Analyse
Erscheinungsdatum: 26. September 2023

SPD: Der Verzweiflung nah

Auftaktbilder zur Fraktionssitzung der SPD Aktuell, 14.03.2023, Berlin, Bundeskanzler Olaf Scholz und Dr. Rolf Muetzenich beim Haende schuetteln im Vorfeld der Fraktionssitzung des Deutschen Bundestag der SPD Bundestagsfraktion im Reichstagsgebaeude Berlin Berlin Deutschland *** Prelude pictures to the parliamentary group meeting of the SPD current, 14 03 2023, Berlin, Chancellor Olaf Scholz and Dr Rolf Muetzenich shaking hands in the run-up to the parliamentary group meeting of the German Bundestag of the SPD parliamentary group in the Reichstag building Berlin Berlin Germany

Es rumort in der SPD-Bundestagsfraktion. Schlechte Umfragewerte, ein absehbar verkleinertes Parlament und ein Kanzler, der seine Ampelregierung nur noch mühsam zusammenhält: keine fröhliche Perspektive für Kandidatenaufstellung und Bundestagswahl 2025. Das Gegrummel wird lauter, die Kritik am Regierungsauftritt hörbarer.

Der Fraktionschef wurde deutlich. Vielleicht auch, weil der Kanzler weit entfernt bei der UN-Vollversammlung weilte. „Das will ich nie mehr haben! So kann man mit mir und der Fraktion nicht umgehen!“, rief Rolf Mützenich vor einer Woche in der Sitzung der SPD-Bundestagsabgeordneten. Ein Heizungsgesetz, wie es zuletzt den Bundestag passierte, werde es „kein zweites Mal geben“. Wer Mützenich kennt, den sonst eher zurückhaltenden Vormann der SPD-Abgeordneten, ahnt, es war eine für seine Verhältnisse emotionale Aufwallung.

Vielleicht wollte er präventiv die Unruhe in seiner Fraktion auffangen. Vielleicht war er verärgert über die Kampfkandidaturen für die Vorstandswahlen seiner Fraktion. Vielleicht wollte er auch der allgemeinen Stimmung Ausdruck verleihen. Vor allem aber wollte er wohl ein Zeichen setzen. Ein deutliches Signal, dass er und seine Fraktion nicht gewillt sind, den politischen Stil der ersten Hälfte der Legislaturperiode weiter klaglos zu begleiten. Nicht länger Reparaturbetrieb einer Regierung sein, die mehr mit sich selbst ringt, als ihr Fortschrittsversprechen zu realisieren. An diesem Dienstag ergänzte er noch einmal, Olaf Scholz unmittelbar neben sich. Die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Fraktion sei „verbesserungswürdig“. Und: „Der Informationsfluss muss besser werden." Beifall für den Fraktionschef.

Denn es läuft nicht rund in der Koalition. Und bei aller Loyalität, Mützenich hat wenig Scheu, es ungeschönt zu benennen: „Die Spitzen der Koalition haben kein gutes Bild abgegeben in den letzten Monaten“, befand er kürzlich in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Umfragen unterfüttern den Eindruck. Das Vertrauen der Deutschen in die Ampelregierung ist auf einen Tiefststand abgesunken, wie Allensbach in der vergangenen Woche analysierte. Nur noch 30 Prozent attestieren der Koalition den Willen zur Erneuerung, nur 41 Prozent glauben, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiv ist. In der Sonntagsfrage sind die Umfragewerte im Keller, und die Abgeordneten bekommen den Zorn in ihren Wahlkreisen direkt und unmittelbar zu spüren. Bei ihren Veranstaltungen, an den Infoständen, aber auch von den eigenen Mitgliedern. Von „Endzeitblues“ ist die Rede, „es herrscht Verzweiflung“, bekennt ein erfahrener Genosse.

