Analyse | Strategien der AfD
Erscheinungsdatum: 07. Juli 2025

Sachsen-Anhalt: AfD pokert mit großem Versprechen

Die AfD verbreitet, dass sie in Sachsen-Anhalt nach der Wahl im September 2026 erstmals regieren wird, sogar alleine. Nach außen gibt man sich geschlossen, intern rangelt man um mögliche Posten. In Berliner Spitzenkreisen blickt man nicht nur glücklich nach Magdeburg.

Mehr als drei Stunden wühlen sich Ermittler am Dienstagmorgen durch den Magdeburger Landtag. Für eine Razzia rücken sie an, gegen CDU, AfD und SPD. Protokolle, Arbeitsverträge, USB-Sticks beschlagnahmen sie. SPD- und CDU-Fraktion sind in der Sommerpause. Die AfD eigentlich auch, nur eine Dienstbesprechung lässt Fraktionschef Oliver Kirchner und andere an diesem heißen Sommertag hinter die bürgerlich-barocke Steinfassade auf dem Magdeburger Domplatz treten. Ein Durchsuchungsbeschluss, der Table.Briefings vorliegt, listet mehr als ein Dutzend Räume der Fraktion auf, zur Durchforstung für Ermittler.

Kirchner steht unter Untreue-Verdacht, soll Zahlungen an frühere Fraktionsvizechefs veranlasst haben. Er ist vor Ort, außerdem Justiziar Laurens Nothdurft – früher HDJ-Führungsfigur, heute Parteimitglied, obwohl die HDJ auf der Unvereinbarkeitsliste steht. Nothdurft und Kirchner handeln schnell, die Fraktion händigte das Material freiwillig aus. Hinterher feiert die AfD Sachsen-Anhalt sich dafür, dass Ermittler nur bei CDU und SPD durchsucht hätten. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen und weisen die Vorwürfe der Untreue entschieden zurück“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Patrick Harr Table.Briefings.

Die AfD Sachsen-Anhalt hat denkbar selbstbewusst ihren Kurs gen September 2026 eingeschlagen. Nicht nur mit-, sondern gleich allein zu regieren, das kündigen die Gesichter des Landesverbands an. Mit gut 30 Prozent deuten Umfragen derzeit zwar nicht darauf hin, zur Bundestagswahl holte die AfD in Sachsen-Anhalt aber gut 37 Prozent, und das trotz vorheriger Skandale: Unter anderem hatte der Bundesvorstand intervenieren müssen, weil der Landesvorstand keine Direktmandate zulassen wollte – damit hätte er die eigenen Leute auf der Liste abgesichert, statt Plätze an andere aus den Kreisverbänden zu verlieren.

Absolute Geschlossenheit gibt es nur nach außen. Zwar erzählt Landeschef Martin Reichardt gern, dass „kein Blatt“ dazwischen passe in der Fraktion „und auch im Landesvorstand“: „Es wird ganz, ganz wenig oder keine Energie für irgendwelche Kämpfe nach innen verwendet“, sagte er Ende Mai am Rande des Parteitags. Der Blick hinter die Kulissen zeichnet ein anderes Bild. Nach dem Abgang von André Poggenburg 2018 war es der Parteiführung zwar sukzessive gelungen, ihre Wogen zu glätten. Über Jahre hielt eine selbsternannte „Pokerrunde“ den Landesverband im Griff. Der gehörten sieben von vierzehn Kreisverbänden an, mit denen die Mehrheit im Vorstand quasi gewiss war. Die Zeiten sind vorbei.

Machtgerangel stören die Einigkeit. Die Pokerrunde hält dem Vernehmen nach nicht mehr dicht, Informationen dringen nach außen. Im Frühjahr entledigte sich der Landesverband seines prominenten Generalsekretärs Jan-Wenzel Schmidt, der auch im Bundestag sitzt. Er soll erheblichen Einfluss auf die Runde gehabt haben. Nach Informationen von Table.Briefings soll das interne Gerangel um mögliche Ministerposten im Falle einer Regierung längst begonnen haben. Die Beliebtheit des Spitzenkandidaten Ulrich Siegmund soll allerhand Neid auslösen. Skandale wie seine Teilnahme am Treffen in der Villa Adlon bei Potsdam interessierten eher außerhalb der AfD; intern gilt er in Sachsen-Anhalt als „everybody’s darling“, als „Schwiegermutter-Typ“ – was andere nervt. Auch andere Landesvorstände sind der festen Überzeugung, dass ein Ministeramt ihnen gut stünde; intern kursieren schon Listen mit Aufteilungen, sowohl im Falle einer Allein- als auch einer gemeinsamen Regierung mit der CDU.

Spitzenkandidat Ulrich Siegmund
Ulrich Siegmund (dpa | Heiko Rebsch)

Berlin blickt kritisch nach Magdeburg. In Spitzenkreisen ist die Rede mitunter von inhaltlicher Leere und Plumpheit. Die Fraktion habe während der laufenden Legislatur nicht geglänzt, ein Spitzenkandidat könne klüger sein als Siegmund. Konstruktive Positionen ließe der Verband vermissen, falle stattdessen mit stramm-rechter Dogmatik auf: Einen „Stolz-Pass“ will die Partei etwa einführen, eine Art Stempelkarte mit historischen Stätten nach Empfehlung der AfD. In Verbindung mit dem Slogan „#deutschdenken“ soll Sachsen-Anhalt zum „Sehnsuchtsort aller deutschen Patrioten“ werden. 

Ideengeber ist der Vize-Landeschef. Hans-Thomas Tillschneider war schon bei Pegida in Dresden gern gesehen, wo er als erster AfD-Mandatsträger auf der Bühne sprach. Tillschneider ist eng mit dem Vorfeld vernetzt: Im Haus der Identitäten Bewegung in Halle unterhielt er einst sein Abgeordnetenbüro, Aktionen von Götz Kubitschek unterstützt er regelmäßig, mit Compact-Gründer Jürgen Elsässer gründete er nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine einen Verein für Frieden und Freundschaft mit Russland. Von engen Kreml-Kontakten sprechen viele in der AfD.

Tillschneider gilt innerhalb des Verbands als vergleichsweise klug und denkbar radikal. Dem Vernehmen nach hält man auch an ihm fest, weil er als Mehrheitsbeschaffer eine wichtige Rolle übernimmt. Für die engere Vernetzung des Landes mit relevanten Bundes-AfDlern, die für einen der Allgemeinheit besser vermittelbaren Kurs werben, stellt er eher ein Hindernis dar. Andere Parteien hätten ihnen „inhaltlich, politisch“ nichts entgegenzusetzen, tönt Siegmund – die AfD sei „voller Innovation“. Aus Berliner Sicht passen die Positionen des Verbands nicht ganz zu seinen Worten.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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