Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Mai 2023

Strompolitik: Notruf aus dem Süden

Der Strompreis spaltet das Land. Obwohl grüne Energie vor allem im Norden entsteht, sind insbesondere die Netzentgelte dort deutlich teurer als im Süden. Nun wehren sich die Nordländer – und die im Süden und Westen fürchten, ins Hintertreffen zu geraten. Jahrelang haben sie den Ausbau der Netze und der Windkraft aktiv verbummelt, nun warnen sie vor den wirtschaftlichen Folgen.

Es war ein unscheinbares Beschlusspapier, unterschrieben von vier Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen, die sich vor der Sitzung des Bundesrates am Freitag zusammen gesetzt hatten. Vier Seiten „zu energie- und industriepolitischen Themen“, wie es eher unscheinbar in der Überschrift hieß. Vier Seiten aber, die offenbarten, dass die Republik energiepolitisch tief gespalten ist: in eine Nordregion, in der an Land und auf dem Meer viel Strom produziert wird, der in Teilen nicht abfließen kann, und in eine Südregion, die hochindustrialisiert ist, zusätzliche Energie bräuchte – den Hochlauf der Energiewende aber verschlafen hat.

So gesehen war es fast ein Hilferuf der sonst so selbstbewussten und kraftstrotzenden Süd-Ministerpräsidenten aus Bayern, Baden-Württemberg, diesmal unterstützt vom Kollegen aus Nordrhein-Westfalen. Es war ein Warnruf vor der drohenden Aufteilung des Landes in unterschiedliche Strompreiszonen. „Die Trennung der Preiszonen hätte schwerwiegende negative Auswirkungen zur Folge“, heißt es in dem Papier. Kleine Märkte seien „ineffizienter als große“. Die Umstellungskosten schadeten nicht nur „dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland“, sie bedeuteten auch „eine strukturelle Benachteiligung für die industriellen Zentren im Süden und Westen Deutschlands“.

Keine Frage, die Süd-MPs sind besorgt. Erst vor einer guten Woche hatten sich die Chefs der fünf Küstenländer in Bremen getroffen und sich nicht nur für einen geförderten Industriestrompreis ausgesprochen, sondern auch für unterschiedliche Preiszonen und schließlich dafür, die Netzentgelte in ihrem Bereich abzusenken. Denn paradoxerweise zahlen Kunden in den windreichen Nordregionen höhere Preise fürs Netz als im Süden der Republik.

So wurden Haushaltskunden in Schleswig-Holstein nach Angaben der Bundesnetzagentur im Jahr 2021 mehr als zehn Cent pro Kilowattstunde berechnet. In Mecklenburg-Vorpommern waren es knapp zehn Cent, in Teilen Niedersachsens auch knapp neun Cent. In Bayern wurden Verbrauchern dagegen nur fünf bis acht Cent/KWh in Rechnung gestellt. Daran hat sich seither nicht viel geändert, und nun werden im Zuge der Energiekrise die Rufe des Nordens nach einer gerechteren Tarifgestaltung lauter.

„Der Norden trägt seit Jahren die Hauptlast der Energiewende“, hatte vor einiger Zeit schon der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) gepoltert. „Wenn ich da lebe oder produziere, wo auch die Energie produziert oder angelandet wird, muss diese Energie dort auch günstiger sein.“

Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) nannte eine Aufteilung in Preiszonen „die logische Konsequenz des energiepolitischen Irrweges“ bayerischer Landesregierungen. Mehr als 15 Jahre lang hätten diese den Ausbau von Stromnetzen und Windkraft sabotiert. Es sei den Menschen im Norden „schlicht nicht mehr zu vermitteln, warum sie die Zeche dafür zahlen müsse n“.

Das sehen auch Experten so. Wie Klaus Kuhn­ke, emeritierter Professor für Erneuerbare Energien der Hochschule Osnabrück. Er sagte vor einem halben Jahr der taz, die Benachteiligung der nördlichen Bundesländer sei „völlig klar ersichtlich“ und „ungerecht – wie man es auch verpackt“.

