Analyse
Erscheinungsdatum: 13. Oktober 2024

Wegen der Freien Wähler in Bayern: Wie Markus Söder die CDU in Geiselhaft nimmt

Der CSU-Chef verspricht Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz seine volle Unterstützung. Doch mit seiner Anti-Grün-Kampagne düpiert er die CDU – aus eigensüchtigen Motiven.

Wenn man die Dauer des Applauses zum Maßstab nimmt, war es nur ein knapper Punktsieg für den CDU-Chef. Doch in Wirklichkeit hat Friedrich Merz auf dem CSU-Parteitag die Delegierten nicht nur dazu gebracht, etwas länger zu klatschen als für ihren eigenen Vorsitzenden Markus Söder. Er hat eine Hürde genommen, an der Armin Laschet vor drei Jahren gescheitert war: Merz hat die CSU davon überzeugt, dass er der richtige Kanzlerkandidat ist. Und Söder hat ihm seine volle Unterstützung zugesagt, „auch gegenüber manchen in der CDU“.

Wie wörtlich das offenbar gemeint war, hat Söder noch auf dem Parteitag demonstriert. In einem Interview mit Welt TV teilte er kräftig gegen seine beiden Unionskollegen Hendrik Wüst und Daniel Günther aus, die in ihren Ländern schwarz-grüne Koalitionen führen und mit Söders Grünen-Bashing nichts am Hut haben. Beide würden einen „schweren strategischen Fehler“ begehen, aber sie seien „ja auch keine Bundespolitiker“. Im Klartext: Die beiden haben keine Ahnung.

Söders gesamte Rede auf dem Parteitag war von seiner üblichen Abrechnung mit den Grünen geprägt. Während Merz die AfD („Abstieg für Deutschland“) scharf attackierte, kam sie bei Söder nur am Rande vor. Stattdessen: immer wieder die Grünen. Immerhin habe er sie wenigstens zu den demokratischen Kräften gezählt, spottete ein CSU-Vorstandsmitglied nach der Rede. Söder hatte an einer Stelle gesagt, die Grünen seien „ein wichtiger Bestandteil der Demokratie – für die Opposition, nicht für die Regierung“.

Vor allem Robert Habeck ist für Söder der Sündenbock für praktisch alles, „das Gesicht der Krise“. Vor drei Jahren hatte das noch ganz anders geklungen. Da schwärmte Söder von Schwarz-Grün als Zukunftsmodell –und als er mit Habeck lange vor der Bundestagswahl eine Fernsehdiskussion bestritt, wirkten beide Herren so, als würden sie sich im nächsten Moment am liebsten um den Hals fallen.

Mit grundsätzlichen politischen Erwägungen hat Söders Kurs deshalb nichts zu tun. Das wahre Motiv für seinen Kreuzzug gegen die Grünen offenbarte der CSU-Chef in einem Nebensatz seiner Rede. Eine Annäherung an die Grünen könne die CSU bei der Bundestagswahl in Niederbayern wichtige Mandate kosten. Gemeint sind damit vor allem die Freien Wähler, Söders Koalitionspartner in Bayern. Diese hatten bei der Landtagswahl im Oktober insbesonders dort gut abgeschnitten, ihr Vorsitzender Hubert Aiwanger gewann in Landshut eines der zwei Direktmandate für die Freien Wähler.

Dass eine 40-Prozent-Partei Angst vor einer Zehn-Prozent-Partei hat, wirkt auf den ersten Blick kurios. Aber Aiwanger hat schon im Landtagswahlkampf bewiesen, dass er ein versierter Bierzeltstratege ist. Und für Aiwanger sind die Grünen tatsächlich aus tiefster Überzeugung der Hauptgegner. Wenn die CSU die Tür Richtung Grüne auch nur einen Spaltbreit öffnen würde, würde Aiwanger die Chance sofort nutzen, um die CSU als heimliche Grünen-Freunde hinzustellen, fürchtet man in der CSU. Und an der ländlichen CSU-Basis sind die Aversionen gegen die Grünen so groß wie seit vielen Jahren nicht. Das hat vor allem mit Habecks vermurkstem Heizungsgesetz zu tun.

