Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Februar 2024

Wiederholungswahl hinterlässt Lücken bei den Grünen

Durch das Ergebnis der Berliner Wiederholungswahl scheidet die Grünen-Politikerin Nina Stahr aus dem Bundestag aus. Die Fraktion verliert mit ihr eine versierte Fachpolitikerin und muss nun wichtige Positionen neu besetzen.

Bis zum 4. März hat Nina Stahr noch Zeit. Dann muss die 41-Jährige ihr 2021 errungenes Bundestagsmandat wieder abgeben. Denn die Wiederholungswahl in Berlin hat zu einer kuriosen Personalrochade in der Grünen-Fraktion geführt: Zwar legte die Partei in den Wahlbezirken, in denen am Sonntag neu gewählt wurde, im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 sogar zu. Da die Wahlbeteiligung jedoch von 75 auf 51 Prozent sank, steht dem Berliner Landesverband ein Mandat weniger zu. Die NRW-Grünen erhalten das bisherige Berliner Mandat. Franziska Krumwiede-Steiner aus Mülheim an der Ruhr wird daher voraussichtlich in drei Wochen ins Parlament nachrücken.

Die Grünen-Bundestagsfraktion schrumpft personell also nicht, verliert mit Stahr jedoch eine versierte und fraktionsübergreifend anerkannte Fachpolitikerin. Als bildungs- und forschungspolitische Sprecherin setzte sie sich vor allem für eine Überarbeitung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und eine Bafög-Reform ein. Dabei legte sie vor allem Wert auf die sozialen Komponenten – und sparte auch nicht mit Kritik an den Vorschlägen aus dem Haus von FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger.

Außerdem gehörte Stahr dem Familienausschuss an. Dort war sie als Berichterstatterin für die Kindergrundsicherung und damit das wichtigste sozialpolitische Projekt der Grünen in dieser Legislaturperiode verantwortlich. Nachdem Familienministerin Lisa Paus im November den Gesetzentwurf vorgelegt hatte, laufen derzeit intensiv die Verhandlungen zwischen den Berichterstattern, welche von Stahr organisiert und geleitet wurden. Dass sie die Runde nun in der entscheidenden Phase verlassen muss, dürfte für das Zustandekommen des Projekts nicht förderlich sein.

„Natürlich bin ich persönlich enttäuscht“, sagt Stahr am Morgen nach der Wahl am Telefon. Die Kindergrundsicherung, die Bafög-Reform und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz seien „Herzensthemen“ gewesen, die sie gerne weiterbearbeitet hätte. „Aber ich bin nicht aus der Welt und bin mir sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion da jetzt einen guten Job machen werden.“

Am 4. März wird Stahr ihr Mandat offiziell an ihre Nachfolgerin Krumwiede-Steiner übergeben. Fachlich haben die zwei Politikerinnen große Gemeinsamkeiten: Beide sind Lehrerinnen von Beruf und engagieren sich neben bildungs- vor allem für familienpolitische Themen. Es ist daher davon auszugehen, dass es in der Ausschussbesetzung keine Rochaden geben wird. Auch die Mitarbeiter aus ihrem Bundestagsbüro wird Krumwiede-Steiner übernehmen. Darauf hatten sich beide schon vor der Wiederholungswahl verständigt.

Wer Stahrs Aufgaben als fachpolitische Sprecherin und Berichterstatterin für die Kindergrundsicherung übernehmen wird, ist allerdings noch nicht geklärt. Für den Sprecherposten wäre Stahrs bisherige Stellvertreterin Laura Kraft die logische Nachfolgerin. Die Neuwahl in der Fraktion findet allerdings voraussichtlich erst nach dem Mandatswechsel Anfang März statt. „Über die Frage der künftigen Arbeitsverteilung werden wir zeitnah gemeinsam in der Fraktion beraten“, sagte Grüne-Fraktionschefin Britta Haßelmann Table.Media.

Für ihre Fraktion ist Stahrs Ausscheiden ein „herber Schlag“, betonte Haßelmann. Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sagte, Stahr sei „mit Leib und Seele eine hochengagierte Abgeordnete gewesen“, die die Fach-AG „mit großem Einsatz, hoher Sachkenntnis und Verhandlungsgeschick geleitet“ habe. Selbst bei der politischen Konkurrenz löst das Ergebnis Bedauern aus. Thomas Jarzombek, bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sagte Table.Media, er habe Stahr „als eine nette und pragmatische Kollegin“ erlebt. „Ich hätte das niemandem gegönnt, aber sie ist für die Ausschussarbeit ein echter Verlust“, so Jarzombek.

Für die Grünen im Berliner Landesverband hat sich durch Stahrs Ausscheiden aus dem Bundestag ein Problem gelöst. Im Dezember vergangenen Jahres war Stahr in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zusammen mit Philmon Ghirmai zur Landesvorsitzenden gewählt worden, nachdem die Realo-Kandidatin Tanja Prinz in mehreren Wahlgängen gescheitert war. Mit der Satzung, die eine strikte Trennung von Amt und Mandat vorsieht, war das jedoch nicht vereinbar. Für Stahr, auf die sich beide Parteiflügel mit großer Mehrheit verständigen konnten, wurde zunächst eine Ausnahme gemacht. Nun kann aus der Übergangs- eine dauerhafte Lösung werden.

Ihr sozialpolitisches Engagement möchte Stahr zunächst auf Landesebene fortsetzen. „Beim Thema soziale Gerechtigkeit wäre im schwarz-roten Senat auch einiges an Arbeit zu leisten“, so Stahr. Auch die Wissenschaftspolitik wolle sie als Landesvorsitzende vorantreiben. Gerade der Antisemitismus an den Berliner Hochschulen mache ihr große Sorgen. Trotzdem könne sie sich „gut vorstellen“ bei der nächsten Bundestagswahl erneut auf der Berliner Landesliste zu kandidieren: „Ich habe in der letzten Nacht sehr viele Nachrichten bekommen, die gesagt haben, wir sehen uns 2025.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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