Analyse
Erscheinungsdatum: 01. Juni 2023

Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner: „Wir brauchen mehr Redlichkeit“

ARCHIV - 15.03.2022, Berlin: Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, spricht bei einer Pressekonferenz zur veröffentlichung der vollständigen Prognose der klimaschädlichen CO2-Emissionen für das Jahr 2021 vom Umweltbundesamt (UBA). (zu "UBA: Feinstaubbelastung durch Holzheizungen so hoch wie durch Verkehr") Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Als Präsident des Umweltbundesamts ist Dirk Messner der oberste Klimaschutz-Berater der Bundesregierung. Ein Gespräch über politische Kommunikation, wissenschaftliche Erkenntnisse und Wunschdenken.

Herr Messner, Sie sind einerseits Wissenschaftler und andererseits Politikberater. Wie blicken Sie auf die klimapolitische Situation in Deutschland?

Ich habe in den letzten 30 Jahren gelernt, dass man als Wissenschaftler, der Politikberatung betreibt, einerseits optimistisch sein muss, andererseits eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringen sollte. Zuletzt lagen Optimismus und Sorge dicht beieinander: 2021 hatte ich für einen Moment das Gefühl, dass sich die Dinge endlich gut entwickeln. Im Koalitionsvertrag wurde vieles zum Regierungsprogramm, was wir bereits 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen zur „Großen Transformation“ vorgeschlagen hatten. Auf EU-Ebene gab es den European Green Deal, in den USA den Machtwechsel zu Biden, auf der Straße demonstrierte Fridays for Future und der BDI hatte in einer eigenen Studie gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2045 funktionieren kann. Da hatte ich ein echtes Glücksmoment.

Und jetzt?

Jetzt scheint vieles davon wieder infrage gestellt zu sein. Vom Geist des Konsenses, den es 2021 gab, ist nicht mehr viel zu spüren. Ich versuche gerade zu sortieren, wie wir die Dinge so organisieren können, dass wir ihn wieder mobilisieren und in eine beschleunigte Transformation übersetzen können.

Woran ist der Konsens denn zerbrochen?

Es gab und gibt eine breite Einigkeit über die Ziele: Klimaneutralität bis 2045. Auch die notwendigen Technologien stehen im Wesentlichen bereit. Probleme gibt es vor allem bei der Frage nach der Gerechtigkeit: Wer muss wann wie viel leisten. Und bei der Geschwindigkeit des Wandels und den richtigen Instrumenten.

Und wie lässt sich das ändern?

Ich verstehe, dass es Kontroversen gibt, wenn in allen Sektoren – von der Automobilbranche über die Chemieindustrie bis zum Gebäudesektor – tiefgreifend umgebaut werden muss. Da geht es um technologische Veränderungspfade, um Kosten und deren Verteilung, aber auch um die Verteidigung von Vergangenheitsinteressen – „rettet den Verbrennermotor“ ist ein Beispiel; wir hatten den Streit um das Ende der Kohlekraftwerke. Es wäre irritierend, wenn das in einer Demokratie nicht debattiert würde. Aber wir brauchen Redlichkeit in der Diskussion. Wenn man sagt, dass man ein Instrument oder einen Technologiepfad nicht angemessen findet, muss man zugleich ausführen, was dann alternativ getan werden sollte. Diese Alternativen müssen im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen - Wunschdenken hilft da nicht weiter. Fusionsreaktoren etwa werden wir in den nächsten Jahrzehnten nicht sehen.

Speziell beim Gebäudeenergiegesetz war zuletzt keine sachliche Diskussion zu erleben, sondern eher eine Desinformationskampagne. Haben Sie das in einer solchen Form schon mal erlebt?

Es gab in der Vergangenheit auch hitzige Diskussionen, etwa beim vergleichsweise kleinteiligen Glühbirnenverbot. Das wurde seinerzeit diskutiert, als stünde das europäische Abendland zur Disposition. Jetzt geht es um einen sehr viel größeren Umbau, entsprechend groß sind Unsicherheiten, Sorgen und Abwehrreflexe. Deutlich wird: Eine Transformation, die niemand bemerkt, wird es nicht geben.

Ein Streitpunkt ist die Frage, wie stark man auf das Heizen mit Holz setzt. Das Wirtschaftsministerium wollte Pelletheizungen nur in Bestandsgebäuden zulassen, doch es gibt Druck, sie weiterhin auch in Neubauten zu erlauben. Was denkt das Umweltbundesamt darüber?

