Analyse
Erscheinungsdatum: 09. Januar 2025

Scholz und Trump: Warum die Provokationen des Amerikaners die Wahlkampf-Chancen des Kanzlers erhöhen könnten 

Am 20. Januar zieht Donald Trump ins Weiße Haus ein. Sowohl Olaf Scholz als auch Friedrich Merz müssen sich fragen, wie viel sie sich gefallen lassen – und wann sie dagegenhalten.

Kein Tag mehr ohne Donald Trump und seine Provokationen. Mal will er Grönland annektieren, mal die Europäer zu immer höheren Verteidigungsausgaben von fünf Prozent des BIP zwingen. Noch sind es elf Tage bis zur Amtseinführung des neuen alten US-Präsidenten. Aber von Kopenhagen bis Paris, von Kyjiw bis Berlin fragen sich Präsidenten und Regierungschefs, was auf sie zukommen wird, wenn der 79-Jährige erneut ins Weiße Haus eingezogen ist. Die Frage stellt sich für die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, für Donald Tusk und Emmanuel Macron. Aber je lauter Trump wird, desto mehr stellt sie sich auch für Olaf Scholz und Friedrich Merz. Beide wollen Kanzler werden, beide müssen sich fragen, wie viel sie sich gefallen lassen – und wann sie dagegenhalten.

Und da lässt sich eines schon erkennen: Scholz hat als Kanzler einen ersten Schritt getan, der ihm als Wahlkämpfer immer besser gefallen könnte. Er hat am Mittwoch so etwas wie die europäische Führungsrolle im Abwehren Trump’scher Provokationen übernommen. Einseitige Grenzverschiebungen seien für Europa inakzeptabel, sagte Scholz als Reaktion auf die Grönland-Ambitionen aus Washington, nachdem er sich zuvor mit Tusk, Macron, Frederiksen, aber auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Ratspräsident António Costa kurzgeschlossen hatte.

Die Dauerattacken aus den USA machen es möglich, dass Scholz in eine Rolle schlüpft, die er in den letzten drei Jahren nicht unbedingt prioritär behandelt hatte: die des Staatsmannes, der das demokratische Europa verteidigt. Eine Rolle, die nicht nur SPD-Sympathisanten längst von ihm erwartet hatten. Im Willy-Brandt-Haus, wo jede Wahlkampfchance präzise vermessen wird, bleibt man zwar noch zurückhaltend. Zumal man auch in der SPD-Zentrale weiß, dass auf Dauer kein Weg an belastbaren Kontakten auch zur Trump-Administration vorbeiführt.

So empfiehlt der Parteichef seiner Partei und seinem Kanzler, die Gespräche mit dem künftigen US-Präsidenten zu suchen. „Es muss an jeder Stelle das Gespräch gesucht werden, egal ob uns der Mann im Weißen Haus gefällt oder nicht“, sagte Lars Klingbeil im Podcast Table.Today, der am Samstagmorgen veröffentlicht wird. Deutschland brauche ein gutes transatlantisches Verhältnis. Die jüngsten Forderungen Trumps etwa zu Grönland seien allerdings „besorgniserregend“. Da müsse es auch eine „klare europäische Antwort geben“.

Und genau diese klare Haltung könnte dem Kanzler im Wahlkampf auch helfen, analysiert mancher Wahlkämpfer in der SPD-Führung. Zumal der wichtigste Konkurrent Merz sich mit harten Linien noch schwertut. Als er am Mittwoch auf die Fünf-Prozent-Forderung von Trump angesprochen wurde, bemühte er sich, das kleinzureden. Bislang hoffte der Kanzlerkandidat der Union, dass er mit seinen US-Erfahrungen und seiner Ausstrahlung als Wirtschaftsexperte einen besseren Draht zu Trump herstellen könnte. Doch je garstiger Trump wird und je provozierender auch dessen Freund Elon Musk die AfD unterstützt, desto schwerer wird es Merz fallen, darauf noch zu hoffen.

Prompt werden bei SPD und Union Erinnerungen an den Wahlkampf 2002 wach. Damals hatte sich Gerhard Schröder der Aufforderung von George W. Bush widersetzt, sich am Irak-Krieg zu beteiligen. Für die SPD hatte sein „Nein“ seinerzeit mehrere Effekte: Die ökonomischen Probleme rückten in den Hintergrund. Außerdem schaffte es Schröder, zweifelnde SPD-Anhänger zu mobilisieren – nicht zuletzt ältere Frauen, die schon 1998 maßgeblich zu Schröders Wahlsieg beigetragen hatten. Schröder gewann schließlich knapp gegen Edmund Stoiber. Die Union hatte anders als Schröder keine klare Antwort auf Bush gefunden. Deshalb werden Merz und seine Leute schon ahnen, dass da sehr schnell was auf sie zukommen könnte.

Immerhin: Der Streit um Grönland entschärfte sich am Donnerstag ein klein wenig. Der Grund: Die Grönländer haben Trump eine verstärkte Zusammenarbeit angeboten. Die Bedeutung der größten Insel der Welt darf weder wirtschaftlich noch militärisch unterschätzt werden. Sie ist reich an Bodenschätzen wie Öl und Uran. Internationale Konzerne und die Regierungen großer Mächte wie China konkurrieren darum. Doch die Arktis ist auch militärisch für die Nato und Russland von großer Bedeutung. Besonders Moskau baut seine Militärpräsenz in der Region aus. Welche Herausforderungen für den Westen entstehen, lesen Sie im Security.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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