Die Abgeordneten werden gereizter, weil sie eine Regierung verteidigen sollen, die keinen gemeinsamen Nenner mehr findet. Natürlich denken sie bereits an die Wahl 2025, ahnen, dass die SPD keine 25,7 Prozent mehr holen wird wie 2021, und wissen natürlich, dass in einen deutlich verkleinerten Bundestag auch weniger Genossen einziehen werden. So hatte Mützenichs Ansage drei Adressaten: Die eigenen Abgeordneten mit dem Hinweis – ich verstehe euch, mir geht es doch genau so. Die Regierung, die genau so aus dem Sommer heraus startet, wie sie hineingestolpert ist. Es dürfte aber auch ein direkter Hinweis an den Kanzler gewesen sein: Olaf, so kann es nicht weiter gehen!

Was die Abgeordneten nervt: Die kurzfristig, teilweise schlampig formulierten Gesetzentwürfe, die den Bundestag erreichen. Weil sich die Minister nicht einig sind, weil Gesetze mit Vorbehalten anderer Ressorts das Kabinett verlassen, weil bei vielen Projekten hoher Zeitdruck herrscht. Zu Anhörungen wird mit minimalem Vorlauf eingeladen, die Verbände haben kaum Zeit, sich mit den Vorlagen zu befassen und entsprechend zu positionieren.

Der Zeitdruck hatte sich zuletzt zwar auch in den Alltag der Großen Koalition eingeschlichen, doch für viele Abgeordnete der Ampel ist das Maß inzwischen voll. Und in der Sache gab es nicht viele, die dem CDU-Mann Thomas Heilmann in der Sache widersprochen hätten, als der kurz vor der Sommerpause das Bundesverfassungsgericht anrief, um das Heizungsgesetz zu stoppen. Mit Erfolg, wie man weiß. „Da kommen die Vorlagen aus dem Kabinett – und dann sollen wir auf Zuruf die Scherben zusammen kehren“, sagt einer aus der SPD-Fraktionsführung.

Auch beim Haushalt soll es jetzt wieder so sein. Der Finanzminister, mit unpräzisen Vorlagen unterstützt von der Mehrzahl der Ressorts, hat den Haushältern der Ampel ein Paket vorgelegt, das sie so nie und nimmer passieren lassen werden. Unfertig, mit kleinen Sprengsätzen und versteckten Finten. Etwa den Kürzungen bei politischer Bildung und Hilfen für Integration. Oder der vorgezogenen Anhebung der Mehrwertsteuer auf Gas.

Dabei sollte doch alles anders werden.

Die Führungsleute der Koalition und allen voran der Kanzler hatten sich fest vorgenommen, anders aus dem Sommer herauszustarten, als sie hineinmäandert waren. Bei der Klausur Ende August wollten sie das noch einmal bekräftigen. Ein Signal des Anpacken sollte das Treffen in Meseberg werden.

Doch dann befand Christian Lindner eher beiläufig: „Wir sind halt so, bei uns läuft es geräuschvoller und nicht ohne Disput.“ Vielleicht hätte das dem Kanzler eine Warnung sein sollen. Denn schon am Morgen danach zitierte die Bild-Zeitung den FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, „eine weitere Umverteilung“ könne es nicht mehr geben, nach der Kindergrundsicherung müsse Schluss sein mit Sozialreformen. Und noch einen weiteren Tag später forderte FDP-Fraktionschef Christian Dürr, die drei im Frühjahr abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz zu bringen.

Auch der Kanzler, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt, war irritiert. „Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd“, beendete er die Debatte ungewöhnlich deutlich.

So hadern sie in der SPD-Fraktion. Über die FDP, die das Gestalten aufgegeben habe, die Grünen als „Sicherheitsrisiko“ für Deutschland bezeichnet und sich in die Rolle der Opposition in der Regierung gefalle, nicht selten unterstützt vom Kanzler. Und sie klagen über die Grünen, die im Regieren nicht mehr geübt seien und viel Zeit für innerparteiliche Klärungen benötigten. Dass Familienministerin Lisa Paus entgegen der Absprachen dem Finanzminister bei der Kindergrundsicherung ein Veto entgegenschleuderte, ohne Robert Habeck einzubeziehen, wird auf SPD-Seite wiederum als grobes Foul gegenüber dem eigenen Vizekanzler verstanden.

