Analyse
Erscheinungsdatum: 24. Juni 2024

Schicksalsjahr: Warum Union und AfD auf das Jahr 2029 starren 

Was passiert, wenn auch die nächste Regierung nicht liefert, was sich die meisten Menschen erhoffen? In der Union wächst die Sorge vor dem Szenario, in der AfD setzen sie drauf. Und wann entscheidet sich das? Wahrscheinlich 2029.

Natürlich schaut das politische Berlin auf die aktuellen Haushaltskämpfe, die bevorstehenden Landtagswahlen im Osten und auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr. In zwei Parteien aber rückt schon jetzt ein ganz anderes Jahr in den Blick. Insbesondere die Nachdenklicheren in der CDU und die aktuell besonders Selbstbewussten in der AfD haben damit begonnen, bei allem das Jahr 2029 mitzudenken. Viele Christdemokraten ahnen, dass es das Schicksalsjahr für die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik werden könnte. Viele AfD-Strategen setzen darauf, dass sie in diesem Jahr an die Macht kommen könnten.

Begonnen hat es mit Wolfgang Schäuble. Er hat in einer Art Vermächtnis im November 2023 in der Fraktion eine Rede gehalten. In Reaktion auf das Verfassungsgerichtsurteil zum Haushalt der Ampel hatte Schäuble zwei Botschaften in petto. Erstens: Seid Euch im Klaren, dass es schnell gehen könnte. Und zweitens: Seid Euch im Klaren, was das bedeutet. Aus Schäubles Sicht hieß es: Auf Euch wird eine entscheidende Verantwortung lasten. Wenn Ihr es nicht hinkriegt, ist die demokratische Mitte in Deutschland gescheitert. Viele in der Union haben inzwischen verstanden, was da auf sie zukommen könnte.

Einer, den das exemplarisch für die ganze Partei umtreibt, ist Ralph Brinkhaus. „ Die nächste Bundesregierung, egal in welcher Zusammensetzung, muss erfolgreich sein“, sagte Brinkhaus Table-Briefings. „Es ist viel Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Politik und Staat kaputtgegangen. Wir müssen deswegen in der nächsten Legislaturperiode das Ruder herumreißen.“ Ansonsten werde die Bundestagswahl 2029 nicht mehr zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb entschieden, sondern zwischen Demokraten auf der einen Seite und Populisten und Extremisten auf der anderen Seite. „Reformen in homöopathischen Dosen oder gar eine Restauration der 90er Jahre werden dafür nicht reichen“, so Brinkhaus. „Wir brauchen einen echten ‚Neustart‘ ohne Tabus und Denkverbote.“

Selbst Friedrich Merz, dem Parteichef und möglichen Kanzlerkandidaten, wird immer bewusster, dass ihm das bei aller Schärfe der Oppositionsarbeit im Augenblick der Regierungsarbeit viel abverlangen wird, darunter auch komplizierte Kompromisse. Sei es nun eine reformierte (nicht abgeschaffte!) Schuldenbremse; seien es besondere Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine, sollte in den USA tatsächlich Donald Trump noch einmal Präsident werden. Merz weiß: Wer als Nächstes Kanzler wird, hat es mit einer Weltlage zu tun, die gefährlicher kaum sein könnte. Und er muss trotzdem liefern.

Auch die AfD visiert 2029 an, allerdings mit ganz anderen Hoffnungen. Während manche Landesverbände wie die in Sachsen davon träumen, schon nach den kommenden Landtagswahlen so stark zu sein, dass sie den Ministerpräsidenten stellen könnten, konzentriert sich die Berliner AfD-Spitze auf das Jahr 2029. Sie ahnt, dass es im Jahr 2025 insbesondere im Bund noch nichts wird, hofft aber auf eine weitere Abnutzung der liberalen Mitte. Aus diesem Grund ist sie längst dabei, sich nicht mehr mit der Rolle der Opposition am rechtsradikalen Rand abzugeben. Über kurz oder lang will sie auch auf Bundesebene mitregieren. Dass dafür eine strukturelle Änderung notwendig ist, weiß man bei der AfD. Wie die je nach Parteikreis aussehen soll, lesen Sie in der Analyse von Franziska Klemenz.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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