Der Strompreis ist eine komplizierte Sache. Die Netzentgelte, zu rund 25 Prozent am Endpreis beteiligt, fallen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich aus, was von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Dazu gehören etwa die Zahl der Industriebetriebe, die Bevölkerungsdichte, aber auch die „Integrationskosten der Erneuerbaren Energien". Das wiederum wollen die norddeutschen Länder ändern. Ihr Argument: Es könne nicht sein, dass Länder, die massiv in den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert hätten, die höchsten Strompreise hinzunehmen hätten.

Umgekehrt hätten sich allen voran Bayern und Baden-Württemberg jahrelang durch Zögern, Zaudern und Bremsen hervorgetan. In der Tat war für Horst Seehofer, Markus Söder und Winfried Kretschmann der Transport des Stroms aus dem Norden in den Süden nie von besonderer Wichtigkeit. Im Gegenteil: Vor allem Ministerpräsident Seehofer (CSU) hatte die Trassenführung nach und durch Bayern stets torpediert, gegen angebliche „Monstertrassen“ gewettert und zugleich den Bau von Windrädern in Bayern nahezu verunmöglicht. Nachfolger Söder hatte den Kurs weitgehend übernommen, immer wieder mit Verweis auch auf den Landschaftsschutz. Nicht einmal das zunehmende Grollen der bayrischen Wirtschaft mochte ihn irritieren.

Auch Kollege Winfried Kretschmann in Baden Württemberg und seine Regierungspräsidien hatten lange wenig dafür getan, den Nord-Süd-Stromtransport zu beschleunigen. Und so kam die Windkraft auch in Baden-Württemberg trotz eines Grünen-Ministerpräsidenten lange nicht voran.

Inzwischen jedoch haben die Entscheider in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Hessen und Nordrhein-Westfalen begriffen, dass grüner Strom zu einem Faktor für Standortentscheidungen geworden ist. Dass sich in Brandenburg, Niedersachsen oder auch Schleswig-Holstein eine andere Investitionsdynamik entwickelt hat, als im Süden und Westen der Republik. Und dass dies viel mit dem Ausbau der Windenergie zu tun hat.

Zugleich haben die Nordländer den politischen Druck spürbar erhöht. Und weil auch der Chef der Bundesnetzagentur und der Bundeswirtschaftsminister immer forscher über unterschiedliche Preiszonen räsonieren, treibt nun die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland die Angst um. Die kollektive Botschaft ihrer Repräsentanten am Freitag: Sie wollen keine unterschiedlichen Preiszonen, dafür aber umso eiliger einen schnellen Ausbau der Stromtrassen. Und sie denken plötzlich, da es um Existenzielles geht, nicht mehr in Landesgrenzen, sondern in großen Einheiten.

Die Saarländerin Anke Rehlinger (SPD) sprach von einem „lautstarken Signal, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, auch wenn uns keine Nordsee für Windräder zur Verfügung steht“. Und NRW-Kollege Hendrik Wüst (CDU) sekundierte: „Wer die Industrie im Süden und Westen schwächt, schwächt den gesamten Standort Deutschland.“ Den größten Nachholbedarf hat jedoch Markus Söder (CSU). Umso kräftiger legte er sich am Freitag ins Zeug. Es dürfe keine unterschiedliche Preiszonen geben: „Es kann nicht sein, dass der Strom im Süden teurer und im Norden billiger ist.“ Das führe letztlich zu einer Abwanderung der Wirtschaft aus ganz Deutschland. Auch die Produktion von Wasserstoff sei im übrigen nicht nur ein Privileg des Nordens: „Wir brauchen überall den Ausbau von Wasserstoff und Wasserstoff-Infrastruktur.“

Wozu es wiederum Strom braucht. Viel Strom.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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