Tatsächlich spekuliert die Aiwanger-Truppe auf abtrünnige CSU-Wähler. Aiwanger will aus unerfindlichen Gründen unbedingt in den Bundestag, aber in allen Umfragen ist seine Partei von der Fünf Prozent-Hürde weit entfernt. Er hofft deshalb auf drei Direktmandate, zwei in Niederbayern und eines woanders.

In der CSU war man deshalb aufs Höchste alarmiert, als CSU-Vize Manfred Weber unmittelbar vor dem Parteitag dafür plädierte, die Tür zu den Grünen offenzuhalten. Und damit mit anderen Worten die Merz-Position vertreten hat. Florian Streibl, der Fraktionschef der Freien Wähler im Münchner Landtag, soll sich über Webers Äußerungen hocherfreut gezeigt haben. Also wurde Weber von führenden CSU-Politikern sofort abgekanzelt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte seine Position eine „Mindermeinung“.

Doch so einfach ist es nicht. In der CSU gibt es in dieser Frage zwei Seiten. Die einen sehen es wie Söder und finden es angesichts der vielen Fehler der Grünen wahltaktisch richtig, die Ressentiments gegen die Partei nach Kräften zu schüren. Aber es gibt auch ein anderes Lager, das davor warnt, die Spaltung der Gesellschaft weiter zu vertiefen und den Leuten mit der apodiktischen Absage an Schwarz-Grün Dinge zu versprechen, die man am Ende womöglich nicht halten kann. Zu diesem Lager zählt auch Weber, und er steht damit keineswegs so allein, wie Dobrindt glauben macht. Weber hat nach eigenem Bekunden viele positive Rückmeldungen erhalten und kann mit der Rede von Merz, die auch im Ton gemäßigt war, gut leben.

Auch im Söder-Lager weiß man, dass das feindselige Grünen-Bashing keineswegs von allen mitgetragen wird. Vor allem sein Versprechen, dass die CSU Schwarz-Grün notfalls mit einem Veto verhindern wird, steht auf wackligen Beinen. „Die Realität wird möglicherweise eine andere sein“, räumt einer ein, der nicht zu den Söder-Kritikern zählt. Auf dem Parteitag bekam man in persönlichen Gesprächen mit Delegierten immer wieder zu hören, zunächst müsste erst mal die Wahl gewonnen werden. Und dann sei es wie immer nach Wahlen: Dann komme es auf die rechnerischen Möglichkeiten und die inhaltlichen Schnittmengen an.

Doch die CSU macht aus ihrem regionalen Problem ein Problem für die ganze Union. Und blendet alle Risiken dabei aus. CDU-Chef Merz hat darauf in seiner Rede geschickt hingewiesen. Er wiederholte seine bekannte Position, wonach mit diesen Grünen keine Zusammenarbeit möglich sei, mit Betonung auf „diesen“. Zugleich machte er die Delegierten darauf aufmerksam, dass es für die Union auch „verdammt schwierig“ werde, wenn als einziger Partner die Sozialdemokraten übrigblieben. Denn wer gebraucht wird, weil andere Türen vorher zugeschlagen wurden, kann den Preis nach oben treiben.

Eine andere Gefahr wird von den CSU-Strategen um Söder übersehen: Das ist der Preis, den die CSU selbst zahlen muss, wenn sie ihre Kraftmeierei nicht durchhält und sich am Ende mit einer Regierung unter Beteiligung der Grünen abfinden muss. Bei der Bundestagswahl sind die Freien Wähler keine wirkliche Bedrohung für die CSU. Aber ein halbes Jahr danach finden in Bayern Kommunalwahlen statt. Für die Freien Wähler, die ihre Basis in den Kommunen haben, sind das die wichtigsten Abstimmungen. Wenn die CSU ihr Versprechen nicht halten kann, könnten die Freien Wähler nicht nur mit dem Verdacht, dass auf die Partei kein Verlass ist, Wahlkampf machen – sondern mit dem vollendeten Wortbruch. Würden sie der CSU damit wichtige kommunale Mandate abnehmen, könnte das für die Landtagswahl zwei Jahre später ein Menetekel sein.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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