Dem Parteichef galt naturgemäß die meiste Aufmerksamkeit. Christian Lindners Parteitagsrede wurde nicht zur großen Abrechnung mit den Gegnern, sondern zu einem deutlichen Bekenntnis für die Ampel. Was nicht daran liegen dürfte, dass er SPD und Grüne so gerne mag, sondern an seinem Ziel, einem „modernen, nicht-linken Deutschland“. Um das zu erreichen, muss er schon Teil der Koalition bleiben. Ein Satz, der gleichwohl hängen bleiben dürfte: „Das Leben mit Verbrennungsmotor im Thüringer Wald ist nicht besser oder schlechter als das Leben mit Lastenrad im Prenzlauer Berg“. Am Ende bekommt 88 Prozent, beim letzten Mal waren es noch 93 Prozent. Keine Katastrophe und kein Triumph. Lindners Ergebnis passt ganz gut zur Stimmung.
Auf diese Personalie hatte sich der Parteivorstand schon im Vorfeld festgelegt. Vor den hessischen Landtagswahlen im Oktober wollte die Partei ein Zeichen setzen. Dementsprechend war die Wahl der Forschungsministerin ins Präsidium letztlich keine Überraschung. Mit nur zwei Prozentpunkten hinter dem Chef darf Stark-Watzinger sich bestätigt fühlen. Zwar musste dafür die bisherige Vize Nicola Beer ihren Platz räumen. Die Europapolitikerin war erst auf dem Bundesparteitag 2019 ins Präsidium gewählt worden. Sie wird jetzt mit einem Präsidiumsposten bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) entschädigt. Lindner hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bereits einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.
Der stellvertretende Bundestagspräsident hatte kürzlich angekündigt, auch bei der nächsten Bundestagswahl (und der darauf) wieder für die FDP antreten zu wollen. Gerhart Baum dürfte davon nicht begeistert sein; er hätte sich schon jetzt eine Gegenkandidatur gewünscht, wie er im Table-Media-Interview sagte. Die Delegierten scheinen davon nicht abgeschreckt worden zu sein. Aber sie straften Kubicki trotzdem etwas ab. 2021 hatte er noch 88 Prozent erhalten. Seine kompromisslose Haltung in der Corona-Krise hatte damals das Gefühl der freiheitsliebenden Partei getroffen. Die aktuellen Querschläge des Vizeparteichefs gegen die Koalitionspartner scheinen auch seiner Basis etwas zu viel zu werden.
Der andere, wenn man so will, Flügel in der Bundestagsfraktion rund um den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführe kann von Kubickis schwachem Ergebnis nicht profitieren. Acht Prozentpunkte verliert Vogel auf sein Ergebnis 2021. Eine Interpretation: Die Delegierten haben keine Lust auf Flügelkämpfe und zeigen das auch. Oder aber: Vogels fortschrittlicheren Kurs wollen viele in der Partei nicht mitgehen. Sein gemeinsam mit Lukas Köhler verfasster Zusatz zum Leitantrag, den CO₂-Zertifikatehandel schon 2024 einzuführen (statt wie von der EU beschlossen 2027), wurde auf dem Bundesparteitag viel diskutiert und nicht von allen gemocht.
Obwohl erst seit einem Jahr im Amt, musste auch Djir-Sarai sich wieder zur Wahl stellen. Da der Parteivorsitzende das Vorschlagsrecht für den Generalsekretär hat und Lindner neu gewählt wurde, sollten beide Posten synchronisiert werden. Von 89 Prozent kommend, fällt er tief. Auf ihn geht auch die klare Abgrenzung zu den Grünen zurück und der Versuch, mit konservativen Positionen Unionswähler für die FDP zu gewinnen. In seiner Antrittsrede verlangt er eine „Fitnesskur für den Standort Deutschland“ und setzt sich erneut deutlich von den Grünen ab: Zwar sehe auch er den Klimaschutz als „zentrale internationale Menschheitsaufgabe“, das Philosophieren über Nullwachstum und Wohlstandsverzicht überlasse er aber „links-grünen Stuhlkreisen“.
