Analyse
Erscheinungsdatum: 31. Januar 2023

Uneins beim Blick auf die Welt

Bundespressekonferenz Gemeinsam für globale Ernaehrungssicherheit Deutschlands Beitrag gegen die Hungerkrise Aktuell,24.06.2022 (Bild: IMAGO/Political-Moments)
Der Plan war klar: Die Ampel wollte eine Außen- und Sicherheitspolitik „aus einem Guss“. So hatten es SPD, Grüne und Liberale im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch daraus ist fürs Erste nichts geworden. Stattdessen gibt es vor allem eines: inhaltliche und rhetorische Konflikte über den Blick auf die Weltlage, auf China, auf Afrika, auf Russland.

Es war ein politischer Tritt in die Kniekehle, ein koalitionsinterner Schlag auf den Hinterkopf, den sich der Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth Ende vergangener Woche erlaubte. Auf Twitter kritisierte er einen humorvoll gemeinten, aber in seiner Wirkung verunglückten Tweet des Auswärtigen Amtes, der in Afrika eine Welle der Empörung auslöste. Es ging um den Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Südafrika. Das AA hatte über die Suche nach Leoparden gewitzelt – und damit nicht nur die Debatte um Waffenlieferungen fortgesetzt, sondern ungewollt auch Klischees über Afrika bedient. „Das ist genau das, was wir im Ton zwischen den afrikanischen Staaten und Deutschland ändern wollen“, notierte Flasbarth.

Der Zusammenstoß ist nur der letzte in einer Reihe von kleineren und größeren Konflikten, die so gar nicht zum Anspruch passen, als Bundesregierung in Krisenzeiten mit einer Stimme zu sprechen. Reibereien zwischen einzelnen Ressorts gab und gibt es immer. Zwischen dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium in Energiefragen etwa; zwischen dem Innen- und dem Verteidigungsministerium, wenn es um Elitekräfte geht; und traditionell wird auch zwischen Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium gerangelt, um Zuständigkeiten, Gelder, Hilfsoperationen und politische Strategien.

Doch die Zeit, in der man das noch das übliche Geplänkel nennen könnte, ist vorbei. Knapp 14 Monate ist die Regierung im Amt, und die Frequenz der gegenseitigen Sticheleien hat eine Dichte erfahren, die längst dazu beiträgt, Arbeit und gemeinsame Ziele zu gefährden. Das gilt für die mindestens missverständlichen Äußerungen des Kanzlers und der Außenministerin, wenn es um deutsche Waffenlieferungen geht. Und es gilt fast noch mehr für das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel, Außenpolitik unter einem Dach zu betreiben. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die Notwendigkeit eines gemeinsamen Blicks auf die radikal veränderte Welt zusätzlich gestiegen.

Trotzdem, so scheint es, ist die Regierung dabei nicht vorangekommen. Da ist zum einen das Ringen um eine Nationale Sicherheitsstrategie. Sie soll so etwas „wie ein Dach über alle Strategien“ werden, erklärt ein ranghoher Politiker, der in der Ampel mit allem vertraut ist. Doch das Gegenteil ist passiert. Die Strategie steckt fest, unter anderem weil sich das Kanzleramt eine Art Sicherheitsrat in der Regierungszentrale vorstellt – und das Auswärtige Amt fast schon traditionell mit dieser Teilverlagerung von Einfluss ringt, weil es einen Bedeutungsverlust fürchtet.

Hinzu kommen gleich mehrere Aktionen, die verschiedene Ressorts und das Kanzleramt fast zwangsläufig gegeneinander aufgebracht haben. So ist die neue China-Strategie des Auswärtigen Amtes aus Sicht des Kanzleramts nicht nur viel zu früh gekommen; Olaf Scholz beäugt sie auch kritisch, weil er bei aller Kritik nicht in den offenen Konflikt gehen möchte. Die neue Afrika-Strategie des BMZ wiederum wird im Auswärtigen Amt und bei den Liberalen als Affront und Bruch mit dem Koalitionsvertrag gelesen. Zumal mit dem Thema vertraute Diplomaten darauf verweisen, dass eine Afrika-Strategie ohne dezidierten Blick auf die neue Rolle Russlands keinen Sinn ergebe. Deshalb müsse schlicht die Reihenfolge stimmen: erst Sicherheitsstrategie, dann Afrika- oder China-Strategie.

