Analyse
Erscheinungsdatum: 18. April 2024

Wie Christian Lindner in Washington die Schuldenbremse verteidigt

Der Finanzminister hält unbeirrt an der Schuldenbremse fest, obwohl Koalitionspartner und internationale Experten ihn zum Einlenken bewegen wollen. Bei der IWF-Frühjahrstagung versucht er, die Kritiker zu überzeugen – und kritisiert vor allem die USA.

Christian Lindner wirkt in diesen Tagen finanzpolitisch isoliert. Es scheint, als sei der FDP-Chef und Bundesfinanzminister der letzte große Verfechter der Schuldenbremse – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Der größte Koalitionspartner arbeitet an einem Reformkonzept der Schuldenbremse, in der größten Oppositionspartei werden ebenfalls zunehmend Stimmen für eine Überarbeitung laut, und international schütteln die Verbündeten schon lange den Kopf über die restriktive Fiskalpolitik der Deutschen.

Hinter vorgehaltener Hand spekulierten zuletzt auch Menschen aus der eigenen Partei darüber, wie lange ihr Chef an seinem Kurs wohl noch festhalten könne. Doch wer Lindner in diesen Tagen erlebt und zuhört, kommt nicht auf die Idee, dass der FDP-Chef über eine Aufweichung nachdenken könnte. Er weiß: Seine Glaubwürdigkeit und damit seine weitere politische Karriere sind ganz eng mit der Einhaltung der Schuldenbremse verknüpft.

In dieser Woche ist Lindner in Washington, nimmt dort an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank teil. Am Rande stehen auch ein Treffen der G20-Finanzminister sowie zahlreiche bilaterale Gespräche mit internationalen Amtskollegen auf dem Programm.

Los geht es am Mittwochmorgen mit einem Auftritt beim „Semafor World Economy Summit“. Rund 20 Minuten lässt sich der Finanzminister auf Englisch interviewen. Direkt vor ihm sprach EU-Handelskommissar Vladis Dombrowskis. Die Aufmerksamkeit der internationalen Finanzexperten ist Lindner also gewiss.

Er nutzt den Auftritt für Eigenlob und Belehrungen. Zunächst erläutert er seinen Blick auf die Situation im eigenen Land: „ Wir bewegen uns auf eine Inflationsrate von 2 Prozent zu. Das ist eine sehr gute Nachricht für die deutsche Wirtschaft und die privaten Haushalte.“ Das liege einerseits an der Geldpolitik der EZB, zum anderen aber auch an der moderat-restriktiven Finanzpolitik der Regierung.

Es folgt ein Exkurs in die aktuelle deutsche Innenpolitik, gepaart mit einer Abrechnung über den Inflation Reduction Act der USA : „Lustigerweise gibt es in Deutschland eine innenpolitische Debatte, sogar bei meinen Koalitionspartnern“, erzählt Lindner. „Manche meinen, der Inflation Reduction Act könnte ein Vorbild für Deutschland sein.“ Er wolle nicht unhöflich sein, schiebt Lindner voran, um dann darauf hinzuweisen, dass die Inflationsrate in den USA wieder steige und die Fed veranlasse zu reagieren.

Es ist das Hauptargument, mit dem Lindner den deutschen Weg der schwarzen Null verteidigt – aller internationalen Kritik zum Trotz. Auch beim IWF findet Lindner wenig Unterstützung für seinen Kurs. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Experten der UN-Sonderkommission Deutschland in ihrem Länderbericht empfohlen, die Schuldenbremse anzupassen und die Kreditaufnahmegrenze von derzeit 0,35 Prozent des BIP auf bis zu 1,35 Prozent anzuheben.

„Deutschland hat reichlich fiskalischen Spielraum, aber die Schuldenbremse hindert Deutschland daran, ihn besser zu nutzen“, erklärt Kevin Fletcher, Leiter der deutschen IWF-Mission, gegenüber Table.Briefings. Er geht sogar noch weiter: Mittel- bis langfristig würde der Ausgabedruck und Investitionsbedarf 1 Prozent des BIP übersteigen. Daher müsse Deutschland weitere Einnahmequellen erschließen und/oder Ausgaben neu priorisieren. „Zu den Optionen gehören zum Beispiel die weitere Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und Steuerbefreiungen“, so Fletcher.

Auch der deutsch-amerikanische Ökonomie-Professor Rüdiger Bachmann, der an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana lehrt, hält eine Reform der Schuldenbremse für notwendig. Das Wichtigste dabei sei, das erlaubte Defizit nach einer Krise statt mit einem „kalten Entzug“ langsam wieder zurückzufahren, damit sich die Wirtschaft erholen kann. „Des Weiteren sollte dem in der Schuldenbremse erlaubten Defizit eine Tragfähigkeitsanalyse zugrunde liegen, die langfristige Realzinsen und Wachstumsraten mit berücksichtigt“, sagte Bachmann Table.Briefings.

Dass Deutschland mit seiner Schuldenpolitik international zunehmend isoliert sei, hält er in der Debatte zwar nur für einen untergeordneten Aspekt. Eines aber müsse man berücksichtigen: „ Wenn die europäischen Partner Schulden machen und Deutschland nicht, dann kann das Nachteile für Deutschland haben, da die EZB auf die europäische Inflation reagieren muss“, erklärt Bachmann.

Lars Feld, der Lindner in makroökonomischen Fragen berät, sieht das anders. Gerade aufgrund ihrer restriktiven Schuldenpolitik sei die Bundesrepublik der Garant für die Stabilität der europäischen Finanzmärkte. „Deutschland ist der wichtigste Haftungsgeber für die EZB und das EU-Programm Next Generation EU“, erklärt Feld gegenüber Table.Briefings. „Ohne die implizite Haftung Deutschlands für den dadurch bedingten Teil der Finanzpolitik anderer EU-Mitgliedstaaten würden die jüngsten überraschenden Nachrichten zur Defiziterhöhung in Frankreich, insbesondere aber in Italien viel mehr Nervosität auf den Finanzmärkten auslösen.“

Auch für die Ratschläge des IWF hat Feld kein Verständnis. Er lege einer weitaus größeren Anzahl der Industrie- und Schwellenländer nahe, ihre hohe Staatsverschuldung zurückzufahren. „Nur für Deutschland soll das Gegenteil gelten. Das ist inkonsistent“, kritisiert Feld. Andere Länder wie die Schweiz, skandinavische Staaten und die Niederlande würden ebenfalls solide wirtschaften. „Insofern ist Deutschland nicht isoliert, sondern der IWF muss sich hinsichtlich der Konsistenz seiner Empfehlungen hinterfragen“, meint der ehemalige Wirtschaftsweise.

Natürlich rät er dem Finanzminister daher, sich nicht beirren zu lassen von all der Kritik und den guten Ratschlägen, die ihm in diesen Tagen begegnen. Immerhin seinen wirtschaftspolitischen Chef-Berater hat Lindner also noch an seiner Seite.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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