Und es wird nicht besser werden. 15 Gesetzentwürfe erreichten in der vergangenen Woche den Bundestag, gingen in die erste Lesung, alle sollen, begleitet von den entsprechenden Beratungen, vor Weihnachten noch das Parlament passieren. Hinzu kommt ein Haushalt, der wegen der Sparzwänge so kompliziert werden wird wie lange nicht. Und weil der Finanzminister nur grobe Eckdaten hinterlegt hatte, bleibt die Feinarbeit auch hier dem Parlament, respektive dem Haushaltsausschuss, überlassen. „Der Finanzminister macht seinen Job nicht“, heißt es unter führenden SPD-Fraktionsleuten.

Denn klar ist: Zwar hat die Regierung 64 Prozent ihrer Vorhaben im Koalitionsvertrag abgearbeitet, wie die Bertelsmann-Stiftung und das Progressive Zentrum soeben analysiert haben; aber es bleibt auch nur noch ein gutes Jahr, um den längst lädierten Eindruck aufzuhübschen. Vorhaben, die bis Ende kommenden Jahres den Bundestag nicht passiert haben, haben kaum noch eine Chance, ins Gesetzblatt zu gelangen.

Und der Kanzler? Die Genossen stützen ihn in der Außenpolitik. In seiner Vorsicht im Ukraine-Krieg, in seiner Aufmerksamkeit gegenüber dem Globalen Süden. Aber in der Gesellschafts- und Innenpolitik wächst die Ungeduld. Und die Sehnsucht. Nach weniger Schiedsrichter-Rolle, nach mehr Abstand zur FDP, mehr sozialdemokratischer Handschrift, mehr Orientierung. Viele nennen es auch Führung.

Noch verbindet Scholz, den pragmatischen Sozialdemokraten, viel mit Christian Lindner, den alerten liberalen Anführer. Etwa, den Klimaschutz nicht zu übertreiben, die Schuldenbremse möglichst einzuhalten, die begrenzten Kapazitäten Deutschlands in der Migrationsfrage und nicht zuletzt die gemeinsame Erfahrung im Finanzministerium. Auch der Gedanke, die Haushaltsmittel im Jahr 2024 zusammenzuhalten, um dann im Wahljahr 2025 wieder Spielräume zu haben, verbindet die beiden. Zwei Jahre lang ist der Kanzler sehr pfleglich mit seinem Kassenminister umgegangen, hat ihn ganz offenkundig nachsichtiger behandelt als so manchen grünen Kabinettskollegen.

Doch darauf sollte sich der Finanzminister nicht länger verlassen. Dass die Liberalen ihr Rollenverhalten innerhalb der Regierung partout nicht korrigieren wollen, hat Olaf Scholz dann doch irritiert. Gut möglich, dass die Hinweise an die Liberalen nach den Landtagswahlen deutlicher werden. Auch öffentlich.

Denn da gibt es noch einen Termin, den die Sozialdemokraten im Auge haben: den Parteitag Anfang Dezember. Dort wird gewählt, dort wird Bilanz gezogen, dort wird gegebenenfalls auch abgerechnet.

Die beiden Parteivorsitzenden und ihre Stellvertreter mit Regierungsamt, Klara Geywitz und Hubertus Heil, wissen das genau. Eine Woche vorher wird der Haushalt im Bundestag verabschiedet. Eine Fortsetzung des Koalitionsgerumpels, begleitet von harten Sparoperationen bliebe beim Parteitag – auch für ihre Stimmergebnisse – nicht ohne Folgen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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