Neu im Präsidium ist die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Schmitt. Lukas Köhler, der ebenfalls Ambitionen auf den Platz hatte, verzichtete zugunsten der Parteikollegin und ersparte der Partei somit eine Kampfabstimmung. Schmitt gilt im Landesverband von Volker Wissing als Wirbelwind, ist viel unterwegs und genießt bis jetzt als Unternehmerin, die sich politisch engagiert, eine hohe Glaubwürdigkeit. Völlig offen aber ist, ob sie sich in der machtpolitisch traditionell männerlastigen FDP erst Gehör und dann wirklichen Einfluss verschaffen kann. Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Nicola Beer oder Linda Teuteberg wurden einst als große Hoffnungsträgerinnen präsentiert und in Ämter gewählt – um gar nicht so sehr viel später feststellen zu müssen, dass man ihnen so viel Einfluss und Stimme dann doch nicht geben mochte.
Der BuVo-Beisitz wird in der FDP traditionell in zwei Teilen vergeben. Eine Hälfte der Kandidaten wird durch die Landesverbände vorgeschlagen, die sogenannten Kurfürsten. Die übrigen 18 Sitze werden frei vergeben. 23 Bewerber gab es, nur neun kamen über 50 Prozent, darunter Köhler, der auch Generalsekretär der FDP Bayern und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion ist. Damit ist er auch weiterhin im Bundesvorstand vertreten. Mit 36 Jahren kann der Verzicht zugunsten von Schmitt dem Klimapolitiker in Zukunft sogar noch nützlich sein, gilt er doch spätestens jetzt als selbstloser Parteisoldat.
Die frühere Generalsekretärin hat mit ihrer Kandidatur für den Vorstand nicht nur viele überrascht, sondern auch gezeigt, dass sie noch lange nicht aufgegeben hat. Und das, obwohl ihr eigener Landesverband gar nicht mit ihr gerechnet, geschweige denn sie aufgestellt hatte. Umso mehr wirkt ihr Erfolg nach; bei den Vorstandswahlen erreichte die Innenexpertin und Bundestagsabgeordnete mit 64 Prozent das zweitbeste Ergebnis. Offiziell vorgeschlagen wurde sie interessanterweise von Kubicki. Ob ihr das guttut oder eher geschadet hat, weiß man nicht.
Die nächste Europawahl ist zwar noch ein Jahr hin, für die FDP hat die Verteidigungsexpertin aber schon mal den Wahlkampf ausgerufen. „Wir fangen jetzt an!”, sagt die designierte Spitzenkandidatin. Die in Partei und Fraktion nicht unumstrittene Düsseldorferin erhält ein respektables Ergebnis. 2024 wird sich zeigen, ob auch die Wähler das goutieren werden. Sollte sie erfolgreich sein, wäre sie als FDP-Mitglied in der Liberalen Fraktion des Europäischen Parlaments (ALDE) auch im Präsidium der Bundespartei vertreten.
Trotz Mehrheit verloren. Der erst seit drei Jahren bestehende Verein Liberale Vielfalt versteht sich als Vertreter von Menschen mit Migrationshintergrund, Jüdinnen und Juden sowie Spätaussiedlern. Per Änderung der Bundessatzung wollten die Mitglieder sich als ordentliche Vorfeldorganisation der FDP anerkennen lassen. Unterstützung bekamen sie dabei von Generalsekretär Djir-Sarai, der ebenfalls Mitglied ist. Zwar stand am Schluss die erforderliche Zweidrittelmehrheit, allerdings wurde das Quorum verfehlt. Eine zweite Abstimmung lehnte die Mehrheit der Delegierten ab. Antrag somit gescheitert, große Enttäuschung. Die Co-Vorsitzende Irene Schuster gab sich anschließend unverdrossen. Sie sei froh, dass es eine Mehrheit gab, im kommenden Jahr werde man einen neuen Anlauf unternehmen – dann wohl zu einem Zeitpunkt, wenn mehr Parteikollegen anwesend sind als an diesem Wochenende am Samstagmorgen.