Analyse
Erscheinungsdatum: 17. Oktober 2024

Sachsens Start in eine neue Welt: CDU-SPD-BSW-Bündnis nimmt Form an 

In Sachsen haben sich Union, SPD und BSW angenähert. Das zeigen ein Ergebnispapier ihrer ersten Gespräche und Aussagen aus Verhandlerkreisen. Das könnte auch daran liegen, dass Sahra Wagenknecht nicht mitverhandelt hat.

Schneller als gedacht beginnt in Sachsen eine neue Zeitrechnung. Die Tatsache, dass sich sächsische Union, BSW und SPD auf tiefergehende Verhandlungen geeinigt haben, zeigt die Entschlossenheit aller Beteiligten, der AfD gemeinsam entgegenzutreten. Obwohl sie teilweise aus sehr unterschiedlichen Ursprüngen kommen, nähern sich die drei Parteien einem Bündnis immer mehr an. Und zwar mit der Überzeugung, dass es für die Probleme vor Ort Lösungen geben kann, in denen sich alle drei Parteien wiederfinden. Zwar werden in einem sogenannten Ergebnispapier auch strittige Punkte genannt. Trotzdem ist der bereits jetzt erreichte Status für Sachsen und für Deutschland ein historischer Einschnitt.

Michael Kretschmers Ansinnen, im Zweifel mit dem BSW zu koalieren, war im Wahlkampf spürbar und wurde am Wahlabend besiegelt: Eine andere Mehrheit gibt es ohne die AfD nicht mehr in Sachsen. Am Tag danach hat sich die Mehrheit des CDU-Landesvorstands gegen eine Kooperation mit der AfD ausgesprochen, auch wenn Einzelnen die „Altstalinisten und Sozialisten“ des BSW ein größerer Graus sind als die mindestens in Teilen rechtsextreme AfD.

Aus Verhandlungskreisen der CDU heißt es dazu heute: In der kommunistischen Plattform sei Sahra Wagenknecht gewesen, nicht das Verhandlungsteam des BSW. Und Wagenknecht sei nicht ein einziges Mal bei den konkreten Gesprächen vor Ort dabei gewesen, weder in Sachsen noch in Thüringen. Der Bündnisname sei für das BSW Fluch und Segen zugleich: Er habe einerseits beim Erfolg geholfen, aber schüre auch Misstrauen.

Gleichwohl haben die CDU-Vertreter die BSW-Verhandler als vernünftig wahrgenommen; nur über die interne Einigkeit sei man unsicher. Sabine Zimmermann sei sozialpolitisch geprägt, während beim Co-Vorsitzenden Jörg Scheibe trotz SED-Vergangenheit eher die Unternehmersicht durchdringe. Während die Sondierungsgespräche mit Grünen und SPD vor fünf Jahren rasch begannen, wollte man sich diesmal nicht unter Zeitdruck setzen lassen.

Bis zu den Herbstferien, so heißt es, habe man sich zum lockeren Kennenlernen getroffen. Erst einzeln, dann zweimal im Dreier-Team. In dieser Woche dann, Montag bis Mittwoch, wurde es inhaltlich konkret. Von der CDU sind neben Kretschmer der Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann mit seinen beiden Vizes dabei gewesen; außerdem Noch-Bildungsminister Christian Piwarz und der künftige Staatskanzleichef Conrad Clemens – beide werden als potenzielle Kretschmer-Nachfolger gehandelt, in ein paar Jahren.

SPD und BSW haben das Ergebnis des Kennenlernens ihren Landesvorständen am Donnerstag vorgestellt. Die CDU wird das am Freitag tun. Danach will die CDU ihre Mitglieder in Kreisversammlungen einzeln überzeugen. Friedrich Merz rede nicht in die Verhandlungen rein, heißt es in Sachsen. Das würde Kretschmer aber auch nicht akzeptieren. Umgekehrt hatte Merz jüngst gelobt, wie gut er in die Gespräche eingebunden sei. Bislang gibt es zwischen Berlin und Dresden an der Stelle offenbar wenig Probleme.

Forderungen nach einer Minderheitsregierung, wie sie von manchem CDU-Bundesvorstandsmitglied geäußert wurden, lehnt Kretschmer strikt ab. Die Folge wäre dann nämlich nicht ein leichteres Regieren, sondern über kurz oder lang eine Kooperation mit der AfD, die Kretschmer vehement ablehnt. Sollte es zu einer finalen Einigung mit SPD und BSW kommen, wird ohnehin ein Landesparteitag entscheiden. Die CDU aber rechnet mit diesem nicht mehr im November; viel wahrscheinlicher ist ein Termin im Dezember oder Januar.

Die besonders heikle Frage, wie ein mögliches Bündnis mit der umstrittenen BSW-Forderung nach sofortigen Friedensgesprächen in der Ukraine umgehen würde, findet sich nur in der Präambel des Papiers. Dort heißt es, die Menschen in Sachsen erwarteten zu Recht, dass die Politik konkrete Antworten auf die drängendsten Fragen der Zeit gebe. „Dabei geht es um die Wahrung des Friedens in Europa, die Sicherung unseres Wohlstands und die Gestaltung des strukturellen Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine.“ Was sich an der Stelle nicht finden: die Klimakrise und die Anforderungen, die sich daraus ableiten.

Das Papier durchziehen Themen, bei denen man sich geeinigt hat, über die man weitersprechen wird und die strittig bleiben. So gibt es ein breites Verständnis bei Migrationsthemen, aber Fragen wie „der konsequente Einsatz von Sachleistungen“ für Asylbewerber oder der Ausbau einer „Bürgerpolizei“ bleiben umstritten. Dies zu erwähnen könnte darauf hindeuten, dass sich in einer abschließenden Einigung auch Bereiche finden werden, auf die man sich nicht einigen konnte. Nicht als Grund für ein Scheitern, sondern als Transparenzmachung, wo trotz einer Zusammenarbeit Unterschiede bleiben.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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