Analyse
Erscheinungsdatum: 02. Dezember 2024

Scholz und Merz: Warum das Verhältnis zu Polen ein Wahlkampf-Thema ist

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind ein Bereich, in dem Friedrich Merz punkten möchte. Olaf Scholz hat ihn zuletzt vernachlässigt.

Krieg und Frieden, Autobranche und Wirtschaftskrise, Rente und Sozialstaat – Wahlkampf-Themen gibt es längst. Aber im Schatten dieser Baustellen schlummert ein Thema, das für Europa und für Berlin wichtiger wird: das Verhältnis zu Polen. Obwohl nicht mehr die deutschlandfeindliche PiS, sondern der deutschlandfreundliche Donald Tusk in Warschau regiert, sind die Beziehungen mäßig bis schlecht. Olaf Scholz trägt dafür erheblich Verantwortung, Friedrich Merz will das ändern. Der Grund ist einfach: Merz sieht in Polen einen wichtigen Partner für die Zukunft Europas. Scholz dagegen hat in seiner Amtszeit wenig dafür getan, Warschau auch nur ansatzweise dieses Gefühl zu vermitteln.

Umso mehr setzt Merz darauf. Eigentlich hatte der Oppositionsführer die feste Absicht, vor der Bundestagswahl nach Polen zu reisen, um Premier Tusk zu treffen. Dem Vernehmen nach signalisierte der Ministerpräsident aber, dass das aktuell nicht passe. Gründe wurden offiziell nicht genannt. Doch hinter den Kulissen haben die Polen längst so etwas wie Entwarnung gegeben. Es gehe nicht um ein Desinteresse, erst recht nicht an Merz. Aber vor der Präsidentschaftswahl im kommenden Mai will Tusk der nationalkonservativen PiS keine Gelegenheit geben, die antideutschen Ressentiments im Land zu befeuern.

Das führt bei Merz und Co nicht zu Verstimmung; Tusk erntet im Gegenteil Verständnis bei den Christdemokraten. Sie sind bemüht, das deutsch-polnische Verhältnis auf ein neues Level zu heben. Nicht umsonst haben sich die Vorsitzenden der Unions-Landtagsfraktionen vor kurzem in Warschau getroffen. Auch sie verbindet ein Ziel: Sie wollen das Weimarer Dreieck, die Allianz Frankreich-Deutschland-Polen, neu beleben. Das Trio habe „großes Potenzial, als starkes europäisches Kraftzentrum voranzugehen“, hieß es hinterher bei den Unionsleuten. Auch Merz wird seinen Termin bekommen – nur später. Denn bei Tusk werden die Christdemokraten mit offenen Armen empfangen.

Tusk erhofft sich von der Union neue Impulse für das deutsch-polnische Verhältnis – und mehr Zusammenarbeit beim Kampf um ein starkes Europa. Von Scholz dagegen ist er enttäuscht, wie polnische Außenpolitiker offen bekennen. Zwar kennen sich beide lange, doch ein persönliches Verhältnis, um Klippen auch mal auf kleinem Dienstweg zu umschiffen, entstand nie. Selbst die polnisch-deutschen Regierungskonsultationen im Juli, die ersten nach sechs Jahren Pause, liefen eher geschäftsmäßig ab. Also sucht Tusk neue Verbündete, auch weil er sich im Kreis der rechtsnational regierten Visegrád-Staaten nicht sonderlich wohl fühlt.

Inzwischen hat die Warschauer Regierung diese Partner gefunden. Tusk nahm eben erst am Gipfeltreffen der NB-8-Staaten teil, einem Zusammenschluss der fünf skandinavischen und drei baltischen Staaten. Anders als Scholz war auch Emmanuel Macron dabei – per Videoschalte. Es ging nicht zuletzt um die Kontrolle der Ostsee, zu deren Anrainern auch Deutschland gehört. Dass Macron dabei war, Scholz aber nicht, war ein deutliches Zeichen in Richtung Berlin. Zumal, nachdem Scholz Tusk umgekehrt im Oktober nicht zum Vierergipfel mit Macron Joe Biden und Keir Starmer eingeladen hatte, bei dem die Unterstützung für die Ukraine im Mittelpunkt stand. In Warschau empfand man das als unfreundlichen Akt, schließlich ist Polen fast so etwas wie Frontstaat und hat militärisch wie zivil mit die höchsten Lasten des Konflikts zu tragen.

Scholz hat in den drei Jahren seiner Amtszeit insgesamt außenpolitisch wenig Spuren hinterlassen. Das Verhältnis zu Macron ist so kühl wie zu Tusk, in Richtung Nordeuropa so geschäftsmäßig wie zu den Mittelmeer-Ländern, und auch in Brüssel hat die Bundesregierung – nicht zuletzt wegen innerer Uneinigkeit – wenig Eindruck hinterlassen. Außerdem hat er auch rund um die Trump-Wahl nicht die Initiative ergriffen, um mit den wichtigsten Europäern, Macron, Starmer und Tusk, schnell über Folgen und nötige Antworten zu beraten. Insofern ist der Teppich für Merz und seine Union ausgelegt, sollten sie die Wahl gewinnen. Von Ende Mai an dürfte sich Tusks Terminkalender weit öffnen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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