Holz ist kein großer Teil der Lösung, sondern ein sehr kleiner. Aus Klima-Perspektive ist es immer besser, Holz in langlebigen Produkten zu nutzen, also Holz zu einer Kohlenstoffsenke zu machen, als es zu verfeuern. Zudem entstehen etwa 20 Prozent des gesundheitsschädlichen Feinstaubes bei der Verbrennung von Holz, vor allem durch Kaminöfen. Nur nicht mehr nutzbares Restholz sollte zum Heizen genutzt werden, etwa in Pelletheizungen.

Befürworter argumentieren, dass es genug Restholz gibt, das für die Pelletproduktion genutzt werden kann.

Nach unseren Berechnungen ist Restholz ein sehr knappes Gut. Außerdem muss ein Teil davon im Wald verbleiben, damit sich der Boden nachbilden kann. Wir sehen darum keine großen zusätzlichen Mengen, die man verbrennen kann.

Ein weiterer Streitpunkt ist das Heizen mit Wasserstoff. Das Wirtschaftsministerium ist da skeptisch, andere setzen darauf. Was sagt das UBA: Wie viele Menschen werden in Deutschland am Ende mit Wasserstoff heizen?

Das werden sehr wenige sein. Alle unsere Szenarien zeigen, dass wir für die Klimaneutralität große Mengen Wasserstoff brauchen werden. Die werden vor allem in der Industrie benötigt. Wir werden schlicht nicht die Mengen haben, um damit gleichzeitig zu heizen und Fahrzeuge zum Fahren zu bringen. Es ist zudem effizienter, erneuerbaren Strom direkt zu nutzen, als in Wasserstoff umzuwandeln. Dabei verstehe ich, dass die derzeitigen Anbieter von Gas ein Interesse haben, sich Optionen für grünes Gas in allen Sektoren offenzuhalten.

Wie geht man als Wissenschaftler denn damit um, wenn in der politischen Debatte Ideen als Lösung präsentiert werden, die den Fakten widersprechen?

Wir haben als UBA nicht die Aufgabe, die politischen Parteien jeden Tag einem Reality Check auszusetzen. Aber wir weisen in unseren Publikationen, durch Öffentlichkeitsarbeit, bei Veranstaltungen im Parlament oder mit der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft darauf hin, was aus unserer wissenschaftlichen Perspektive die Problemlage ist und wie Problemlösungen aussehen könnten.

Und werden Ihre Angebote von den Parlamentariern aus Ihrer Sicht ausreichend angenommen? Manche Aussagen – etwa zum Heizen mit Wasserstoff – sprechen ja nicht gerade dafür.

Es gibt eine enorme Nachfrage nach dem UBA-Wissen. Aber letztlich ist es nur ein Angebot, und es steht den politischen Akteuren frei, es zu nutzen. Manche tun das mehr, andere weniger.

Bisweilen gibt es auch offenen Streit, etwa über die Studie des UBA zur Klimawirkung eines Tempolimits. Da sprach die FDP von einer Auftragsstudie für die Grünen …

… was nicht stimmt, allein schon weil die Studie noch von der Vorgänger-Regierung in Auftrag gegeben wurde. Selbstverständlich nehme ich Kritik an den Studien des UBA sehr ernst. Nachdem es Kritik aus der FDP gab, habe ich mich sofort mit den Lead-Autoren unserer Studie zusammengesetzt und geschaut, was da dran ist. Schließlich hängt die Reputation des UBA davon ab, dass unsere Studien wissenschaftlich korrekt sind.

Und war das der Fall?

Ja, nach einer erneuten Beschäftigung mit unserer Studie habe ich mich sehr sicher gefühlt. Die Methodik, mit der da gearbeitet wurde, ist sehr solide – ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen, die an der Studie gearbeitet haben. Der Lead-Autor, Markus Friedrich, ist nicht nur ein ausgesprochen renommierter Verkehrswissenschaftler, sondern zugleich Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats von Verkehrsminister Volker Wissing.

Gab es dazu jemals eine Aussprache mit der FDP?

Nein, bisher nicht. Wir würden uns darüber freuen. Aber natürlich gibt es Austausch mit den Liberalen. Mit Lukas Köhler etwa habe ich schon beim „Sustainable Development Network Germany“ zusammengearbeitet. Klimaschutz ist eine gemeinsame Agenda.

Auch andere Institutionen erleben, dass versucht wird, wissenschaftliche Expertise in eine parteipolitische Ecke zu stellen. Forschungsinstitute wie das Öko-Institut oder Thinktanks wie Agora werden plötzlich als grüne Vorfeldorganisationen dargestellt. Wie groß ist der Schaden, der durch ein solches Framing entsteht?

