Analyse
Erscheinungsdatum: 10. April 2024

„Quick-Freeze“-Einigung: Wie Olaf Scholz seine Innenministerin überging

Entscheidung am Wochenende: Marco Buschmann und Olaf Scholz haben sich über den Kopf von Innenministerin Nancy Faeser hinweg für das „Quick-Freeze“-Verfahren entschieden, die Speicherung von IP-Daten ist vorerst kein Thema mehr. Kritische Stimmen kommen aus SPD und Union.

Nach anderthalb Jahren Stillstand soll der Gesetzentwurf von Marco Buschmann zum „Quick-Freeze“-Verfahren beschlossen werden. Die Speicherung von IP-Daten, auf der das Bundesinnenministerium bestanden hatte, soll dagegen vorerst nicht kommen. Das haben Buschmann und Olaf Scholz am Wochenende vereinbart. Im Gegenzug soll die Mietpreisbremse verlängert werden, der die FDP die Zustimmung verweigert hatte. Die Anpassung der Kappungsgrenze und Regelungen zum Mietspiegel werden dagegen erst mal nicht kommen.

BMJ und BMI hatten sich lange verhakt. Beide Seiten berufen sich auf den Koalitionsvertrag, der vorsieht, dass Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten würden, „dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Der EuGH hat 2022 entschieden, dass die IP-Adressenspeicherung mit EU-Recht vereinbar ist. Die Ermittlungsbehörden und Innenminister der Länder halten sie für unerlässlich für die Aufklärung von Straftaten. FDP und Grüne sehen darin ein Instrument der „Massenüberwachung“ und wollen daher nur Daten beim Verdacht einer Straftat einfrieren lassen („Quick-Freeze“). Das Problem: Daten, die nicht gespeichert werden, kann man auch nicht einfrieren. Deshalb hatte sich Nancy Faeser dem Plan in den Weg gestellt.

Nun hat der Kanzler sie übergangen. Wie Table.Briefings erfuhr, wusste die Ministerin von der Einigung noch nichts, als Buschmann am Montag die Rechtspolitiker der Koalition darüber unterrichtete. Am Dienstag musste Faeser die Öffentlichkeit dann über den starken Anstieg der Straftaten in Deutschland unterrichten, die Aufklärungsquote beträgt knapp 60 Prozent. Es wird für die SPD-Politikerin nun kaum noch möglich, der Aufgabe nachzukommen, die der Kanzler ihr mal zugedacht hatte: bei der Inneren Sicherheit keine offene Flanke zeigen, es der Union nicht unnötig leicht machen.

Auch SPD-Innenpolitiker sind verärgert. Sebastian Fiedler, Abgeordneter und ehemaliger Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamte, sagte Table.Briefings: „Ich stehe daher weiter unverrückbar an der Seite der Ermittlungsbehörden und der Bundesinnenministerin. Es gibt bei den Innenministern und den Sicherheitsbehörden hierzu keine zwei Meinungen. Sie wollen im Übrigen keine Quick-Freeze-Scheinalternative.“ Unionspolitiker äußern sich empört. „Die Ampel-Koalition hat eine schwere Fehlentscheidung gegen den Schutz unserer Kinder vor Gewalt und Missbrauch getroffen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings. „Das Quick-Freeze-Verfahren statt der Speicherung von IP-Adressen ist als Ermittlungswerkzeug für die Sicherheitsbehörden völlig unzureichend.“

Das BMI verweist darauf, dass der neue Entwurf die Frage der IP-Speicherung ausklammert. „Hier sind also viele Fragen noch zu klären“, heißt es. Die Regelungen im Telekommunikationsgesetz zur zehnwöchigen Datenspeicherungspflicht von 2015, die gegen EU-Recht verstoßen und daher seit 2017 nicht mehr angewendet werden, sollen vorerst im Gesetz stehen bleiben. Ursprünglich war geplant, sie zu streichen. Von einem „Merkposten“ ist die Rede – das sei ein Zeichen dafür, dass die Debatte nicht beendet sei. Allerdings hat die SPD nun ihr Druckmittel aus der Hand gegeben. Auch die Chancen, dass die anderen zum Mieterschutz vorgesehenen Regelungen in dieser Legislatur noch kommen, gehen gegen null.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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