Sie gehörten zu den prominenten Grünen-Stimmen, die gegen den Asylkompromiss protestiert haben. Sind Sie mit dem veränderten Beschluss von Samstag einverstanden?
Was die EU-Innenmister*innen beschlossen haben, liefert keine echten Lösungen für die Probleme, die es an EU-Außengrenzen gibt. Noch dazu birgt die Einigung die Gefahr, das individuelle Asylrecht auszuhöhlen, und stellt nicht sicher, dass die Menschenrechte gewahrt bleiben. Besonders schlimm finde ich, dass noch nicht einmal Kinder aus den Grenzverfahren ausgenommen sind. Daher finde ich es gut, dass unser Länderrat den Beschluss kritisch bewertet und damit auch in aller Deutlichkeit Nancy Faeser widerspricht, dass dies ein historischer Erfolg sei. Auch stellen wir klar, dass wir Grüne Asylrechtsverschärfungen, wie sie der Ratsbeschluss vorsieht, falsch finden.
Aber ist das nicht mehr Willensbekundung als konkrete Veränderung?
Na ja, die konkreten Veränderungen für ein humanes und solidarisches Asylrecht in Europa lassen sich ja nicht auf einem Grünen-Länderrat vollziehen. Diese müssen nun im Trilog-Verfahren mit EU-Parlament, Rat und Kommission verhandelt werden. Wir wissen um die schwierige Verhandlungssituation in Europa. Der Rechtsruck macht sich insbesondere in der Migrationspolitik so richtig bemerkbar. Daher müssen wir jetzt unseren grünen Verhandler*innen den Rücken stärken, damit wir am Ende Verbesserungen erreichen können. Dafür haben wir nun ganz konkrete Kriterien formuliert. Kinder und Familien dürfen grundsätzlich nicht in Grenzverfahren kommen. Wir lehnen verpflichtende Grenzverfahren für die Mitgliedsstaaten ab und fordern ein effektives Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen. Außerdem fordern wir ein verbindliches Verteilungssystem.
Dutzende Änderungsanträge sind eingeflossen, trotzdem bleiben manche Forderungen, etwa von der Grünen Jugend, auf der Strecke. Wie zerrissen bleibt die Partei nach dem Länderrat?
Wir haben nach dem Beschluss der EU-Innenminister*innen heftig diskutiert. Es sind zahlreiche Änderungseinträge eingereicht worden und wir haben eine sachliche und kritische Debatte auf offener Bühne geführt. Ich glaube, dass der Antrag der Grünen Jugend auch einen entscheidenden Beitrag für eine gute und notwendige Debatte geleistet hat. Anders als einige im Vorfeld zu erzählen versucht haben, gibt es keinen Machtkampf zwischen Flügeln, keinen Aufstand gegen das Führungspersonal. Es geht um die für uns so zentrale Frage, wie wir in einem Europa des Rechtsrucks eine menschenrechtsorientierte und solidarische Migrationspolitik erreichen können. Am Ende wurde auf dem Länderrat ein fast einstimmiger Beschluss gefasst. Besonders wichtig ist hier, dass vereinbart wurde, dass die Ergebnisse der anstehenden Verhandlungen gemeinsam bewertet werden und unsere Positionierungen davon abhängig gemacht werden, ob unter dem Strich tatsächlich Verbesserungen in der europäischen Asylpolitik stehen. Ein Mitgehen um jeden Preis darf es nicht geben.
Zeigt der offene Konflikt der vergangenen Tage aber nicht, wie schwierig es ist, beim Asyl Kompromisse zu finden?