Umso skeptischer werden ebendiese Diplomaten, seit sie gehört haben, dass das BMZ Ähnliches auch für Südamerika plane. Die Folge: Von der Arbeitsebene hinauf bis zu den Ministerinnen geraten die Protagonisten regelmäßig aneinander. „Es kommt an vielen Stellen zu Konflikten“, sagt einer mit kundigem Blick auf AA und BMZ. Jüngstes Beispiel für die Rangeleien: die Reaktionen auf den Frauen-Bann der Taliban in Afghanistan. Kaum hatten die Taliban das Verdikt an Heiligabend verkündet, nahm Außenstaatssekretär Andreas Michaelis Kontakt zu UN-Organisationen wie UNDP und WFP auf – und zwar ohne Rücksprache mit dem BMZ. Was dort gar nicht gut ankam, weil das BMZ einer der großen UNDP-Geldgeber ist. Aufmerksam wurde dort wiederum registriert, dass die stellvertretende UN-Generalsekretärin Ministerin Baerbock in deutlichen Worten vor einem Stopp der Hilfslieferungen warnte.

Davor hatte es schon in der Frage des Ukraine-Wiederaufbaus geknistert. Das Außenamt wollte sich die Hoheit mit Verweis auf die grundsätzliche Ressort-Verantwortung für humanitäre Hilfe nicht nehmen lassen; das BMZ aber konnte noch aus Vorkriegszeiten exzellente Verbindungen zu einer Reihe ukrainischer Städte vorweisen. Der Kanzler sprach schließlich ein Machtwort, indem er den Staatssekretär im BMZ, Jochen Flasbarth, zum Beauftragten für den Wiederaufbau der Ukraine ernannte.

Überhaupt die personelle Aufstellung. Mit Andreas Michaelis im AA und Flasbarth im BMZ agieren in beiden Ressorts zwei so erfahrene wie selbstbewusste Staatssekretäre. Beide können ziemlich allergisch reagieren, wenn sich der eine in den mutmaßlichen Kompetenzbereich des anderen hinein manövriert, wenn nötige Absprachen ausbleiben oder gar Entscheidungen hinter dem Rücken des anderen eingefädelt werden. Wobei Flasbarth derzeit im Vorteil ist, nachdem Ministerin Baerbock angekündigt hat, ihren wichtigsten Mann im Sommer zum Botschafter in Washington zu machen. Kundige sagen auch, Michaelis sei weggelobt worden.

Ganz neu oder gänzlich ungewöhnlich sind die Konflikte nicht. Sie passen nur so gar nicht zur Zeitenwende. Strukturell liegen beide Häuser, wenn es um internationale Hilfen geht, schon immer über Kreuz. Die humanitäre Hilfe, also die Unterstützung in akuten Notlagen, ist traditionell Geschäft des AA. Längerfristige, strukturelle Hilfe ist Kerngeschäft des BMZ. Dazwischen sind die Grenzen fließend und bisweilen auch nur schwer zu definieren. Die humanitäre Hilfe ist seit jeher spektakulärer, erzeugt die besseren Bilder – und ist deshalb heute mehr denn je auch Instrument von internationaler Politik. Das schafft Begehrlichkeiten – auch im BMZ. Obendrein wurden die Mittel für die humanitäre Hilfe in den vergangenen Jahren stetig erhöht.

Das Kanzleramt als Vermittler fällt weitgehend aus. Mit gewissem Argwohn wird dort der Hang der Außenministerin zu Alleingängen und persönlicher Profilbildung begleitet. Die vorläufige, im AA gefertigte China-Strategie lag, kaum war sie intern und mit schwachem Geheimschutz-Faktor verschickt worden, auf den Schreibtischen der Redaktionen. Das gefiel dem Kanzler gar nicht. Ähnliches ereignete sich mit der Veröffentlichung des Afrika-Konzepts in der vergangenen Woche – auch das kam früher, als es dem Kanzleramt lieb gewesen wäre. Das BMZ rechtfertigte sich mit dem Hinweis, das Konzept sei eine Ministeriums- und keine Regierungsstrategie.

Neu sind die Animositäten zwischen beiden Häusern nicht. In der Regierung Schröder drängte sich die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in den Bundessicherheitsrat – sehr zum Unwillen des damaligen Außenministers Joschka Fischer. Jahre später war die Verärgerung im AA groß, als BMZ-Minister Gerd Müller die Länderliste der Empfängerstaaten von Hilfe neu sortierte, ohne das Amt einzubeziehen. Dessen Diplomaten freilich mussten den Ärger an den Botschaften des Globalen Südens ausbaden. In der zweiten Amtszeit von Müller federte der gelernte AA-Diplomat Martin Jäger als BMZ-Staatssekretär die eine oder andere Ungeschicklichkeit seines Chefs ab. Ihm halfen seine Kontakte ins Außenamt.

Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: „Die deutsche Außenpolitik soll aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen.“ Davon kann derzeit kaum die Rede sein.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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