Mehrere Anläufe und schmerzhafte Stolperer – Friedrich Merz widerfuhr es in der Vergangenheit immer wieder, dass auf forsche Ankündigungen ganz andere Entwicklungen folgten. So gesehen passt es ins Bild, dass sich das auch an seinem politisch wichtigsten Tag, dem Tag der Wahl zum Kanzler, wiederholte. Niederlage im ersten Wahlgang – das hat es vor ihm noch nicht gegeben. Und das nicht mal einen Tag, nachdem er sich seiner Mehrheit noch überaus sicher fühlte.
Der 6. Mai 2025 wird aber nicht nur Merz als Makel anhaften. Es ist für viele ein Tag des Misstrauens und des Missmanagements geworden. Achtzehn Abgeordnete aus der eigenen Koalition haben ihm zunächst die Unterstützung verweigert; das ist eine kritische Masse, sollte sich das Klima im Regierungsbündnis nicht aufhellen. Hinzu kam ein Mangel an Vorbereitung, der alle in Parlament und außerhalb überrascht hat. Offenkundig hatten die Spitzen von Union und SPD eine solche Situation nicht für möglich gehalten. Und das, obwohl es wie immer nach der Verkündung der Kabinettsliste Verwundete und Beleidigte gegeben hat. Prompt gab es Verdächtigungen und Schuldzuweisungen. Das entstandene Misstrauen ist das Gefährlichste, das die neue Koalition mindestens in die ersten Monate begleiten dürfte.
Auch die Bundestagsverwaltung traf das Scheitern von Merz unvorbereitet. Die Ratlosigkeit der Verwaltungsspitze war sicht- und greifbar, als sie das Ergebnis des ersten Wahlgangs erreichte. Parlamentspräsident Julia Klöckner hatte Bundestagsdirektor Michael Schäfer (SPD) unmittelbar nach ihrem Start sein schnelles Ausscheiden angekündigt. Und auch, weil mittlerweile feststeht, dass Schäfer als Staatssekretär ins BMAS wechselt, könnte es sein, dass er nicht mehr die allergrößte Leidenschaft an den Tag legte. Sein Nachfolger, Paul Göttke (CDU), ist zwar benannt, aber noch nicht vom Präsidium des Bundestages gewählt. Das sollte erst an diesem Mittwoch stattfinden. Auch der Ältestenrat sah sich nicht in der Verantwortung, einen Plan B vorzudenken. So fahndeten die Hausjuristen des Parlaments nach dem ersten Wahlgang in aller Eile nach den Voraussetzungen für eine zweite Abstimmung. Am Ende dauerte es Stunden, bis man sich auf das Procedere und einen schnellen zweiten Wahlgang einigte.
Juristisch ist es ein Fall, wie es ihn noch nie gab. Das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestags regeln den Fall eigentlich. Aber diese Vorschriften kamen noch nie zum Zuge und so herrschte zunächst maximale Verwirrung. Viele Abgeordnete gingen davon aus, dass der zweite Wahlgang sofort stattfinden könne. Von Fristen ist in Artikel 63 des Grundgesetzes nicht die Rede: „Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.“
Die Details regelt allerdings die Geschäftsordnung. Und dort heißt es in Paragraf 78, dass ein solcher Vorschlag frühestens am dritten Tag nach Verteilung der entsprechenden Drucksache beraten werden dürfe. Demnach wäre ein zweiter Wahlgang nicht vor Freitag möglich gewesen. Einziger Ausweg: eine Fristverkürzungen – aber nur, sofern sich eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag darauf verständigt. Und um die wurde stundenlang gerungen.
Der Grund : Die neue Koalition brauchte neben den Grünen auch die Linke; andernfalls hätte es nicht gereicht. Und so ereilte Merz am Tag seiner Wahl eine weitere neue Realität. Die Unionsspitze musste zustimmen, gemeinsam mit den Linken einen Antrag für die Fristverkürzung entwerfen und beschließen. Anders ausgedrückt: Der Unvereinbarkeitsbeschluss, 2018 mit Verve auf einem Parteitag beschlossen, wurde zur Rettung der Lage kurzerhand über den Haufen geworfen. So ändern sich die Zeiten.