Wenn Ursula von der Leyen am Montag in die Führungsgremien der CDU kommt, dann werden da eine Politikerin und eine Parteispitze aufeinander treffen, die sich eigentlich bestens kennen und doch ziemlich fremd geblieben sind. Seit fast zwei Jahrzehnten halten sie es miteinander aus, haben voneinander profitiert und sind doch nur selten wirklich warm miteinander geworden. Hier die forsche, selbstbewusste und oft bis an den Rand der Illoyalität unabhängige von der Leyen; dort eine CDU, für die manches in der Politik von der Leyens zu schnell und zu eigenwillig geschehen ist.
Die Partei schmückte sich natürlich gerne, wenn von der Leyen im Namen der Partei erfolgreich war; zum Beispiel beim Kita-Ausbau und beim Elterngeld – zwei SPD-Projekte, die von der Leyen 2005 als neue Familienministerin übernahm und durchsetzte. Aber viele Christdemokraten litten und leiden bis heute, wenn sie zu eigenwillig und kühl daherkommt. So geschehen vor Jahren beim strengen Umgang von der Leyens mit ihrer Nachfolgerin Kristina Schröder, als diese gegen und von der Leyen für eine feste Frauenquote kämpften. Oder auch ziemlich aktuell, seit von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin von Brüssel aus für einen mächtigen Green New Deal eintritt. Nicht wenigen ist das zunächst bitter aufgestoßen, auch wenn es Liberaleren in der Partei gefällt.
Und doch wird es in den nächsten Wochen und Monaten um eine Frage nicht gehen: Ob die CDU-Spitze um Friedrich Merz eine Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen und ihre mögliche zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin unterstützen werden. Auch wenn diese Beziehung nicht von politischer Liebe geprägt ist, so wird sie doch von einer überragenden Vernunft getragen. Und das bedeutet: Es ist nahezu ausgeschlossen, dass ihre eigene Partei ihr bei einer Kandidatur in den Rücken fallen könnte.
Und das nicht, weil sich Friedrich Merz und Ursula von der Leyen politisch ganz besonders nahestünden. Gefühlt kommen beide aus sehr unterschiedlichen Ecken der Partei, auch wenn Merz sich immer wieder Mühe gibt, modern zu erscheinen – und von der Leyen in bestimmten Gesellschaftsfragen ein konservativeres Leben führt, als es ihr Image hergibt. Aber eines verbindet die beiden: Sie wollen Politik und Entwicklungen von der Spitze her verändern, auch mal im Sturm stehen und für die eigenen Überzeugungen kämpfen. In dieser Frage waren und sind sie bis heute eher Gegenentwürfe zu Angela Merkel.
Noch wichtiger aber ist bei der Frage, warum die CDU von der Leyen unterstützt, was die Alternative wäre. So schnell nämlich dürfte weder für die CDU noch für Deutschland die Chance noch einmal kommen, erneut fünf Jahre eine deutsche Politikerin an der Spitze der Kommission in Brüssel zu haben. Diese Gelegenheit wiegt vieles, wenn nicht alles von dem auf, was zwischen der Partei und der ehemaligen Bundesministerin stehen könnte. An dem Gefühl, dass sie für die CDU nicht einbindbar ist, dass sie eher zu den unnahbaren Persönlichkeiten zählt und dass sie mindestens in der Klimapolitik den Grünen näher steht als den Christdemokraten, ändert das zwar wenig. Merz und Co wissen das. Trotzdem würden sie ihrer Kandidatur mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht im Weg stehen.
In Brüssel ist die Konstellation zwischen Parteifreunden und Politikerin nicht anders. Auch die christdemokratische Parteienfamilie und insbesondere die deutsche CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament haben ein distanziertes Verhältnis zu der Deutschen. Das wurde schon ganz am Anfang klar, als sie im Sommer 2019 in geheimer Wahl im Europaparlament nur sehr knapp die erforderliche Mehrheit bekam und ihr wohl auch EVP-Abgeordnete die Stimme verweigerten. Im Laufe der Wahlperiode wurde es nicht besser. CDU/CSU-Abgeordnete nehmen ihr Übel, dass sie sich beim Green Deal so demonstrativ wenig für die Forderungen der deutschen Chemie- und Autoindustrie sowie der Landwirtschaft interessierte. Stattdessen kooperierte sie zuweilen mit Grünen.
Und die Beziehung zu Manfred Weber, dem Chef der mit 175 Abgeordneten größten Fraktion im Straßburger Parlament? Auch sie ist kühl geblieben. Da mag bei Weber verletzter Stolz eine Rolle gespielt haben. Der Niederbayer war als siegreicher Spitzenkandidat aus der Europawahl hervorgegangen, wurde aber von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Kommissionspräsident verhindert.
Eine Zeitlang „blinkte“ Weber, seit 2022 auch EVP-Parteichef, sogar gegen von der Leyen, die mit ihm qua Amt im Präsidium der EVP sitzt. Weber brachte die junge und ehrgeizige Parlamentspräsidentin Roberta Metsola als nächste Spitzenkandidatin der Christdemokraten ins Gespräch. Doch damit hatte er sein Blatt wohl überreizt. Sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch Griechenlands Kyriakos Mitsotakis, dienstältester Regierungschef der Christdemokraten und ein „Buddy“ von Weber, pfiffen ihn anschließend öffentlichkeitswirksam zurück. Mehr noch: Sie signalisierten erste Unterstützung für von der Leyen.
Sie selbst gibt in Brüssel nicht zu erkennen, ob sie es noch einmal wissen will und für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht. Die Zurückhaltung aber ist vor allem Kalkül. Sie will möglichst spät Farbe bekennen, sie will weiter ihre Agenda als überparteiliche Kommissionspräsidentin verfolgen. Das Verhältnis zu China, die Handelspolitik mit den USA, die Digitalisierung – vor allem in diesen Fragen will sie noch etwas erreichen, bevor sie die Entscheidung über ihre politische Zukunft öffentlich macht. Sie weiß: Sobald sie öffentlich eine Kandidatur ablehnen würde, wäre sie eine lame duck ohne große Durchsetzungskraft. Sobald sie, was wahrscheinlich ist, ihren Hut in den Ring wirft, wird dagegen alles, was sie sagt, unter dem Aspekt Wahlkampf interpretiert.
Klar ist: Von der Leyen muss sich auf Monate hinaus noch nicht festlegen. Während in Baden-Württemberg schon Mitte Mai die Europa-Liste der CDU gewählt wird, ist von der Leyens Heimatverband Niedersachsen, wo sie sich möglicherweise um eine Kandidatur für das Europaparlament bemühen wird, erst sehr spät im Herbst an der Reihe. All das bedeutet: Fürs Erste kommt sie am Montag ausschließlich in ihrer Rolle als Kommissionspräsidentin in die CDU-Gremien.
Gut möglich, dass die Berliner und Brüsseler Stimmungen dort am Rande diskutiert werden. Auch gut möglich, dass es manch kritische Stimme zum Green Deal gibt. Aber die Chance, mit ihr an wichtigster Stelle in Brüssel eine Ansprechpartnerin zu behalten, dürfte all das überlagern.