Zwar gibt es derzeit keine Anzeichen, wann und mit welchem Ergebnis der Nahost-Krieg enden könnte, doch in Berlin laufen bereits Gespräche für die Zeit danach. Der Thinktank Zentrum Liberale Moderne (LibMod) unternimmt den Versuch, ein Netzwerk aus kenntnisreichen Experten aus der Region zu knüpfen. Diese haben zwar kein offizielles Mandat von ihren jeweiligen Regierungen, doch könnte das ihre schwierige Aufgabe sogar erleichtern, weil sie nicht in einem politischen Korsett stecken: Sie sollen in den nächsten Monaten ein Drehbuch schreiben, wie ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern nach dem Krieg aussehen könnte.
„Neue Ideen für die Region sind dringend nötig. So wie jetzt kann es nicht weitergehen“, sagt Kerstin Müller im Gespräch mit Table.Briefings. Sie leitet für LibMod das vom Auswärtigen Amt finanzierte Projekt, das Wege aus Krieg, Terror und Besatzung aufzeigen soll, so steinig sie auch sein mögen. „Die israelische Strategie eines bloßen Managements des Konflikts ist gescheitert, und die Strategie des Terrors gegen Israel führt die Palästinenser in eine aussichtslose Lage“, sagt Müller. Sie war einst Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, in den Nullerjahren unter Joschka Fischer Staatsministerin im Auswärtigen Amt und dann mehrere Jahre Chefin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv.
Als Basis für die Gespräche dient das seit Jahrzehnten geforderte, aber nie umgesetzte Konzept einer Zweistaaten-Lösung. Dieses Konzept allerdings brauche dringend ein Update. „Die wichtigste Frage ist, wie viel Separierung und wie viel Zusammenarbeit es künftig zwischen Israel und einem palästinensischen Staat geben soll“, sagt Müller. Größte Stolpersteine sind der Status von Jerusalem, die Stadt, die beide Seiten für sich beanspruchen, und die Frage der israelischen Siedler im Westjordanland.
Ein Treffen in Berlin hat bereits stattgefunden, mindestens vier weitere sollen bis Ende 2025 folgen. Die Teilnehmer kommen aus Israel und den palästinensischen Gebieten sowie aus Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien. Das sei wichtig, weil Nachbarländer eine bedeutende Rolle in dem Prozess spielten, sagt Müller. Trotz extrem unterschiedlicher Positionen sei es unter den knapp 20 Teilnehmern in der ersten Gesprächsrunde sehr sachlich zugegangen. Angesichts des jahrzehntelangen Konflikts im Nahen Osten ist das keine Selbstverständlichkeit. „Ich denke, die meisten haben verstanden, dass man mit gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht weiterkommt“, sagt Müller.
Der Tod von Yahya Sinwar könnte nun ein Wendepunkt sein. Er galt als Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober. Es müsse die Chance genutzt werden, dass die Hamas und Israel Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufnehmen, sagt Müller. „Allerdings ist ein solcher Waffenstillstand auch nur eine Atempause bis zum nächsten Krieg, wenn die Akteure nicht versuchen, eine generell politische Perspektive für den Konflikt zu suchen.“
Die Berliner Runden sollen diese Suche unterstützen. Die Ergebnisse der Gespräche sollen als Handlungsempfehlungen für beide Konfliktparteien, die Bundesregierung und die EU dienen. Klar ist allerdings bereits heute: Eine Chance hat das Projekt erst, wenn Benjamin Netanjahu nicht mehr Israel regiert und wenn nicht mehr das Risiko besteht, dass ein palästinensischer Staat Basis für weitere Terrorattacken gegen Israel sein könnte.