Vom Problemfall zum Ost-Favoriten: Die AfD Brandenburg

Während die Brandenburger AfD früher vor allem für Tumult stand, sehen sie heute viele auf Bundesebene als den Vorzeigeverband. Das hat viel mit der Causa Andreas Kalbitz zu tun. Aber auch mit einem neuen Stil einiger einflussreicher Politiker, die sich durchsetzen.

25. August 2024

Ruhe beherrscht den Brandenburger Landtag im August. Kahl wartet der Innenhof des einstigen Preußen-Schlosses auf rare Besuche, die Betreiberinnen des Café-Stands drapieren Löffel auf die wenigen Untertassen, die über die Theke wandern. Im AfD-Flur dringt vereinzeltes Kugelschreiber-Gekritzel aus einem Büroraum, am Rande ein Murmeln über den Wahlkampf. An der Wand zwischen historischen Gemälden ein „Refugees Welcome“-Pfeil in Signalgelb, der als Ziel das Kanzleramt nennt. So ruhig wie jetzt war es selten bei der Brandenburger AfD-Fraktion. Auch nicht zur Sommerpause.

Jahrelang beherbergte sie zwar einige der relevantesten Parteiprominenten, aber auch einen der krawalligsten, radikalsten, der bis in Bundesvorstands-Kreise Kämpfe auslöste. Neben dem Ehrenvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, war das prominenteste AfD-Gesicht Brandenburgs zweifellos Andreas Kalbitz.

Der gebürtige Münchner hat den Brandenburger Verband mit aufgebaut, führte die Partei beim letzten Landtags-Wahlkampf als Spitzenkandidat an und übernahm danach erneut den Fraktionsvorsitz. Er galt als enger Vertrauter von Björn Höcke, als seine „rechte Hand“; die beiden übernahmen nach Gründung der Jungen Alternative federführend die Jugendarbeit der AfD, wo Kalbitz, der frühere Fallschirmjäger der Bundeswehr, junge Parteisoldaten heranzog. Die Macht von Kalbitz in der AfD war ähnlich groß wie die Furcht, die einige vor ihm hatten.

Der lange Abgang von Andreas Kalbitz

An allen Ecken und Enden der AfD kursieren bis heute Erzählungen über unschöne persönliche Erlebnisse mit Kalbitz, dem einstige Weggefährten schweren Alkoholismus und ausgeprägte Gewaltbereitschaft nachsagen. Im Sinne des eigenen Macht-Erhalts unterhielt Kalbitz dem Vernehmen nach Ordner über alle möglichen AfDler, in denen er Informationen sammelte, die er im Zweifel für eigene Zwecke verwenden konnte.

Nachdem seine Vergangenheit bei verbotenen Neonazi-Gruppen bekannt wurde, stimmte der AfD-Bundesvorstand 2020 knapp dafür, Kalbitz die Mitgliedschaft zu entziehen. Die AfD Brandenburg solidarisierte sich mit Kalbitz, stimmte mit überwältigender Mehrheit für seinen Verbleib in der Fraktion, änderte dafür gar die Geschäftsordnung. In die Beziehung zwischen AfD Brandenburg und relevanten Teilen auf Bundesebene trieb die Causa Kalbitz ebenso einen Keil wie innerhalb des Bundesvorstands, wo etwa Alexander Gauland, Tino Chrupalla und Alice Weidel für den Verbleib Kalbitz‘ in der Partei gestimmt hatten – entgegen der Meinung etwa des früheren Bundessprechers Jörg Meuthen.

Nach monatelangem Hin und Her säte Kalbitz auch in Brandenburg weitere Zweifel an seiner charakterlichen Eignung als Spitzenpolitiker, nachdem er den Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion Dennis Hohloch mit einem Faustschlag in den Bauch „begrüßte“; Hohloch kam mit einem Milzriss ins Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft leitete zunächst Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung ein.

Der Weg zur Konsolidierung

Nach und nach verzichtete Kalbitz auf Ämter und Kandidaturen, scheiterte mit zahlreichen Klagen, installierte als Nachfolgerin an der Brandenburger Parteispitze seine frühere Stellvertreterin Birgit Bessin, von der er wieder übernehmen wollte, kriege er erst Mitgliedschaft und Macht zurück. Bessin musste den Vorsitz dieses Frühjahr an René Springer abgegeben. Für den Landtag kandidiert sie erneut, allerdings nicht auf der Liste, sondern als Direktkandidatin im Kreis Oberspreewald-Lausitz.

