Analyse
Erscheinungsdatum: 25. März 2024

Staatsjurist zu Cannabis-Streit im Bundesrat: „Die Stimme des Regierungschefs ist maßgeblich“

Michael Kretschmer und Dietmar Woidke haben ihre Kenia-Partner am Freitag verärgert, weil sie im Bundesrat für einen Vermittlungsausschuss zum Cannabis-Gesetz stimmten. Der Verfassungsjurist Christian Pestalozza ordnet die Folgen ein.

Michael Kretschmer und Dietmar Woidke haben im Bundesrat gegen die Koalitionsverträge ihrer Kenia-Bündnisse verstoßen, indem sie für den Einsatz des Vermittlungsausschusses beim Cannabis-Gesetz gestimmt haben. Die Koalitionsverträge würden im Falle der Uneinigkeit Enthaltung verlangen. Was folgt aus dem Vertragsbruch?

Rechtlich folgt daraus – ganz trocken gesagt – gar nichts. Wen wollen Sie denn bestrafen? Parteien schließen Koalitionsverträge, aber Parteien brechen sie nicht – sondern Regierungsmitglieder. Aus einem solchen Verstoß können allenfalls politische Konsequenzen folgen.

Und Streit mit den Koalitionären. Worin sehen Sie als Verfassungsrechtler den Wert des Koalitionsvertrags?

Solche Vereinbarungen sind zulässig und sinnvoll. Die Gesprächspartner müssen feststellen, ob sie sich auf eine Schnittmenge einigen wollen. Das ist alles vernünftig und gesellschaftlich modern: „Wir verständigen uns trotz der Differenzen auf bestimmte Vorhaben für die Legislaturperiode.“

Und was bedeutet es für die Stimmen Sachsens und Brandenburgs im Bundesrat?

Wenn der Regierungschef „A“ sich als Stimmführer festlegt, ist es egal, wenn ein weiteres Regierungsmitglied „B“ sagt. Ich würde dazu neigen, dass die Stimme des Regierungschefs maßgeblich ist – außer er lässt sich vertreten. Das Land stimmt in der Position des Chefs ab. Diese Fragen sind juristisch sehr interessant und Antworten darauf bislang nirgends niedergeschrieben. Juristen legen das verschieden aus.

Würde das dem Regierungschef nicht erlauben, sich ständig selbst durchzusetzen und gegen den Koalitionsvertrag zu verstoßen?

Dann kann der kleinere Partner die politische Konsequenz eines Austritts ziehen.

Auch Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig hat Sachsens Stimme für ungültig erklärt.

Das ist ziemlich kurz gegriffen, auch wenn man es lieber landesintern hätte klären sollen. Die Stimme des Regierungschefs ist maßgeblich.

Einige haben Kretschmer vorgeworfen, seine Rede zum Cannabis-Gesetz für den Wahlkampf genutzt zu haben. Und tatsächlich wählen beide Länder, deren Ministerpräsidenten gegen Koalitionsverträge verstießen, im September.

Selbst wenn man wirklich eine Wahlkampfnutzung in dieser Abstimmung identifizieren würde, könnte man nur in einem ähnlichen Umfang agieren wie im Bundestag.

Ab wann sähen Sie denn einen Missbrauch der Institution?

Wenn ein Ministerpräsident im Bundesrat wie auf dem Marktplatz spricht, missbraucht er die Institution. Dann könnte die Bundesratspräsidentin Ordnungsrufe erteilen, im äußersten Fall vielleicht ein Ordnungsgeld verhängen. Aber der Übergang ist fließend. Mitunter hatte man auch in Brandenburgs Kenia-Bündnis seit Jahren das Gefühl, die Koalitionspartner befänden sich im Wahlkampf, so offen, wie sie ihren Streit ausgetragen haben.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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