche dafür ein dezentrales Kommunikationssystem. Es bedürfe neuer und erneuerter Kooperationen mit Bündnispartnern, mit Kirchen, Gewerkschaften, NGOs, analoger und digitaler Zivilgesellschaft. Die Rolle der Parteischule müsse wieder gestärkt werden, denn: „Das SPD-Spitzenpersonal und die Kandidierenden müssen besser vorbereitet und geschult sein.“ Das Ziel: „Weniger Verwaltung, mehr Visionsträger*innen bzw. Vorbilder mit Haltung.“

Ziel der Neuorientierung: ein „Zukunftsprogramm 2040“. Zentraler Bestandteil müsse eine umfassende Überprüfung der Inhalte zu den drängendsten gesellschaftlichen Themen und ihrer Gewichtung sein: „Dazu gehört als zentraler Punkt die Erarbeitung eines neuen sozialdemokratischen Verständnisses eines modernen Staates und seiner Funktionsweisen.“ Verbunden ist das – in Anlehnung an Wahlversprechen der Kampagne 2021 – mit der klaren Forderung: „Wenn 400.000 Wohnungen versprochen werden, dann müssen auch 400.000 gebaut werden können.“

Darüber hinaus enthält der Entwurf durchaus konkrete Vorschläge. Etwa, sich bei Problemen intensiver zu kümmern. So könne die Partei Strukturen schaffen, um konkrete Hilfen wie Mieter- oder Sozialberatung anzubieten. Wörtlich: „Die SPD muss selbst wieder gesellschaftliche Dienstleisterin werden, insbesondere auf der lokalen Ebene.“ Die Partei müsse wieder „Spitzenpersonal mit Strahlkraft“ aufbauen, denn: „Die derzeitigen Prozesse fördern keine Persönlichkeiten mit Außenwirkung.“ Im digitalen Zeitalter müsse die Partei „neue Netzwerke mit Personen des öffentlichen Lebens errichten und pflegen: Nicht nur Roland Kaiser vor Wahlen auffahren“.

In der vorliegenden Form wird der Entwurf kaum bestehen bleiben. Kommende Woche wird sich die rund 20-köpfige Kommission – in der vom DGB über die EU-Parlamentsvizepräsidentin, vom Juso-Chef bis zum Personalrat des Willy-Brandt-Hauses das ganze SPD-affine Spektrum vertreten ist – erstmals über den Impuls beugen, um zu ergänzen oder zu korrigieren. Er soll bis zum Parteitag Ende Juni in einen Antrag einfließen, der die Parteiführung mit einem Reformprozess beauftragt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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