Analyse
Erscheinungsdatum: 30. Juli 2024

Urteil zum Wahlrecht: Warum sich die Ampel als Gewinner sieht 

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Wahlrechts-Reform der Ampel bestätigt – mit Ausnahme der Mandatsklausel. Das soll die kleinen Parteien stärken. Doch vor allem für die CSU bringt es Nachteile.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird die Ampel voraussichtlich kein überarbeitetes Gesetz zur Wahlrechtsreform in den Bundestag einbringen. Das war am Dienstag aus Koalitionskreisen zu vernehmen. Das Gericht hatte die geplante Abschaffung der Grundmandatsklausel für verfassungswidrig erklärt. Diese hat festgelegt, dass drei gewonnene Direktmandate für den Einzug einer Partei in den Bundestag reichen, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Dies soll dem Urteil zufolge auch künftig gelten – allerdings unter der Voraussetzung, dass diese Direktmandate auch durch die Zweitstimmen gedeckt sind. Dafür hat das Gericht auch einen neuen Begriff erfunden: die „Wahlkreisklausel“.

Grundsätzlich stellt das Gericht dem Parlament frei, sich dafür eine andere Regelung zu überlegen. Führende Vertreter der Ampel sprachen sich jedoch gegen eine Neufassung der Klausel aus. „Das Gericht hat zwar die Möglichkeit eröffnet, dass wir uns neue Gedanken über die Grundmandatsklausel machen könnten. Doch ich warne vor Schnellschüssen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Till Steffen, Table.Briefings. Für eine sorgfältige Prüfung reiche die Zeit nicht. Denn die Venedig-Kommission, die Kommission des Europarats „für Demokratie durch Recht“, gebe vor, dass es ein Jahr vor Wahlen keine Änderungen mehr im Wahlrecht geben solle, und die Bundestagswahl findet Ende September 2025 stat t. „Wir sollten respektieren, dass die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Klarheit für die nächste Bundestagswahl geschaffen hat“, so der frühere Hamburger Justizsenator.

Ähnlich argumentierte die FDP. Lange sei umstritten gewesen, ob die Grundmandatsklausel überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sei. „Hier sorgt das Gericht mit seiner Entscheidung – unter den aktuellen Bedingungen – endlich für Klarheit“, erklärte Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Eine endgültige Entscheidung, ob die Ampel das Thema noch einmal angeht und dazu noch einmal Gespräche mit der Union aufnimmt, soll dem Vernehmen nach allerdings erst in den kommenden Wochen nach intensiveren Beratungen in den Fraktionen fallen.

Zwar zeigten sich sowohl Ampelfraktionen als auch die Union erfreut über das Karlsruher Urteil. Doch die CSU kann als einer der Hauptkläger nur zum Teil zufrieden sein. Weil die Grundmandatsklausel erhalten bleibt, ist weiterhin gesichert, dass die CSU dem Bundestag angehört, denn sie gewinnt in Bayern seit 1949 stets den größten Teil der Direktmandate.

Auf den zweiten Blick ist das Urteil für die CSU aber keineswegs so erfreulich. Denn das Kernstück der Reform, die sogenannte Zweitstimmendeckung, ist vom Verfassungsgericht „glänzend bestätigt worden“, wie Wahlrechtsexperte Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung Table.Briefings sagte. Vehrkamp saß für die Ampel als Sachverständiger in der Wahlrechtskommission des Bundestages. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise direkt gewinnt, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis Mandate zustehen, bleiben künftig die Wahlkreissieger mit den schlechtesten Ergebnissen auf der Strecke.

Für die CSU, die bei der letzten Bundestagswahl mehr Wahlkreise gewonnen hatte, als ihr nach den Zweitstimmen zugestanden hätte, hätte das gravierende Konsequenzen. Gleiches gilt für die CDU in Baden-Württemberg, wo 2017 und 2021 jeweils die meisten Überhangmandate für die Union anfielen.

Die schwächsten Ergebnisse für die CSU erzielen fast immer die Kandidaten aus den bayerischen Großstädten, wo der Kampf um das Direktmandat viel knapper ist als auf dem Land. E s würde auch nicht helfen, städtische Kandidaten auf der Liste abzusichern, weil der Stimmenanteil der CSU in einem solchen Fall allein durch die Direktmandate abgedeckt wird. Weder 2017 noch 2021 haben es CSU-Kandidaten über die Liste in den Bundestag geschafft.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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