Ich glaube, das wird sich wieder beruhigen. Diese Institutionen wurden ja auch in 16 Jahren Merkel-Regierung immer wieder wegen ihrer ausgewiesenen Expertise nachgefragt.

Sehen Sie hinter diesen Angriffen auf die Wissenschaft eine politische Strategie? Alle Fakten in Frage zu stellen, damit erst mal gar nichts passiert?

Ich sehe nicht, dass von den demokratischen Parteien Zweifel an der Wissenschaft aktiv gesät werden. Was ich kritisiere, ist: Man kann nicht für Klimaneutralität 2045 und den 1,5-Grad-Pfad eintreten, aber dann politische Reformen verweigern, die dahin führen. Wir brauchen eine Verdreifachung der Geschwindigkeit beim Klimaschutz. Es wäre wichtig, dass sich alle demokratischen Parteien redlich hinter die Klimaziele stellen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Wir bräuchten so einen „Whatever-it-takes“-Moment, in dem sich die politisch Verantwortlichen – ähnlich wie in der Finanzkrise – lagerübergreifend zusammenstellen und sagen: Es ist ein schwieriger Prozess und wir werden über viele Details streiten. Aber über das Ziel sind wir einig, und wir werden diesen Weg in den nächsten 15 Jahren gemeinsam gehen. Und wir werden dafür sorgen, dass es sozial gerecht zugeht. Das mag in der momentanen Situation ein bisschen naiv klingen, aber es wäre sehr sinnvoll zu zeigen, dass die Notwendigkeit der Transformation von keiner der demokratischen Parteien infrage gestellt wird.

Wie blicken Sie auf die aktuelle Entwicklung der Klimabewegung? Handelt die immer nach dem Leitspruch „Follow the science“?

Aus meiner Sicht sollte sich „follow the science” nicht auf einzelne Maßnahmen beziehen – da gibt es auch in der Wissenschaft immer unterschiedliche Perspektiven. Aber bei der Beschreibung der Klimakrise selbst, bei der globalen Erwärmung, den Kipppunkten und den wesentlichen Leitplanken der Transformation zur Klimaneutralität muss man das wissenschaftlich gesicherte Wissen akzeptieren – da hat die Klimabewegung völlig recht.

Aber sind die Untergangsszenarien, die etwa die „Letzte Generation“ verbreitet, von der Realität tatsächlich gedeckt – und hilfreich?

Ich selbst fange meine Vorträge auch immer damit an, nochmal zu skizzieren, was auf dem Spiel steht. Ich sage, wie groß das CO₂-Budget ist, das noch mit zwei Grad kompatibel ist, und wie der Zeitrahmen aussieht, in dem wir die Probleme noch lösen können. Ich sage, wo die Kipppunkte sind und dass sie auf uns zu rutschen, was uns in eine äußerst chaotische Welt führen könnte. Wir sind in einer Klimakrise. Aber dabei darf man es nicht belassen. Wir müssen auch zeigen, wie Lösungen konkret aussehen, wie wir sozialen Schieflagen verhindern und wie attraktiv eine klimaneutrale Zukunft sein kann.

Ist der zweite Teil dieser Antwort in der Debatte präsent genug? Manche jungen Menschen wollen wegen der Klimakrise keine Kinder mehr bekommen, weil die wegen der Klimakrise nicht überleben würden.

Ich habe mich mit einzelnen Vertretern der „Letzten Generation“ getroffen. Das waren engagierte, gut informierte junge Leute, die sich auf die demokratischen Institutionen und das Verfassungsgericht bezogen haben – das hat mir ziemlich gut gefallen. Und ihre Sorge kann ich nur unterstreichen: Wir kommen der Krisensituation, vor der wir seit 30 Jahren warnen, immer näher. Ich würde nicht argumentieren, dass man deswegen keine Kinder mehr kriegen kann oder sich auf der Straße festkleben sollte. Aber wir stehen schon an einem zivilisatorisch kritischen Punkt. Wir befinden uns auf einem Pfad zu 2,7 bis 3,5 Grad Temperaturanstieg. Wenn man sich die Kipppunkte anschaut, die jenseits von zwei Grad globaler Erwärmung immer wahrscheinlicher werden, gibt es nicht nur in Bangladesch oder Indien ein Problem, wie viele denken, sondern auch hierzulande. Im Jahr 2200 wäre die menschliche Zivilisation eine ganz andere – das sind nur wenige Generationen von heute.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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