Analyse
Erscheinungsdatum: 14. April 2025

Warum der Besuch der deutschen Bürgermeister ein kleines, aber wichtiges Zeichen war

Etliche deutsche Oberbürgermeister reisten in der vergangenen Woche zu einer Städtepartnerschaftskonferenz nach Istanbul. Der Schirmherr ließ ein Grußwort aus dem Gefängnis ausrichten.

Die Lage in der Türkei ist ernst. Die jüngsten Proteste nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu zeigen den starken Wunsch der Bevölkerung nach Demokratie. Politisch ist die Situation jedoch festgefahren. Es ist unwahrscheinlich, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Konkurrenten freilässt, egal wie stark der Druck aus der Bevölkerung wird. Erdoğan sieht dies als seine einzige Karte. Eine Freilassung käme einer Kapitulation gleich.

Während im Inland eine Pattsituation herrscht, richtet sich der Blick ins Ausland. In einem Interview mit dem Spiegel betonte der Parteichef der CHP, Özgür Özel, die Bedeutung des internationalen Drucks: „Erdoğan entscheidet, wer in der Türkei ins Gefängnis kommt, aber andere Staatsoberhäupter der Welt entscheiden, wer freigelassen wird.“ Die EU hält sich bislang zurück. Kommissions-Vizepräsidentin Katarina Barley besuchte die Türkei nur kurz.

Die Gründe für die europäische Zurückhaltung sind vielfältig. Die EU ist abhängig von der Türkei im Rahmen des Migrationsdeals. Zudem positionierte sich Erdoğan als wichtiger Partner in Verhandlungen mit Russland. Die EU muss aufgrund der außenpolitischen Kehrtwende der USA ihre Sicherheitsarchitektur neu denken. Darin spielt die Türkei eine essenzielle Rolle.

In der letzten Woche reisten einige deutsche Politiker in die Türkei. Eine Delegation der Grünen, bestehend aus Felix Banaszak, Terry Reintke und Max Lucks, traf zivilgesellschaftliche Organisationen und Vertreter der CHP, der DEM-Partei und der AKP. Parallel fand der deutsch-türkische Städtepartnerschaftsgipfel statt, der bereits vor der Festnahme İmamoğlus geplant war. İmamoğlu hatte als Präsident des türkischen Städtetages selbst eingeladen. Nach seiner Inhaftierung war unklar, ob die Konferenz stattfinden kann. Der Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte seine Teilnahme nach der Festnahme seines Istanbuler Kollegen ab und sendete nur eine Videobotschaft.

Andere deutsche Oberbürgermeister nahmen die Proteste zum Anlass, mit einem Besuch ihre Solidarität auszudrücken. Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) reiste an, auch Hannovers OB Belit Onay (Grüne) und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) waren da. İmamoğlu selbst schickte eine Grußbotschaft aus dem Gefängnis, auch sein Stellvertreter war vor Ort. Onay sagte im Interview mit Table.Briefings, dass die türkische Regierung ihre hart erarbeitete Machtposition ausspiele. Das merkten auch die Menschen vor Ort. „Deswegen ist jedes Zeichen internationaler Solidarität von immenser Bedeutung, gerade auch die kommunale.“

Die Vielzahl an deutsch-türkischen Städtepartnerschaften, wie Darmstadt und Bursa, Gelsenkirchen und Büyükçekmece, Aalen und Antakya, zeigt die breite Zusammenarbeit beider Länder. Unter dem Stichwort „Urban Diplomacy“ versuchten die deutschen Oberbürgermeister in Istanbul, ihre Verbindungen in die Türkei mit operativen Projekten auszubauen und die demokratischen Strukturen vor Ort zu stärken. Auch das Auswärtige Amt entsandte einen Vertreter.

„Natürlich hat hier niemand die Illusion, dass das ausreicht, um die türkische Regierung zu einem Umdenken zu bewegen“, sagte Bovenschulte im Interview mit Table.Briefings. Dennoch sei der Besuch ein wichtiges Zeichen. Neben dem prominenten Beispiel des Istanbuler Bürgermeisters gibt es viele Kommunalpolitiker, die aus ähnlichen Gründen verhaftet wurden. „Man merkt, wie sehr die türkischen Kollegen unseren Besuch als Unterstützung und Ermutigung wahrnehmen.“

Auch für die türkische Community in Deutschland ist der Besuch ein Zeichen. Diese ist in der İmamoğlu-Frage gespalten, wie die Türkei selbst. In Bremen führt Bovenschulte lebhafte Debatten auch mit dem AKP-Lager: „Man muss diese Diskussionen mit klarem Kompass, aber auch mit der Bereitschaft zum sachlichen Diskutieren führen.“ Es gehe darum, herauszuarbeiten, dass İmamoğlu nicht über dem Gesetz stehe, sondern dass es illegitim sei, dass er inhaftiert wurde, bevor den Vorwürfen nachgegangen sei.

Der Besuch der Oberbürgermeister wird keinen großen politischen Druck auf Erdoğan ausüben. Aber die Visite bringt zum Ausdruck, was viele internationale Akteure sich aufgrund außenpolitischer Zwänge nicht trauen: Nur eine demokratische Türkei ist ein verlässlicher Partner. Bislang waren die Wahlen frei, wenn auch nicht fair. Bleibt İmamoğlu im Gefängnis, ist das nicht mehr der Fall.

Wenn die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei so weit fortgeschritten ist, dass es kein Zurück mehr gibt und Erdoğan seine Macht weiter zementiert, müsste man dann nicht irgendwann die Städtepartnerschaften kündigen? Auf keinen Fall, sagt Hannovers Oberbürgermeister Onay. Gerade auf kommunaler Ebene gibt es eine starke oppositionelle Bewegung. Dort findet ein Wandel statt, der mit unfairen Mitteln unterbunden wird. „Deshalb ist es so wichtig, egal wie es weitergeht, diese Solidarität nicht abbrechen zu lassen“, sagt Onay. „Alles andere würde bedeuten, wir geben die Türkei auf.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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