Nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim durch einen mutmaßlichen Islamisten flammt die Diskussion über den Umgang mit dem politischen Islam wieder auf. Dazu gehört auch die Sorge der Bundesregierung vor islamistischen Angriffen während der Fußball-Europameisterschaft. Aus diesem Anlass hat Olaf Scholz für Mittwoch eine Regierungserklärung angekündigt, die Union verzichtet dafür auf eine aktuelle Stunde zum Thema. Schon am Dienstag wollen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Innenminister aus NRW, Herbert Reul (CDU) in Berlin vor die Presse gehen.
„ Wir müssen davon ausgehen, dass es eine große Gefahr im islamistischen Bereich gibt, auch für Anschläge“, sagte Reul Table.Briefings vorab. Es gebe ein „abstrakt hohes Bedrohungspotenzial“. Anzeichen für einen konkreten Fall gebe es aber nicht. Die Polizei bereite sich gründlich auf das Turnier vor, was Technik und Informationsaustausch betreffe. Man müsse mittelfristig aber dringend darüber nachdenken, „ob wir Polizei und Verfassungsschutz die Informationen, die sie brauchen, auch zubilligen“, sagte Reul. Gemeint sind vor allem Ermittlungsmethoden im digitalen Raum wie Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung.
Nach Darstellung Reuls ist die Sicherheitslage in diesem Jahr nicht vergleichbar mit 2006, dem Jahr der WM in Deutschland. Im Visier der Behörden ist insbesondere der Islamische Staat Provinz Khorasan (ISPK), der für den Anschlag auf eine Konzerthalle in Moskau mit mehr als 140 Toten verantwortlich gemacht wird. In den sozialen Medien kursieren Fotocollagen, die die Sicherheitsbehörden der Terrorgruppe zuschreiben, etwa Abbildungen mit den Worten „Wo willst Du es tun? Berlin, Dortmund, München – dann schieß das letzte Tor“.
Für die Sicherheitsbehörden ist die EM eine Herausforderung. Die Bundespolizei hat für die Zeit 12-Stunden-Schichten eingeführt und eine Urlaubssperre verhängt, jeden Tag sollen für die Sicherheit 22.000 Polizeikräfte im Einsatz sein. Zu dem Mord in Mannheim sagte Reul: „Ich glaube, die Messerfrage muss neu und intensiver diskutiert werden.“ Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind Messerangriffe zwischen 2022 auf 2023 von 7.071 auf 8.160 gestiegen. Allerdings ist bei der Zahl Vorsicht geboten, das BKA erhebt sie erst seit 2020 als Information zu einem Fall.
In der Ampel-Koalition deutet sich nach dem Mord eine härtere Gangart gegenüber dem politischen Islam an, ausgelöst von der Aussage des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne), der bei X „eine ehrliche Debatte über die Gefahren von Islamismus – ohne Naivität, ohne Scheuklappen, ohne doppelte Standards“ angeregt hatte.
Der ehemalige religionspolitische Sprecher der Grünen Volker Beck räumt Versäumnisse ein. „Wir alle wollen muslimische Zuwanderer und ihre Nachfahren integrieren, aber haben dabei oft die islamistischen Gefahren einiger Gruppen übersehen“, sagte Beck Table.Briefings. Beck saß von 1994 bis 2017 im Bundestag und führt seit 2022 die Deutsch-Israelische Gesellschaft.
Beck ist Teilnehmer der Islamkonferenz und sagt, das Gremium müsse reformiert werden. „Wir brauchen einen neuen Umgang mit den vermeintlichen Religionsgemeinschaften, die in Wahrheit politische Institutionen sind, wie etwa die Muslimbrüder, die DITIB, die Grauen Wölfe, die Islamische Gemeinschaft der Schiiten.“ In der Konferenz müssten endlich die „Konfliktthemen“ auf den Tisch. Dazu zählt Beck den Umgang des Islams mit der LGBTQ-Community, den Frauen oder den Juden, den Grundlagen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.