Analyse
Erscheinungsdatum: 05. Dezember 2024

Söder und Merz streiten über Habeck: Warum die Union auch in diesem Wahlkampf ein labiles Gebilde ist 

Nach Merz' Auftritt bei Maischberger droht die Union an ihrer Uneinigkeit über die Frage zu zerreiben, ob man gegebenenfalls mit den Grünen koalieren würde – wieder einmal.

Sollte Friedrich Merz geglaubt haben, dass er als Kanzlerkandidat die Oberhoheit über Kurs und Kernbotschaften der Union hat, dann muss er gerade lernen, wie sehr er sich getäuscht hat. Der Union droht knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl ein offener Konflikt um die Frage, ob sie – wenn nötig – auch mit Robert Habeck und den Grünen koalieren würde. Markus Söder hat mit einem wohlinszenierten Video-Auftritt aus seinem Dienstwagen gezeigt, was Merz am liebsten ignoriert hätte: dass der CSU-Chef für den Kanzlerkandidaten unbeherrschbar bleiben wird. Merz kann nur auf Söders Loyalität hoffen. Disziplinieren kann er ihn nicht.

Auslöser des Ganzen war ein Merz-Auftritt in der Talkshow Maischberger am Mittwochabend. Dort hatte er erklärt, dass es mit ihm in der Wirtschaftspolitik einen umfassenden Kurswechsel geben werde, ganz gleich, ob nun mit Habeck oder ohne. Binnen Minuten wurde in den Sozialen Medien daraus gemacht, dass Merz sich auch künftig einen Wirtschaftsminister Habeck vorstellen könnte. Und manche lasen darin sogar die Botschaft, er strebe das an. Gemeint hatte Merz das so gerade nicht. Aber der Schwung der Erregung war nicht mehr zu stoppen. Und Söder in München war nicht mehr zu halten. Quasi im Morgengrauen meldete sich der CSU-Chef in einem Videotelefonat mit Bild zu Wort und erklärte mit grimmigem Gesicht: „Mit der CSU gibt’s kein Schwarz-Grün, keinen Robert Habeck als Wirtschaftsminister.“

Ist das der Auftakt zu einer neuen Unions-Fehde wie bei der Bundestagswahl 2021? „Nein, noch nicht“, heißt es bei prominenten und Söder-erfahrenen Christdemokraten. Aber alle spüren: Weit ist die Union davon nicht mehr entfernt. Aus diesem Grund bemühen sie sich, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Weder aus dem Merz-Umfeld noch aus der Bundestagsfraktion wollte jemand offen Söders jüngste Attacke kommentieren. Alle in der CDU spüren, dass sie den CSU-Mann gar nicht bremsen können. Das könnte allenfalls die CSU.

Einer, der das weiß, ist Horst Seehofer. Und der meldete sich am Donnerstag zu Wort. Er habe die Attacke seines Nachfolgers „mit Sorge“ wahrgenommen. Die Union stehe derzeit in den Umfragen gut da. „Die einzige Gefahr ist Uneinigkeit“, sagte Seehofer zu Table.Briefings. Und er fügte hinzu: „Ich hoffe, dass das ein Ausreißer war.“ Merz sei der Kanzlerkandidat der Union und habe damit das Recht, den Kurs zu bestimmen. Die Union habe „ein einziges Ziel“ – und das sei der Gewinn der Bundestagswahl. „Dem muss sich alles unterordnen“, forderte Seehofer. Ausdrücklich lobte Seehofer die Strategie von Merz als „klug“, im Gegensatz zu Söder ein Bündnis mit den Grünen nicht von vornherein auszuschließen. „Demokraten müssen mit allen Demokraten prinzipiell koalitionsfähig sein“, so der Ex-Ministerpräsident.

Dass Söder Merz derart in die Parade fährt, speist sich aus seiner Sorge vor den Freien Wählern – und aus einem neuen Gefühl der Stärke. Nach einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks von Ende November liegt die CSU in Bayern gegenwärtig bei 45 Prozent – so gut wie seit Jahren nicht. Zu hören ist allerdings, dass die Mehrheit der CSU-Abgeordneten näher bei Merz als bei Söder stünde. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass Landesgruppenchef Alexander Dobrindt – keineswegs ein enger Söder-Gefolgsmann – bei Fortsetzung des Konfliktkurses nicht doch irgendwann eine Kraftprobe mit Söder suchen könnte.

Dafür gibt es sogar ein historisches Vorbild. Als Franz Josef Strauß im Herbst 1982 nach dem Bruch der sozial-liberalen Koalition auf sofortige Neuwahlen drängte, um damit die FDP unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken, stellte sich die CSU-Landesgruppe gegen ihn und folgte der Linie von Helmut Kohl für einen Neuwahltermin erst im März 1983. Sollte Söder so wie vor drei Jahren dauerhaft auf Konfliktkurs zur Schwesterpartei gehen, muss er mit offenem Widerstand aus der eigenen Partei rechnen. „Dann gibt es Ärger in der CSU“, sagte ein prominentes Vorstandsmitglied. Rückendeckung erhielt Söder gleichwohl vom CSU-Fraktionschef im Landtag, Klaus Holetschek. Er berichtet nach dem Merz-Auftritt von „sehr, sehr kritischen Rückmeldungen“ von Unternehmern, vor allem aus dem Mittelstand. Übereinstimmender Tenor: Nochmal mit Habeck als Wirtschaftsminister – das gehe gar nicht.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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