Die Uhr tickt: Nachdem Sahra Wagenknecht, Amira Mohamed Ali und weitere Mitstreiter aus der Linkspartei ausgetreten sind, gäbe es viele gute Gründe, die neue Partei jetzt bereits zu gründen.
Die Wagenknecht-Partei muss in Versammlungen ihre Wahllisten für die Europawahl am 9. Juni aufstellen, erst anschließend darf sie dann die notwendigen 4.000 Unterstützerunterschriften bundesweit einsammeln. Spätestens am 18. März 2024, 18 Uhr, müssen die vollständigen Unterlagen für die Europawahl beim Bundeswahlleiter eingegangen sein. Würde die Partei am Neujahrstag gegründet, blieben dafür ganze 11 Wochen im Jahr 2024. Keine lange Zeit.
Wenn Sahra Wagenknecht gegen den Finanzkapitalismus wettert, ist sie ganz in ihrem Element. Dann hören ihr Bankiers, Volkswirte und Pressevertreter gleichermaßen zu. Wenn Wagenknecht über Optimierungsstrategien großer Konzerne zur Steuervermeidung, zu Gewinnverschiebungen und ähnlichen Mechanismen spricht, zahlten in der Vergangenheit auch gerne Schweizer Wirtschaftsvereinigungen großzügige Honorare an die einstige Sprecherin der Kommunistischen Plattform der PDS.
Alle Spenden, die einer Wagenknecht-Partei vor dem Jahreswechsel zugehen würden, würden im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung nicht helfen. Denn maßgeblich für die staatliche Parteienfinanzierung in Deutschland ist zum einen das Wahlergebnis, genauer gesagt die letzten Stimmanteile bei Europa-, Bundestags- oder Landtagswahlen. Für die ersten vier Millionen Stimmen gibt es dann einen erhöhten Betrag von einem Euro pro Stimme, danach sind es 0,83 Cent. Es geht also um viel Geld. Doch die Summen sind zudem gedeckelt.
Der Deckel, die sogenannte relative Obergrenze, soll eigentlich die „Verwurzelung von Parteien in der Gesellschaft“ sicherstellen. Parteien sollen nicht mit dem Zweck gegründet werden, die Parteienfinanzierung zu schröpfen. „Nach dem Parteiengesetz ist der relevante Bezugszeitraum für die relative Obergrenze immer das Jahr, das vor dem Jahr liegt, in dem die Partei das erste Mal die Voraussetzungen für die Parteienfinanzierung erfüllt. Also insbesondere entsprechende Wahlerfolge zu verzeichnen hat“, erläutert die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger. „Hat die Partei in dem Jahr noch nicht existiert, weil sie quasi aus dem Stand heraus relevante Wahlerfolge erzielt hat, hätte sie daher nach dem Wortlaut des Gesetzes überhaupt keinen Anspruch aus der Parteienfinanzierung.“
Die Bundestagsverwaltung habe zuletzt in diesen Fällen die relative Obergrenze aufgrund vorläufiger Angaben der Partei über die Einnahmen im Gründungsjahr festgesetzt, erläutert die Parteienrechtlerin Sophia Schönberger: „Das Gründungsjahr wird dann also quasi zweimal für die Berechnung der relativen Obergrenze herangezogen. Das ist rechtlich überaus problematisch, weil diese Praxis keine Stütze im Gesetz hat und darüber hinaus auch intransparent ist, da die vorläufigen Zahlen der Partei, anders als die Rechenschaftsberichte, nicht veröffentlicht werden.“
Die verschobene Gründung der Partei wäre demnach eine Methode, um die Vorschriften über die relative Obergrenze teilweise zu umgehen, meint Schönberger, wenn die Bundestagsverwaltung bei ihrer Praxis bleibe. Wenn die Wagenknecht-Partei 2024 erstmals antritt, kann sie danach maximal so viel staatliche Parteienfinanzierung für ihr Wahlergebnis erhalten, wie sie auch an anderen Einnahmen verbuchen kann. Es braucht also ein starkes Kassenbewusstsein, wenn die Partei stark werden will.
Wäre die Summe an Spenden und anderen Einnahmen 2024 geringer als der Partei nach ihrem Stimmergebnis bei Europawahl und Landtagswahlen zustehen würde, würde auch die staatliche Ergänzungsfinanzierung ab dieser Höhe entfallen. Und das unabhängig vom erzielten Wahlergebnis. Was läge näher, als sich sonst so gern kritisierter, gestalterischer Maßnahmen im Rahmen des rechtlich Zulässigen zu bedienen? Und das maximale Spendenaufkommen 2024 anzustreben?
Denn dann kommt es für die Sahra Wagenknecht-Partei auf jeden Cent an. Denn sobald die Partei erst einmal steht, kann die Wagenknecht-Partei Spendenquittungen ausstellen – mit denen können die Spender anschließend zum Finanzamt gehen und sich bis zur Höchstgrenze von 3.300 Euro jährlich pro Person fast die Hälfte von jedem gespendetem Euro zurückholen. Ein Euro im Jahr 2024 für die Partei zählt also viel mehr als ein Euro, den die Partei im Jahr 2023 erhalten würde. Ein attraktives Modell, für Spender wie Spendenempfänger, für das die Parteigründer in spe auch Risiken einzugehen bereit sind.