Asylpolitik ist Menschenrechtspolitik, und damit ist sie ein Kernthema unserer Partei. Kompromisse in diesem Politikfeld sind nicht einfach. Zugleich wissen wir, dass das politische Klima in Europa derzeit stark von rechtspopulistischen Erzählungen und Kräften geprägt ist. Auch in Deutschland bedienen sich immer wieder Konservative populistischer Erzählungen. Nicht selten stehen wir Grüne ganz allein in der politischen Landschaft, wenn es darum geht, die humanitären Werte Europas hochzuhalten. Dennoch muss für uns klar sein, dass wir nicht einknicken und weiterhin unsere völkerrechtlichen Errungenschaften wie die Genfer Flüchtlingskonvention verteidigen. Wir haben in den letzten 40 Jahren viel gekämpft, und es zeigt sich in vielen Bereichen, dass sich dieser Kampf auch gelohnt hat. Das sind wir den Menschen, den vielen Bündnispartner*innen aus der Zivilgesellschaft und einem rechtsstaatlichen Europa schuldig.
Welche Botschaft bringen Sie Ihrer Basis vom Länderrat mit?
Wir Grüne bleiben Menschenrechtspartei und widersetzen uns dem Rechtsruck.
Ihre letzte Landtagswahl war erst 2022, Sie können erstmal entspannt darauf blicken. Bayern und Hessen nicht. Was bedeutet all das jetzt für deren Wahlherbst?
Wir erleben keine einfachen Zeiten. Der Ukrainekrieg und seine Folgen, die Klimakrise und nicht zuletzt auch die weltweiten Migrationsbewegungen stellen uns, unsere Kommunen vor große Herausforderungen. Jetzt kommt es darauf an, unsere differenzierten Lösungsentwürfe zu diesen komplexen Sachverhalten in die Breite der Gesellschaft zu kommunizieren und gegen populistische Erzählungen zu verteidigen.
Also dachten Sie sich jetzt nie „Himmel, die armen Kollegen – ein Glück muss ich jetzt keinen Wahlkampf machen“?
Den Zeitpunkt für einen Wahlkampf kann man sich nicht aussuchen. Wir haben gute Köpfe und gute Inhalte, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.
Auf Bundesebene bleibt mehr Zeit bis zur nächsten Wahl. Volkspartei-Werte haben die Grünen aber schon eine Weile nicht mehr. Meinen Sie, es besteht 2025 die realistische Chance, fürs Kanzleramt zu kandidieren?
Umfragewerte bleiben erst einmal Umfragewerte, und bis 2025 ist noch eine Weile. Ich glaube, dass die Menschen gerade viel mehr an den Antworten für die aktuellen Herausforderungen interessiert sind, als an der Frage, wer erst in einigen Jahren fürs Kanzleramt kandidieren wird. Und daher gilt es jetzt trotz eines Koalitionspartners, der immer wieder in eine Blockadehaltung fällt, und eines anderen Partners, der oft viel zu wenig Bereitschaft zeigt, die drängenden Fragen tatsächlich mit anzugehen, unsere grünen Erfolge in der Bundesregierung sichtbarer zu machen.
Laufen die Grünen mit ihren klaren Positionen pro Asyl und contra Gasheizung aber nicht Gefahr, zu unpopulär, zu nischig für eine Volkspartei zu werden?
Das sind doch keine Nischenthemen! Die Fragen, wie wir dem Klimawandel begegnen und wie wir die Herausforderungen an den EU-Außengrenzen, aber auch bei der Unterbringung und Integration von schutzsuchenden Menschen in unseren Kommunen meistern, sind zentrale Themen unserer Zeit, auf die wir Antworten bieten müssen.
Ihre Partei scheint in Düsseldorf fast besser mit der CDU klarzukommen als die Bundes-Grünen mit der SPD. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der schwarz-grünen Koalition?
Wir arbeiten vertrauensvoll und auf Augenhöhe mit der CDU zusammen. Wir bringen unterschiedliche Perspektiven ein. Für unsere Arbeit haben wir als Grundlage einen guten Koalitionsvertrag, den es umzusetzen gilt.
Das heißt, dass der Kulturkampf, den Friedrich Merz auf Bundesebene zwischen Union und Grünen sieht, in Nordrhein-Westfalen keine Rolle spielt?
Nein. Merz ist nicht in NRW. Zum Glück.