René Springer gehört einer neuen Generation AfDler an, zählt zu den Mitstreitern von Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz. Sie verbindet keine bestimmte ideologische Haltung, auch wenn sie mit Parteifreunden am äußeren rechten Rand keine Probleme haben. Sie verbindet das klar formulierte Ziel, als moderne rechte Partei professionell aufzutreten und so an die Macht zu streben. Querulanten wie ein Kalbitz würden die Mission behindern; ebenso öffentlich ausgetragener Streit innerhalb der Partei. Der soll wieder hinter den Kulissen stattfinden und aufhören, dem Image zu schaden.

Brandenburgs AfD hat klar definiert, wer wofür zuständig ist; auch, um solchen Streit zu vermeiden. Auch jetzt, im Wahlkampf. René Springer übernimmt ähnliche Aufgaben wie ein Generalsekretär; Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzender Hans-Christoph Berndt soll repräsentieren, ist das Gesicht, das die Brandenburger kennen. Springer wird nachgesagt, dass er immer nach Kompromissen suche; mehr, als das eigene voranzutreiben.

Der Vorzeige-Verband neben Höcke-Land, Machtkämpfen und Erfolgsverwöhntheit

Krieg gibt es gerade kaum mehr. Die letzten Kalbitz-Zuckungen seien noch zu spüren, sagt ein gehobener AfDler aus einem anderen Landesverband mit Blick auf Brandenburg und verweist auf Birgit Bessin. Aber es seien eher die letzten Züge eines längst verlorenen Todeskampfes. Erneut eine Direktkandidatur für den Landtag zu gewinnen, misslang Kalbitz im Frühjahr gleich zwei Mal. Dem nächsten Landtag wird er nicht mehr angehören.

Von mehreren hochrangigen Funktionären auf Bundesebene der AfD ist zu hören, dass Brandenburg der Vorzeige-Verband Ostdeutschlands geworden sei. Thüringen sei „Höcke-Land“ und somit traditionell schwierig; die Sachsen seien zu breitbeinig und arrogant, ließen sich nichts sagen, zeigten sich erfolgsverwöhnt und vergleichsweise schlecht organisiert. In Sachsen-Anhalt kochen die Konflikte gerade hoch, unter anderem wegen eines später dann doch zurückgezogenen Antrags des Parteivorstands, AfD-Direktkandidaturen zur Bundestagswahl 2025 abzuschaffen, um die Landesgruppe kontrollieren zu können. In Mecklenburg-Vorpommern tobt ebenfalls ein Machtkampf. Ein einflussreicher Funktionär sagt, von den drei im September wählenden Verbänden würde er es der AfD in Brandenburg zuallererst wünschen, mitzuregieren; dann der in Thüringen und zuletzt Sachsen.

Brandenburg hat sich weitgehend konsolidiert. Keine Berührungsängste nach Rechtsaußen, aber weniger Streit und Querulantentum. Parteiintern rechnet man damit, bei der Landtagswahl am 22. September mindestens 30 von 44 Direktmandaten zu holen, eher mehr. Manche Leute in der künftigen Fraktion bergen für die Führung noch ein gewisses Überraschungspotenzial. Aber die Kämpfe dürften erstmal ausgefochten sein.

Auch auf Bundesebene hat die Brandenburg-AfD relativ viel Macht und Einfluss. Neben dem nicht mehr besonders präsenten Alexander Gauland und dem etwas isolierten Roman Reusch gehören dem 15-köpfigen Bundesvorstand zwei weitere Brandenburger an: Der parlamentarische Geschäftsführer Dennis Hohloch und Hannes Gnauck, Bundestagsabgeordneter Chef der Jungen Alternativen.

Über René Springer ist von manchem in der Partei zu hören, seine Zeit werde noch kommen, auch auf Bundesebene an die Parteispitze zu streben. Aber erst wenn Alice Weidel keine Lust mehr habe. Sie ist zentraler Bestandteil der Professionalisierungs-Pläne, sei die Gallions-Figur der Partei, eine Wohltat fürs Image. Vorerst ist Springer das Scharnier von Potsdam nach Berlin. Die AfD Brandenburg ist dort inzwischen gern gehört.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025