Ihr Vehikel, um das Problem des schlechten Spendentimings zu umgehen: Der Verein Bündnis Sahra Wagenknecht, den Wagenknecht und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter gegründet haben. Darunter unter anderem Ralph Suikat, Schatzmeister des Vereins. Selbst erfolgreicher Unternehmer, rechnet der bereits öffentlich vor, wie teuer ein Gründungsparteitag im Januar werde. Und dass es dafür Spenden brauche. Spenden für eine Partei, die es aber noch nicht gibt. Aber den Verein BSW, den gibt es ja schon. Zwar spricht der Verein auf seiner Website von Spenden, die hochwillkommen wären. Aber die sind ausdrücklich steuerlich nicht geltend zu machen. Denn der Verein ist weder gemeinnützig, noch strebt er dies an. Er ist zudem – anders als Parteien es sein müssen – nicht für neue Mitglieder offen.
Der Verein ist in Wahrheit als finanzieller Parkplatz designt: Weil er nicht gemeinnützig ist, könnte er die jetzt eingehenden Spenden im nächsten Jahr an die dann gegründete Partei weiterzuleiten. Zwar ohne Vorteile, wie sie gemeinnützige Vereine oder Parteien Spendern bieten können. Aber entsprechend der Abgabenordnung anerkannt gemeinnützige Vereine dürften das nicht. Und in der Vereinssatzung sind zwei wesentliche Punkte geregelt: dass der Verein Mittel an Parteien weiterleiten kann und dass bei einer Auflösung des Vereins Restmittel einer Partei zufallen können. Ein Zufall ist das alles nicht.
Die Wagenknecht-Partei beginnt ihren politischen Weg also mit politischer Finanzmarktoptimierung. Wenn im Februar 2024 die Festsetzung der Parteienfinanzierung erfolgt, wird sie vorläufig noch leer ausgehen. Was zuerst wie ein Nachteil wirkt, soll später zum Vorteil werden: Die Nochnicht-Partei hofft, maximale Einnahmen zu passenden Wahlergebnissen im kommenden Jahr zu erzielen. Um dann, mit den Geldern aus Parteienfinanzierung ab dem Jahr 2025, im Rahmen des maximal Möglichen vom staatlichen System zu profitieren.
Unlauter ist das nicht. Auch andere Parteien achten bei Spendenkampagnen auf solche Zusammenhänge. Und illegal ist es auch nicht. Zumindest, solange der Vorab-Verein nicht als „Spendenwaschmaschine“ genutzt wird. Verboten etwa wäre es, die Originalspender zu verschleiern. Schon jetzt achtet der Verein sehr bewusst darauf, die nötigen Angaben bei „Spenden“ mit abzufragen. Die Vereins- und Parteigründer haben viel Zeit in diese Fragen gesteckt.
Und das hat gute Gründe, erläutert Sophie Schönberger: „Der Verein ist nicht an das Parteiengesetz gebunden, muss also über die Herkunft seiner Mittel keine Rechenschaft ablegen. Er kann auch solche Gelder annehmen, die eine Partei nicht annehmen dürfte, also etwa Gelder aus dem Nicht-EU-Ausland. Werden die Gelder des Vereins im nächsten Jahr an die Partei weitergeleitet, gelten sie rechtlich als Zuwendungen durch den Verein, sodass nach dem Parteiengesetz auch dann die Originalspender nicht offengelegt werden müssten.“ Ihrer Meinung nach gäbe es gute Gründe dafür, in einer solchen Konstellation die Zuwendungen des Vereins an die Partei „als illegale Strohmannspenden einzuordnen, weil der Verein eben nur als Strohmann eingesetzt wurde, um Gelder einzusammeln, die immer dafür bestimmt waren, später an die Partei weitergeleitet zu werden“.
Würde die Rechtswidrigkeit festgestellt, müsste die neue Partei dann den dreifachen Betrag des Geldes, den sie vom Verein erhält, als Strafzahlung abführen. „Es handelt sich aber um eine neuartige Fallkonstellation, zu der es keine Präzedenzfälle gibt", sagt die Parteifinanzrechtsexpertin. „Die Bundestagsverwaltung ist hier in besonderer Weise gefordert."
Bei der Bundestagsverwaltung macht man sich bereits Gedanken, wie damit umzugehen sein wird: Spenden, die eindeutig für die Partei gedacht ist, sind aus Sicht der Hüter der Parteienfinanzierung grundsätzlich auch wie Parteispenden zu behandeln – die Nachweispflicht obliege den Parteigründern. Was das in der Praxis heißt, ist allerdings noch nicht absehbar.
Ob das finanzoptimierte Vorgehen dem politischen Anspruch einer realkapitalismuskritischen Partei Marke Wagenknecht entspricht, müssen vor allem die potenziellen Wählerinnen und Wähler entscheiden. Sie könnten als Messlatte etwa das „Gründungsmanifest“ des BSW anlegen. In dem heißt es: „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl höher steht als egoistische Interessen und in der nicht Trickser und Spieler gewinnen, sondern diejenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten.“ Eine Parteigründung an der Frage der Parteienfinanzierung entlang zu organisieren, lässt sich – je nach Perspektive – als beides lesen.
In Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2023 soll die Parteienfinanzierung in den kommenden Monaten noch einmal überarbeitet werden. Monatelang berieten Vertreter fast aller Fraktionen dazu. Dass dabei auch die rechtlichen Voraussetzungen für Neuparteien angefasst werden, gilt unter Beteiligten der Gespräche jedoch als weitgehend ausgeschlossen: Damit würde man der Wagenknecht-Partei eine Gelegenheit geben, sich als Opfer der anderen Parteien zu gerieren.