Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Juni 2025

USA: Wo Politiker der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind

Die Zahl der Opfer politischer Gewalt in den USA steigt. Und die Gewalt nimmt neue Formen an. Attentäter lauern ihren Opfern nicht mehr nur in der Öffentlichkeit auf. Sie dringen auch in die Rückzugsräume der Politiker vor – und sie sparen Familienangehörige nicht aus

Die tödlichen Schüsse auf zwei demokratische Politiker im US-Bundesstaat Minnesota am Samstag sind ein neuer Höhepunkt in der Geschichte der politischen Gewalt in den Vereinigten Staaten. Der mutmaßliche Täter, der 57-jährige Vance Boelter, soll Medienberichten zufolge mit einer umfangreichen Liste potenzieller Ziele losgezogen sein, auf der vor allem die Namen von Volksvertretern und Aktivisten vermerkt waren, die sich für ein liberales Abtreibungsrecht eingesetzt hatten. Darüber hinaus hatte die getötete Melissa Hortmann dafür plädiert, Marihuana für den Freizeitgebrauch zu legalisieren und Arbeitgeber zu verpflichten, bezahlten Krankenurlaub anzubieten. Gouverneur Tim Waltz sprach denn auch von „politisch motivierten Morden". Ein Schock.

Allerdings leider kein völlig überraschender. Nicht nur weil die gesellschaftliche Stimmung aufgeheizt und polarisiert ist wie lange nicht. Politische Gewalt hat in den USA in den vergangenen Jahren eine traurige Renaissance erlebt. Im vergangenen Jahr rettete nur eine glückliche Kopfbewegung Donald Trump vor der Kugel eines Attentäters, ein anderer lauerte ihm nur wenige Wochen später nahe seines Golfclubs in Florida auf.

Schon damals sahen sich Beobachter an die aufgeladene Stimmung der 1970er-Jahre erinnert, in denen Mordversuche, Flugzeugentführungen und Sprengstoffexplosionen fast schon zum Teil des amerikanischen Alltags geworden waren. Auf US-Präsident Gerald Ford, etwa, wurden im Jahr 1975 innerhalb von 17 Tagen gleich zwei Anschläge verübt. Er überlebte beide. Andere Staatsoberhäupter hatten weniger Glück. Vier US-Präsidenten fielen in der Geschichte des Landes Attentätern zum Opfer. Schüsse wurden auf deutlich mehr abgefeuert.

In Erinnerung ist auch das Attentat auf Ronald Reagan 1981. Er wurde im März 1981 von dem psychisch kranken John Hinckley angeschossen, überlebte aber schwer verletzt. Politische Motive gab Hinckley später nicht zu Protokoll. Danach verzeichneten die Historiker 30 Jahre lang keine Attentate mehr auf US-Politiker – auch weil insbesondere für Präsidenten die Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöht wurden.

Bis Anfang 2011 in Tucson/Arizona die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords während einer Bürgerfragestunde niedergeschossen wurde. Sie überlebte schwer verletzt, schied aber ein gutes Jahr später aus gesundheitlichen Gründen aus dem Repräsentantenhaus aus.

Auch die Liste der jüngsten Gewalttaten gegen Politiker und Politikerinnen ist lang. Erst im April hatte ein Antisemit versucht, die Residenz des jüdischen Gouverneurs von Pennsylvania in Brand zu setzen, als er mit seiner Familie zu Hause war. Parteizentralen wurden angegriffen, Angehörige von prominenten Politikern wie der Ehemann der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im eigenen Haus schwer verletzt.

Auch das ist eine Weiterung des klassischen politischen Attentats: Die Täter sparen auch Familienangehörige nicht mehr aus. Mehr noch: Sie dringen in die privaten Rückzugsräume ihrer Opfer vor.Melissa Hortmann und ihr Ehemann wurden in ihrem Haus in Minnesota erschossen. Der mutmaßliche Täter hatte sich zuvor als Polizist ausgegeben. Kurz vor dem Mord am Ehepaar Hortmann hatte der mutmaßlich selbe Täter im nahegelegenen Champlin John Hoffman, einen demokratischen Senator aus dem Parlament des Bundesstaats, und dessen Ehefrau Yvette niedergeschossen und schwer verletzt.

Nicht zuletzt der Sturm aufs Kapitol durch Trump-Anhänger am 6. Januar 2021 zeigt, wie gefährlich politische Gewalt für den Bestand der amerikanischen Demokratie geworden ist. Damals kamen mehrere Menschen ums Leben. Gleichwohl wurden die meisten der Kapitol-Stürmer nach dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus amnestiert.

Es ist ein gefährlicher Mix, der da im Mutterland der Demokratie zusammengekommen ist: Eine massive gesellschaftliche Polarisierung, politische Akteure, die auf gewalttätige Symbole setzen und ein immer noch einfacher Zugang zu Waffen. Die politischen Akteure werden zum Ziel einer verbreiteten Unzufriedenheit. Da ist es fast schon überraschend, dass es nicht häufiger zu Todesopfern kommt. „Wir sind in eine besonders beängstigende Zeit eingetreten, in der man das Gefühl hat, dass die Normen, die Rhetorik und die Regeln, die die Gewalt eindämmen sollten, aufgehoben sind“, so Matt Dallek, ein Politikwissenschaftler an der Georgetown University, der sich mit Extremismus beschäftigt, zur Nachrichtenagentur AP.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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